Wozu wird am digitalen Euro gearbeitet?

Handlungsempfehlungen

  1. Für alle zugängliches digitales Zentralbankgeld soll bargeldartige Sicherheit auch digital verfügbar machen.
  2. Ein digitaler Euro macht Sinn zur Sicherung der Wahlfreiheit beim Bezahlen, falls Digitalisierung und Marktkonzentration weiter zunehmen.
  3. Sofern der digitale Euro eingeführt wird, muss er zunächst einmal gut erklärt werden, um auch als Bereicherung neben Bargeld und Bankkonten erlebt zu werden.

Zusammenfassung

Im Sommer 2021 haben die Zentralbanken im Euroraum die Frage zu untersuchen begonnen, ob wir einen digitalen Euro brauchen, der unser Euro-Bargeld und unsere Bankkonto-Guthaben ergänzt. Zwar ist derzeit die Ausstattung mit verschiedenen Bezahlmöglichkeiten im Euroraum recht gut. Doch mit fortschreitender Digitalisierung und Konzentrationstendenzen auf dem Zahlungssektor könnte es sein, dass die Zentralbank in naher Zukunft ein eigenes digitales Angebot legen muss, um die Wahlfreiheit zu erhalten, die uns heute mit der Frage „Zahlen Sie bar oder mit Karte?“ an der Supermarktkassa geboten wird.

Der Autor ist bei der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) beschäftigt. Die hier vertretenen Ansichten spiegeln seine persönliche Meinung wider und nicht notwendigerweise die der OeNB.

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Wozu wird am digitalen Euro gearbeitet?

Im Sommer 2021 haben die Zentralbanken im Euroraum die Frage zu untersuchen begonnen, ob wir einen digitalen Euro brauchen, der unser Euro-Bargeld und unsere Bankkonto-Guthaben ergänzt.[1]

Weil diese Überlegungen noch in einem frühen Stadium sind, haben sie bisher noch nicht das Interesse einer breiten Öffentlichkeit geweckt. Aber dort, wo sie es tun, entsteht oft erst einmal ein großes Fragezeichen, wie ein digitaler Leserbrief unter einer ORF-Nachricht zum Thema veranschaulicht: „What the f… soll digitales Geld sein? Es kennt sich doch schon beim ‚realen‘ Geld niemand mehr richtig aus, ist doch alles längst aus den Fugen geraten, seit das Geld an keinen Gegenwert (Gold) mehr gebunden ist… Alles unheimlich.“[2]

Um uns der Frage zu nähern, was ein künftiger digitaler Euro überhaupt sein soll und wozu es ihn geben sollte, ist eingangs einmal ein Blick auf das hilfreich, was es bereits gibt. Unsere Währung gibt es derzeit in zwei Hauptformen: als Bargeld und als Buchgeld.

Euro heute: Bargeld und Buchgeld

Bargeld in Euro besteht aus Banknoten und Münzen, die von öffentlich beauftragten Zentralbanken (Europäische Zentralbank, Oesterreichische Nationalbank und die Zentralbanken anderer Mitgliedstaaten des Euroraums) und nationalen Münzanstalten hergestellt und in einem ersten Schritt an Geschäftsbanken im Tausch gegen finanzielle Gegenwerte in Umlauf gebracht werden.

Buchgeld in Euro ist für Privatmenschen und Unternehmen vorwiegend als Kontoguthaben bei Geschäftsbanken verfügbar, wenn sie Bargeld einzahlen, Überweisungen von anderen erhalten oder einen Kredit aufnehmen. Wer ein täglich fälliges Kontoguthaben hat, kann von der Geschäftsbank jederzeit eine Einlösung in bar beanspruchen bzw. Teilbeträge einfach bar abheben. Die Mehrheit der liquiden Mittel und Zahlungen hat heute eine unbare Form, und wird von der Bank-Kundschaft digital verwaltet, bewegt und kontrolliert: Mittels Online Banking am Computer, Karte oder Handy-App nehmen wir Kontoeinsicht und erledigen Zahlungen, mitunter auch Veranlagungen.

