Österreich und die europäische Integration – Wirtschaftliche Aspekte

Handlungsempfehlungen

  1. Die EU-Wirtschaftspolitik sollte sich mehr an den traditionellen Handlungsoptionen aus der ökonomischen Wachstumstheorie orientieren. Insbesondere sollte die Spezialisierung auf Hochtechnologieprodukte bzw. wissensintensive Tätigkeiten und die Verbesserung des Bildungsniveaus gefördert werden.
  2. Zusätzlich empfehlen wir, Maßnahmen im Rahmen der Vertiefung der Währungsunion zu forcieren, um die Stabilität des Wirtschafts- und Bankensystems zu verbessern und dadurch die ökonomische Unsicherheit für Unternehmen und Investoren zu verringern.
  3. Der Gesamtgewinn aus der europäischen Integration sollte fair und EU-rechtskonform auch auf jene identifizierbaren Bevölkerungsgruppen verteilt werden, denen die EU-Mitgliedschaft Nachteile am Arbeitsmarkt brachte.

Zusammenfassung

Angesichts einer Vielzahl europapolitischer Diskussionsfelder sind die wirtschaftlichen Vorteile der EU bzw. der gemeinsamen Währung in letzter Zeit in den Hintergrund geraten. Wir fassen daher die wichtigsten Argumente hierzu zusammen und geben einen Überblick über neuere empirische Studien zu diesem Thema. Diese Arbeiten bescheinigen Österreich durch die EU-Mitgliedschaft substanzielle positive Wachstumseffekte, einhergehend mit dementsprechenden Anstiegen der Gesamtbeschäftigung. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass nicht alle Österreicher(innen) im gleichen Ausmaß von der EU-Mitgliedschaft profitierten und die Mitgliedschaft für einzelne Bevölkerungsgruppen auch Nachteile brachte. Die gemeinsamen Krisenbekämpfungsmaßnahmen aller EU-Mitglieder zusammen haben die Stabilität des österreichischen Bankensystems und damit der österreichischen Volkswirtschaft erhöht. Der österreichische Nettobeitrag von 0,4% des österreichischen BIP in das EU-Budget ist angesichts der errechneten positiven Wachstumseffekte infolge der EU-Mitgliedschaft vergleichsweise gering.

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 Österreich und die europäische Integration – Wirtschaftliche Aspekte [1]

I. Vorgeschichte

Getragen vom Wunsch, eine Wiederholung der Schrecken des Zweiten Weltkriegs zu vermeiden, wurde in den 1950er-Jahren begonnen, Europa politisch und wirtschaftlich zu einen. Wirtschaftliche Beziehungen der Länder untereinander sollten den Frieden sichern. Ökonomische Beziehungen waren also „Mittel zum Zweck“ und nicht das primäre Ziel der Integration. Dennoch gab es – und gibt es nach wie vor – auch gute ökonomische Gründe für die europäische Integration.[2]

II. Herausforderungen für Industriestaaten: Globalisierung und Konjunktureinbrüche

Möchte man Kosten und Nutzen der EU-Mitgliedschaft analysieren, sind simple Vergleiche mit der Zeit vor der EU-Mitgliedschaft nicht zielführend. Auch ohne EU Mitgliedschaft hätten sich das internationale Umfeld und die Wachstums- und Beschäftigungsaussichten in Österreich verändert (Beer et al. 2017). Nicht nur die EU-Mitgliedsländer, sondern praktisch alle Industriestaaten der Welt stehen vor den im Weiteren aufgezählten Herausforderungen:

  • Die Auswirkungen der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren sind noch nicht überwunden.
  • Die Globalisierung führt zu neuen Absatzchancen für europäische Unternehmen und zu billigeren Importen für Konsumenten (bspw. günstigere Textilimporte) und für Unternehmen (Vorleistungsgüter für die heimische Produktion); sie führt allerdings auch zu erhöhter Konkurrenz für Unternehmen und Beschäftigte.
  • Die Schwellenländer holen in vielen Bereichen technologisch auf (z.B. Unterhaltungselektronik) und können zu weit niedrigeren Lohnkosten produzieren. Sie bieten zunehmend vergleichsweise billige Produkte auf dem Weltmarkt an.
  • Unter diesem Kosten- und Lohndruck spezialisieren sich viele Industriestaaten im internationalen Wettbewerb auf wissensorientierte Produkte und know-how-intensive handelbare Dienstleistungen. Für die Spezialisierung reichen die oft kleinen nationalen Absatzmärkte nicht mehr aus, weshalb exportiert werden muss. Darüber hinaus werden immer mehr Güter in internationalen Produktionsketten erzeugt, wodurch die Spezialisierung weiter steigt (z.B. in der Automobilindustrie).
  • Armut, korrupte Regime, kriegerische Auseinandersetzungen oder klimatische Veränderungen zwingen viele Menschen ihr Heimatland zu verlassen und sich unter anderem in hochentwickelten Ländern auf die Suche nach Sicherheit und in weiterer Folge nach Arbeit zu begeben.

III. Generelle wachstumsfördernde Effekte der Integration

Die wirtschaftsbelebenden Auswirkungen der europäischen Integration können temporärer oder permanenter Natur sein. Allerdings folgt auch aus einer temporären Erhöhung der Wachstumsrate eine permanente Erhöhung des Niveaus des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Permanente Wachstumseffekte stellen sich ein, wenn die Integration zu makroökonomisch steigenden Skalenerträgen führt. Die wichtigsten Argumente für wachstumssteigernde Wirkungen der europäischen Integration (Beer et al. 2017) werden im Weiteren angeführt. An diesen Punkten können auch zusätzliche Maßnahmen der Wirtschaftspolitik ansetzen:

  • Schaffung eines großen gemeinsamen Handelsraums.
  • Verringerung der Transport-, Informations- und Transaktionskosten aufgrund von EU-Normierungen, des Wegfalls von Zöllen, des Abbaus anderer Handelsbarrieren und der gemeinsamen Währung.
  • Je weniger Handelshemmnisse auftreten, desto eher können komparative Kostenvorteile einzelner Unternehmungen bzw. Länder genutzt werden.
  • Verstärkter Handel kann zu mehr Effizienz und Produktivität führen. Konsument(inn)en profitieren z.B. von höherer Produktvielfalt und niedrigeren Preisen.
  • Durch die zunehmende Integration werden ausländische Direktinvestitionen und länderübergreifende Produktionsprozesse vereinfacht. Die internationale Verflechtung wird durch die klare Rechtslage innerhalb der EU erleichtert. Hiervon profitieren sowohl große Industrieunternehmen, die länderübergreifend bzw. EU-weit produzieren und/oder zu- und verkaufen, als auch kleine und mittlere Unternehmen, die sich als Zulieferer spezialisiert haben.
  • Forschung und Entwicklung (F&E) sowie Bildung bzw. Ausbildung („Humankapital“) werden in der EU in vielfacher Weise gefördert (z.B. Langfristziele für die Forschungsquote, Forschungsrahmenprogramm Horizont 2020, Erasmus). Gemäß der makroökonomischen Wachstumstheorie sind dies wichtige Faktoren für langanhaltendes Wachstum.
  • Die Teilnahme am Binnenmarkt und an der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) hat zu mehr Wettbewerb geführt. Wettbewerb kann zu niedrigeren Preisen und damit erhöhter Kaufkraft, größerer Auswahl und über den Wettbewerbsdruck zu verstärkten Produktinnovationen und daher auch zu höherem Wachstum führen (vgl. etwa Porter 2000; Aghion et al. 2001, Böheim 2004).