An der Supermarktkassa sind wir Wahlfreiheit gewohnt: „Zahlen Sie bar oder mit Karte?“ ist die Standardformel, die nach dem Gang durch die Regale den letzten Akt der Entscheidung in unserer Rolle als Konsument:innen bildet. Im Vordergrund stehen bei dieser Entscheidung in der Regel praktische Überlegungen wie Gewohnheiten, Kosten, Verfügbarkeit, Bequemlichkeit, Sympathie etc. Manche Menschen fühlen sich wohler und können sich besser orientieren mit Geld, das mit Händen greifbar ist. Andere Menschen sind genervt von zu viel Münzen, die herumgetragen werden müssen, und schätzen ihr Smartphone als Universalwerkzeug für alle Lebenssituationen.

Was dahinter steht

Doch hinter der Frage „Bar oder Karte?“ steht auch eine Entscheidung über verschiedene Garantiemechanismen. Banknoten werden direkt von der Zentralbank garantiert, und genießen deshalb in vielerlei Hinsicht den Ruf höchster Sicherheit. Für die Aufbewahrung und Weitergabe von Scheinen und Münzen kann ich ganz ohne Kontaktnahme mit dem Hersteller persönlich sorgen. Für Kontoguthaben und die Abwicklung von Zahlungsaufträgen damit steht die jeweilige private Geschäftsbank gerade, zusätzlich abgesichert durch die Einlagensicherung bis zu einer Höchstgrenze von EUR 100.000 Guthaben. Wenn ich meine Karte verliere, rufe ich einfach dort an und sperre den drohenden Fremdzugriff auf mein(e) Guthaben.

Doch hinter der Frage „Bar oder Karte?“ steht auch eine Entscheidung über verschiedene Garantiemechanismen.

„Bar oder Karte?“ ist also auch eine Entscheidungsmöglichkeit zwischen einer im öffentlichen Auftrag stehenden Zentralbank und einer kommerziellen Geschäftsbank plus Kartenfirma, die gleichartige, aber eben auch verschiedene Leistungen anbieten. Auch wer niemals bar zahlt, profitiert von dieser Wahlmöglichkeit, denn Wahlmöglichkeiten verhindern die Bildung privater Monopole bei Bezahlmöglichkeiten und unschöne Erscheinungen, die damit einhergehen können: hohe Gebühren, schlechtes Service, ungünstige Vertragsklauseln, Datenhunger etc.

Im Zuge der Digitalisierung der Wirtschaft wächst die Bedeutung von Zahlungen, bei denen keine Wahlmöglichkeit à la „bar oder Karte“ besteht. Beim Einkauf im Internet ist Barzahlung in der Regel keine Option. Wahlmöglichkeiten sind zwar heute auch an der digitalen Online-Kassa üblich, aber sie bestehen ausschließlich aus kommerziellen Angeboten: Überweisungsdienste heimischer Banken, ein US-amerikanischer E-Geld-Emittent, ein oder zwei US-Kreditkartenfirmen, eine schwedische Ratenzahlungsfirma, und ein deutscher Schnellüberweisungsdienst bilden das typische Bündel an Auswahlmöglichkeiten.

Im Zuge der Digitalisierung der Wirtschaft wächst die Bedeutung von Zahlungen, bei denen keine Wahlmöglichkeit à la „bar oder Karte“ besteht.

Wahlfreiheit – auch beim Bezahlen wichtig

Sofern eine Person über Euro verfügt, hat sie im Euroraum also in Summe eine Vielzahl an Möglichkeiten, zwischen verschiedenen Formen hin- und her zu wechseln und zu bezahlen, sei es bar mit Zentralbankgeld oder unbar bzw. digital mit Euro-Zahlungsmitteln kommerzieller Anbieter. Was derzeit nicht zur Verfügung steht, ist eine digitale Form des Euro, für die direkt die Zentralbank geradesteht: ein „digitaler Euro“.

Weil die derzeitige Ausstattung mit Bezahlmöglichkeiten in Euro sehr gut ist, ist das derzeit keine auffällige Lücke. Wenn in anderen Teilen der Welt schon länger als bei uns an digitalem Zentralbankgeld gearbeitet wird, dann liegt das daran, dass die Ausgangslage dort anders ist. In China etwa wird das digitale Bezahlen von zwei großen privaten Plattformfirmen dominiert. Mit der Entwicklung von digitalem Zentralbankgeld für Alltagszahlungen versucht der Staat wieder mehr Einfluss in diesem Sektor zu gewinnen und ein Gegengewicht zu bilden. Auf den Bahamas wiederum ist die Versorgung der Bevölkerung mit Bankdienstleistungen schwach – die Zentralbank versucht diese Lücke mit digitalem Zentralbankgeld zu füllen.

Wenn in anderen Teilen der Welt schon länger als bei uns an digitalem Zentralbankgeld gearbeitet wird, dann liegt das daran, dass die Ausgangslage dort anders ist.

Im Euroraum und insbesondere in Österreich ist die Ausgangslage eine andere: Bargeld ist beliebt und weit verbreitet, und die Möglichkeiten für digitale Überweisungen mittels Online Banking, Karte oder Handy sind sehr vielfältig.

Doch man kann nicht sicher sein, dass die Lage in alle Ewigkeit so komfortabel bleibt. In den letzten Jahren haben große digitale Plattformkonzerne, die in anderen Branchen groß geworden sind, ein Auge auf den Zahlungsverkehr zu werfen begonnen.[3] Mit der Entwicklung eigener Bezahlmöglichkeiten, versuchen sie Bankgebühren zu sparen, Kundschaft zu binden, interessante Daten zu sammeln, und neue Geschäftsfelder zu erschließen. Womöglich können sie eines Tages ihre Marktmacht und Innovationskraft dazu nutzen, bestehende Euro-Bezahlmöglichkeiten vom Markt zu verdrängen. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass im digitalen Bereich solche Veränderungen manchmal auch sehr schnell gehen können, und dass Regulierung oft auf einfallsreiches und wendiges Umgehungsverhalten trifft. In den letzten Jahren haben sich die Hinweise verdichtet, dass es Sinn macht, auf ein solches Szenario vorbereitet zu sein. Die Vorbereitung auf eine solche mögliche Zukunft ist ein zentraler Grund, warum Zentralbanken an digitalem Zentralbankgeld arbeiten.

In den letzten Jahren haben große digitale Plattformkonzerne, die in anderen Branchen groß geworden sind, ein Auge auf den Zahlungsverkehr zu werfen begonnen.

Weitere Szenarien wären ein drastischer Rückgang der zukünftigen Nachfrage nach Bargeld, eine etwaige zunehmende Popularität von Fremdwährung als Zahlungsmittel im Euroraum, oder eine notwendige Erhöhung der Ausfallsicherheit (Stromausfälle, Cyberattacken etc.) elektronischer Bezahlformen. Die Reduktion der Abhängigkeit von Systembestandteilen, die im Hintergrund bei Bezahlvorgängen laufen, ist ein weiteres Motiv: Globale Informationsnetzwerke wie Swift helfen bei internationalen Überweisungen, global operierende Kartensysteme helfen bei der Barabhebung am Bankomat und beim Bezahlen an der Kassa und im Internet. Beide Komponenten unterliegen nicht rein europäischer Kontrolle und können bei geopolitischen Konflikten ungünstige Abhängigkeiten darstellen, sofern keine Alternativen verfügbar sind.

Zusatz, nicht Ersatz

Weil der Erhalt von Möglichkeiten ein zentrales Motiv darstellt, hat das Eurosystem[4] von Anfang an klargestellt, dass ein digitaler Euro wenn, dann nur zusätzlich, nicht anstelle, von Bargeld eingeführt würde, und Geschäftsbanken aus dem Zahlungsverkehr nicht verdrängt werden sollen.[5]

Das ist ein wichtiger Punkt, weil in der öffentlichen Diskussion digitales Zentralbankgeld oft mit übersteigerten Hoffnungen und Ängsten verbunden wird. Dass digitales Zentralbankgeld bald Bargeld und Überweisungen mit Guthaben bei Geschäftsbanken komplett ersetzen könnte, ist für manche Menschen eine große Hoffnung, für andere Menschen eine große Sorge. Doch Zentralbanken sind einem gesetzlichen Auftrag verpflichtet, und eine solch weitreichende Umwälzung ist aus dem bestehenden Auftrag auch mit viel Fantasie nicht abzuleiten. Alle Überlegungen in Zentralbanken zu einem digitalen Euro zielen deshalb darauf ab, Bargeld und Kontoguthaben bei Geschäftsbanken allenfalls zu ergänzen, nicht zu ersetzen – nicht zuletzt im Dienste einer Sicherung der Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Zahlungsmitteln an der Supermarktkassa, beim Einkauf im Internet und anderen Gelegenheiten.