In der öffentlichen Diskussion werden Nettozahlungen an das EU-Budget oft kritisch beurteilt. Die österreichische Wirtschaft profitiert allerdings nicht nur von den direkten sektor- und regionsspezifischen Rückflüssen sondern auch durch die indirekten Effekte des innereuropäischen Finanzausgleichs. Förderungen für ärmere Mitgliedstaaten erhöhen die Kaufkraft in diesen Staaten, wodurch die Absatzmärkte und Investitionsmöglichkeiten für österreichische Unternehmen vergrößert werden. Die EU-Beiträge können daher auch als „Investition“ begriffen werden. Darüber hinaus tragen die Förderungen dazu bei, dass die ärmeren EU-Mitgliedsländer ein stärkeres Wirtschaftswachstum aufweisen als reichere, sodass die dort lebende arbeitsfähige Bevölkerung in der Zukunft keine Notwendigkeit sieht, ihr Land aus wirtschaftlichen Gründen zu verlassen und in den bislang vergleichsweise reichen EU-Ländern nach Arbeit zu suchen.
Ein weiterer indirekter Effekt der EU- bzw. Euro-Mitgliedschaft ist, dass dem österreichischen Staat aus der Bankenkrise keine massive Vertrauenskrise erwuchs. Angesichts der potenziell hohen fiskalischen Stabilisierungsaufwendungen für den Bankensektor infolge der globalen Finanzkrise wäre es in einem Regime mit nationaler Währung zu einem starken Abwertungsdruck und steigenden Finanzierungskosten für den Staat gekommen. Unter Umständen wäre sogar die Fähigkeit, sich auf dem internationalen Kapitalmarkt zu verschulden, in Frage gestellt worden.

IV. Positive makroökonomische Wirkungen auf Wachstum und Beschäftigung in Österreich

Um die Integrationsauswirkungen zu quantifizieren, muss die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs mit jener in einem fiktiven Alternativszenario (z.B. Österreich wäre nicht Mitglied der EU geworden oder bestimmte Integrationsschritte wären ausgeblieben) verglichen werden. Da die Entwicklung im Alternativszenario nicht beobachtbar ist, muss sie geschätzt werden. Derartige Schätzungen sind immer mit Unsicherheit behaftet. Ungeachtet aller Unterschiede zeigen jedoch sämtliche neueren Studien, dass die Mitgliedschaft in der EU positive Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum, die Exporte und die Beschäftigung in Österreich hatte (Beer et al. 2017 und Tabelle 1):

  • Nach Breuss (2016) hatte die Ostöffnung (1989) eine jährliche Erhöhung des Wachstums des BIP in Österreich um durchschnittlich 0,2 Prozentpunkte zur Folge. Der EU-Beitritt (1995) hat zu einer Erhöhung um 0,6 Prozentpunkte pro Jahr und zur Schaffung von 12.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen pro Jahr geführt. Die EU-Erweiterungen der Jahre 2004 und 2007 führten zu 0,2 Prozentpunkten zusätzlichem jährlichen Wirtschaftswachstum. Die Integrationsschritte überlappen sich, weshalb die einzelnen Effekte nicht einfach addiert werden können. Betrachtet man alle Integrationsschritte (inklusive Währungsunion), ergibt sich als Gesamteffekt ein im Durchschnitt um 0,9 Prozentpunkte höheres jährliches reales Wirtschaftswachstum und die Schaffung von jährlich 18.000 Arbeitsplätzen. Insgesamt liegt durch die europäische Integration seit 1989 die österreichische Wirtschaftsleistung um ca. 29% höher.
  • Berger et al. (2014) kommen zu dem Ergebnis, dass aufgrund des EU-Beitritts das jährliche reale BIP-Wachstum um 0,6 Prozentpunkte höher lag, die Beschäftigung jährlich um rund 16.000 Personen gestiegen ist und die Arbeitslosenquote um rund 0,6 Prozentpunkte geringer war.
  • Mittels Methode der synthetischen Kontrolle (vgl. Abadie und Gardeazabal 2003) zeigen Campos et al. (2014), dass Österreichs BIP im Jahr 2008 (Ende des Untersuchungszeitraums) um 7,2% höher lag als ohne EU-Beitritt; das entspricht einem um durchschnittlich 0,8 Prozentpunkte höheren jährlichen Wirtschaftswachstum.
  • Mit einer ähnlichen Methode zeigen Boockmann et al. (2015) dass Österreichs BIP pro Kopf aufgrund der EU-Integration 1995 bis 2008 im Durchschnitt um 4,6% höher lag.
  • Gemäß Bertelsmannstiftung (2014) konnte Österreich aufgrund der Integrationsschritte seit 1993 im Jahr 2012 Vorteile in der Höhe von 25% des Einkommensniveaus des Jahres 1992 lukrieren. Österreich wies damit den vierthöchsten Zuwachs auf.
  • Für den österreichischen Güterhandel zeigen Oberhofer und Winner (2015), dass durch die EU-Mitgliedschaft die Exporte in bestehende Märkte um rund 10% anstiegen; auf die Erschließung neuer Exportmärkte waren die Auswirkungen hingegen relativ gering. Die größten Exportzuwächse konnten durch die Osterweiterung verbucht werden. Der Anstieg der Importe führte zu erheblichen Wohlfahrtsgewinnen der Konsument(inn)en und Produzent(inn)en.