Ende 2020 hat das Eurosystem eine Konsultation der Öffentlichkeit durchgeführt, um den Bedarf und allfällige Anforderungen für einen digitalen Euro zu erheben. Die erfreulich hohe Beteiligung quer durch die Bevölkerung ließ erkennen, dass ein digitaler Euro willkommen wäre und viele Menschen dabei Sicherheit und Schutz der Privatsphäre wichtig finden.[6] In Fokusgruppen mit Privatpersonen und Handel aus allen Mitgliedstaaten wurde im Frühjahr 2022 ein weiterer Schritt unternommen, um mehr über mögliche Nutzerbedürfnisse herauszufinden.[7]

Zentralbanken haben erste Tests für mögliche technische Infrastrukturen durchgeführt und Grundsatzüberlegungen zur Ausgestaltung gestartet. Die Politik (Europäisches Parlament, Eurogipfel der Staats- und Regierungschefs) hat Interesse und Unterstützung signalisiert. Auf Basis dieser Vorarbeiten werden nun im Eurosystem Ressourcen mobilisiert, um genauere Untersuchungen anzustellen, und mögliche Prototypen zu entwickeln. Auf dieser Basis könnte Ende 2023 eine Entscheidung gefällt werden, ob der digitale Euro in eine womöglich zweijährige Realisierungsphase eintreten soll, an deren Abschluss der digitale Euro für die Bevölkerung verfügbar würde (was nicht vor 2025 zu erwarten ist).

Zentralbanken haben erste Tests für mögliche technische Infrastrukturen durchgeführt und Grundsatzüberlegungen zur Ausgestaltung gestartet.

Was ist der digitale Euro?

Wo läge der Unterschied zwischen einem digitalen Euro und bisherigen Zahlungsmitteln in Euro?

Ein Euro Bargeld: Die Zentralbank garantiert den Wert, die Besitzerin bzw. der Besitzer ist für die Aufbewahrung oder die Weitergabe (also Zahlungen) verantwortlich.

Ein Euro am Bankkonto: Die Geschäftsbank garantiert den Wert (jederzeit 1:1 Behebung in bar) und übernimmt Aufbewahrung und Weitergabe im Kundenauftrag.

Ein digitaler Euro: Die Zentralbank garantiert den Wert. Nutzende und/oder private elektronische Brieftaschen-Betreiber (z. B. Banken) übernehmen Aufbewahrung und Weitergabe im Kundenauftrag.

Wem würde der digitale Euro nützen?

Zielvorstellung für einen digitalen Euro wäre, einen sicheren digitalen Anker für uns alle bereitzustellen. Wagt man einen Gedankensprung in eine mögliche Zukunft, dann könnten Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen erfüllt werden:

Für Anhänger von Bargeld könnte der digitale Euro eine unkomplizierte, bargeldnahe und konsumentenfreundliche Möglichkeit zum digitalen Bezahlen mit minimalen Ein- und Ausstiegshürden bieten. Der Zugriff würde über bestehende und vertraute Geräte möglich gemacht, was aus heutiger Sicht einfach und günstig erhältliche Karten und Applikationen auf dem Smartphone oder dem Computer bedeuten würde.

Wer nach historischen Vorläufern sucht, würde darin vielleicht am ehesten einige frühere Angebote der einst staatlichen Post wiedererkennen, die einst als eine öffentliche Säule fürs Geld-Verschicken und -Aufbewahren neben den Geschäftsbanken fungierte. Wenn man so will, würde ein digitaler Euro Teile dieser Aufgaben ins digitale Zeitalter bringen.

Für digital Erfahrene wäre der digitale Euro eine Sicherung von Wahlfreiheit und Datenschutz beim Bezahlen in einer schnelllebigen Digitalwirtschaft, die von immer größeren globalen Plattform-Firmen dominiert wird. Im Einklang mit den rechtlichen Rahmenbedingungen wären beim digitalen Euro zwar Maßnahmen zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu gewährleisten, aber gegenüber der Zentralbank kein Einblick in private Zahlungsdaten gegeben.

Für Klein- und Mittelbetriebe im Handel und anderen Branchen wäre der digitale Euro eine leistungsfähige preisgünstige Alternative zur Entgeltabfuhr an Kartenbasierte Bezahlsysteme.[8]

Für Banken und Zahlungsdienste wäre er ein Anknüpfungspunkt für Kundenleistungen rund um eine elektronische Brieftasche, der weniger Bilanzrisiko und Umstände sowie größere Reichweite verspricht.

Für Zentralbanken wäre der digitale Euro eine zeitgemäße Ergänzung zu Bargeld, um ihrem gesetzlichen Auftrag nach Stabilität und Sicherheit auch in einer digitalen Wirtschaft ungebrochen nachkommen zu können, durch Bereitstellung eines sicheren, universalen Ankers im digitalen Geldraum.

Auch wenn ein digitaler Euro viele Vorteile bringen könnte, ist es auch denkbar, dass gewisse Formen des digitalen Euro zu viel des Guten wären. Diese Risiken finden in seiner Gestaltungsarbeit Beachtung: Der digitale Euro soll attraktiv sein und ähnlich genutzt werden wie in den letzten Jahrzehnten ein durchschnittlicher Haushalt Bargeld im Alltag nutzte, also für Alltagszahlungen. Aber er soll nicht zum gesamtwirtschaftlichen Staubsauger mit Monopolanspruch im Bankengeschäft werden, der sämtliche Guthaben absaugt, die jetzt auf Sparbüchern und anderen Bankguthaben lagern, und damit das heimische Bankensystem destabilisieren. Der digitale Euro wird deshalb nicht mit spektakulären Zinsangeboten um Kundschaft werben, und es wird darüber nachgedacht, Anreize zur exzessiven Haltung eines digitalen Euro über den gewöhnlichen Alltagsbedarf hinaus zu begrenzen oder durch betragsabhängig gestaffelte Verzinsung zu dämpfen.[9]

Der digitale Euro soll attraktiv sein und ähnlich genutzt werden wie in den letzten Jahrzehnten ein durchschnittlicher Haushalt Bargeld im Alltag nutzte, also für Alltagszahlungen.

Auch eine Massenflucht von Kapital aus dem Ausland Richtung Euroraum soll die Einführung eines digitalen Euro nicht auslösen. Deshalb stehen Zentralbanken auf der ganzen Welt in engem Kontakt zueinander, um ihre Arbeiten zu digitalem Geld aufeinander so abzustimmen, dass Währungen einander nicht unerwünscht ins Gehege kommen, aber womöglich dennoch Verbesserungen bei Überweisungen über Währungsraumgrenzen bewirken können.[10]

Während die Entwicklungskosten für den digitalen Euro vom Eurosystem getragen werden, ist die Aufteilung der laufenden Kosten noch in Ausarbeitung. In Bargeldlogistik und elektronischen Bezahlsystemen werden Kosten bislang zwischen Handel, Bankensektor, Zentralbank und Nutzenden in verschiedenartigen Gebührenmodellen aufgeteilt. Ein geeignetes Modell für den digitalen Euro wird darauf ausgerichtet sein, den potenziell Nutzenden keine Zusatzkosten aufzubürden, um seine Attraktivität nicht zu schmälern.

Warum kommt der digitale Euro nicht schneller?

Einen unausgereiften Schnellschuss braucht niemand, und können sich Verantwortliche bei einem so sensiblen Produkt wie Geld auch gar nicht leisten.

Dass Zentralbanken sich Jahre herausnehmen, um digitales Zentralbankgeld an einen möglichen Start zu bringen, mag Ungeduldige irritieren. Doch gut Ding braucht Weile. Einen unausgereiften Schnellschuss braucht niemand, und können sich Verantwortliche bei einem so sensiblen Produkt wie Geld auch gar nicht leisten. Und nicht zuletzt ist auch der Geschäftsbanken-Sektor nicht untätig, und arbeitet laufend daran, um das Bezahlwesen in Euro zukunftsfit zu halten. Wenn möglich, sollen dabei Synergien mit den Arbeiten am digitalen Euro entstehen und gehoben werden.

Ob der Euro letztlich eine neue, zusätzliche digitale Form erhalten soll und wird, wird im Lichte der heimischen Bedürfnisse in der digitalen Zukunft zu entscheiden sein.

Internationale Beispiele zeigen mehrjährigen Entwicklungsbedarf: China hat 2015 begonnen und hat erst in den letzten Monaten erste regionale Tests unternommen. Schweden hat 2017 angefangen, und würde nach derzeitigen Plänen nicht vor Mitte des Jahrzehnts starten.[11] In den USA hat Präsident Biden im Frühjahr 2022 angeordnet, Behörden mögen Überlegungen zu einem digitalen Dollar anstellen.[12] Der von reißerischen Medienschlagzeilen oft beschworene globale Geschwindigkeitswettbewerb ist eine unsachliche Übertreibung. Zentralbanken kämpfen hier nicht gegeneinander, sondern stehen im engen internationalen Dialog, um voneinander zu lernen und sich abzustimmen. Ob der Euro letztlich eine neue, zusätzliche digitale Form erhalten soll und wird, wird im Lichte der heimischen Bedürfnisse in der digitalen Zukunft zu entscheiden sein.

Digitalisierung: Entkoppelung von Wa(h)ren Werten?

Bei all den Vorteilen, die ein digitaler Euro verspricht, darf bei einem allfälligen Startschuss nicht vergessen werden, dass dies von manchen Menschen auch als Schreckschuss empfunden werden könnte.

Die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft und des Geldes wirkt auf viele Menschen etwas unheimlich, als eine Abkoppelung von „realen“ Vorgängen, Dingen und Werten.

Alles Digitale hat den Nachteil, nicht direkt mit Händen greifbar zu sein. Das ist ein Nachteil, weil (gedankliches) Begreifen besonders gut durch (physisches) Angreifen funktioniert. Die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft und des Geldes wirkt auf viele Menschen etwas unheimlich, als eine Abkoppelung von „realen“ Vorgängen, Dingen und Werten.

Die im Eingangszitat dieses Artikels wiedergegebene Idealisierung von Gold als Wertanker ist ein äußerst populäres Beispiel dafür. Gold erfreut sich einer langen Geschichte als Wertaufbewahrungsmittel, und Goldreserven von Zentralbanken haben bis in die Gegenwart eine wichtige psychologische Signalfunktion behalten.

Aber darüber hinaus ist die missverständliche Vorstellung weit verbreitet, Gold sei so etwas wie „natürliches“ Geld, und Goldbindung des Geldes sei so etwas wie eine Verankerung von Geld und Wirtschaft in Naturgesetzen, weil natürliche Knappheit einen „echten“ Wert darstelle, der unabhängig vom Menschen sei. Das ist nicht der Fall. Trotz ausbleibender Mengenänderungen unterliegt der wirtschaftliche Wert des Goldes am Goldmarkt häufigen starken Schwankungen, abhängig von der Zahlungsbereitschaft am Markt. Erst wenn Staaten und ihre Zentralbanken Abkommen treffen und sich dem Auftrag verpflichten, jederzeit und notfalls mit Verlust auf Gold- und Währungsmärkten zu intervenieren, um den Preis von Gold im Verhältnis zu offiziellen Währungen zu stabilisieren, ergibt sich so etwas wie ein funktionierender „Goldstandard“. Dass so ein Arrangement dann auch eine gedeihliche Wirtschaftsentwicklung ermöglicht oder fördert, ist damit nicht gesagt.

Weder Gold noch digitale Fantasie-Währungen wie Bitcoin, die von manchen Krypto-Firmen wegen ihrer Mengenlimitierung als „digitales Gold“ beworben werden, werden heutzutage als Geld oder Geldanker eingesetzt.[13] Aus gutem Grund: Im Unterschied zu Geld sind sie nicht über den Kreditprozess an wirtschaftliche Wertschöpfung, die gesellschaftliche Arbeitsteilung und den Wirtschaftskreislauf angebunden. Sie sind auch nicht von einem verantwortlichen Emittenten garantiert, der Glaubwürdigkeit aus seiner Funktion als Verwalter eines großen Pools von Deckungswerten und Knotenpunkt laufender Zahlungen, und rechtlicher Verankerung schöpft. Deswegen unterliegt ihr Marktwert teilweise wilden Kursschwankungen und es fehlt ihnen die Verlässlichkeit als Wertträger und Wertmaßstab, die alltagstaugliches Geld ausmacht.

Weder Gold noch digitale Fantasie-Währungen wie Bitcoin, die von manchen Krypto-Firmen wegen ihrer Mengenlimitierung als „digitales Gold“ beworben werden, werden heutzutage als Geld oder Geldanker eingesetzt.

Ein digitaler Euro würde nach den gleichen Regeln produziert wie Banknoten: Für jeden Euro, der die Zentralbank verlässt, kommt eine verzinste, in der Regel mit Wertpapieren besicherte Rückzahlungsgarantie des Erstempfängers (in der Regel eine Geschäftsbank) herein. So soll Achtung auf einen sinnvollen Verwendungszweck neuen Geldes erzeugt werden, das sich gedeihlich in den Wirtschaftskreislauf einfügt und mittelfristig die Kaufkraft des Geldes sichert. Alle Menschen, die Guthaben bei Geschäftsbanken halten, können dann digitale Euro oder Bargeld von ihrem Konto abheben, oder abseits des Kontos digitale Euro-Zahlungen von anderen empfangen.

Dass ausreichend viele Menschen diese Möglichkeit im Alltag als Bereicherung erleben, wird eine zentrale Erfolgsvoraussetzung sein, auf die die laufenden Untersuchungen und Vorarbeiten zum digitalen Euro gezielt hinarbeiten müssen.

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Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

[1] https://www.ecb.europa.eu/paym/digital_euro/html/index.de.html.

[2] Eine Publikums-Rückmeldung zum Bericht „Pläne in Arbeit: ´Digitaler Euro´ wirft Schatten voraus“ auf news.ORF.at am 12.11. 2021.

[3] https://www.cnbc.com/2022/06/08/apple-will-handle-lending-for-apple-pay-later.html, https://www.suerf.org/docx/f_8e19a39c36b8e5e3afd2a3b2692aea96_6729_suerf.pdf.

[4] Das Eurosystem ist für die einheitliche Geldpolitik des Euro-Währungsgebiets – dem zweitgrößten Wirtschaftsraum der Welt nach den USA – verantwortlich. Es besteht aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken jener EU-Mitgliedstaaten, die den Euro eingeführt haben. https://www.oenb.at/Ueber-Uns/Aufgaben/die-oenb-im-eurosystem.html.

[5] https://www.ecb.europa.eu/paym/digital_euro/html/index.de.html.

[6] https://www.ecb.europa.eu/paym/digital_euro/html/pubcon.en.html.

[7] https://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2022/html/ecb.pr220330~309dbc7098.en.html.

[8] Wenn die Kundschaft einen Einkauf mit Karte zahlt, können für das verkaufende Unternehmen Gebühren an die Kartenfirma in Höhe von 1-3% des Betrags anfallen. Für einen Überblick über das Geschäfts- und Organisationsmodell von modernen Kartenzahlungen und Überweisungen siehe  https://www.oenb.at/dam/jcr:71bb9a03-6ee9-4a5e-90b2-c1eabb07741f/05_Mop_Q1-2_22_From-Sepa-to-the-digital-euro.pdf.

[9] https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/scpops/ecb.op286~9d472374ea.en.pdf.

[10] https://www.bis.org/publ/othp33.htm.

[11] https://www.imf.org/en/Publications/fintech-notes/Issues/2022/02/07/Behind-the-Scenes-of-Central-Bank-Digital-Currency-512174.

[12] https://www.whitehouse.gov/briefing-room/presidential-actions/2022/03/09/executive-order-on-ensuring-responsible-development-of-digital-assets/.

[13] https://www.fooledbyrandomness.com/BTC-QF.pdf.

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.

Schlagwörter

Digitaler Euro, Geld, Zentralbanken, Euroraum

Zitation

Weber, B. (2022). Wozu wird am digitalen Euro gearbeitet? Wien. ÖGfE Policy Brief, 13’2022

Beat Weber

Beat Weber ist Ökonom bei der Oesterreichischen Nationalbank.