V. Keine eindeutige Identifizierung von Gewinnern und Verlierern

Auch wenn sich die Mitgliedschaft in der EU und im Euroraum makroökonomisch betrachtet sowohl auf das Wirtschaftswachstum als auch auf die Beschäftigung in Österreich positiv ausgewirkt hat, muss das nicht bedeuten, dass alle Bevölkerungsgruppen gewonnen haben. Verluste sind ebenso möglich; relative Verluste (gegenüber entsprechenden Vergleichsgruppen) treten hierbei vermutlich öfter auf als absolute Verluste. „Gewinne“ beziehungsweise „Verluste“ können in unterschiedlichster Form definiert sein. Für jede der unterschiedlichen Fragestellungen müsste, wie bei den makroökonomischen Analysen jeweils ein Alternativszenario ohne europäische Integration zum Vergleich analysiert werden. Derartige Studien sind uns aber nicht bekannt.
Einen besonderen Stellenwert nimmt in der politischen Diskussion die Frage ein, ob die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu einer Substitution von inländischen durch ausländische Arbeitnehmer(innen) geführt hat. Für eine nüchterne Einschätzung der kausalen Auswirkungen müssen mehrere, teils widersprüchliche Aspekte berücksichtigt werden (Beer et al. 2017):

  1. Die europäische Integration führt zu einem insgesamt stärkeren Wirtschaftswachstum und damit insgesamt zu einer stärkeren Nachfrage nach Arbeit.
  2. Die Personenfreizügigkeit führt zu vermehrten Chancen für höherqualifizierte Österreicher(innen) im EU-Ausland.
  3. Die Personenfreizügigkeit führt zu einem erhöhten Arbeitsangebot von EU-Ausländer(innen) in Österreich. Insgesamt ist das Arbeitsangebot in Österreich gestiegen.
  4. Durch die Arbeitsmigration nach Österreich konnte ein bestehender „Mismatch“ an Angebot und Nachfrage (z.B. Maschinenbau oder Pflegebereich) reduziert werden.
  5. Arbeitsmigrant(inn)en bieten ihre Arbeit im Vergleich zur ansässigen Bevölkerung oft und selbst unter Einhaltung kollektivvertraglicher Bedingungen günstiger an. Die entstehende Konkurrenzsituation um Arbeit zwischen In- und Ausländer(innen) (Substitution) ist umso stärker, je niedriger das Ausbildungsniveau der Inländer(innen) ist (Huber und Böhs 2012).
  6. Die unter viertens und fünftens angeführten Effekte können wiederum zu relativ stärkerem Wirtschaftswachstum und in Folge zu relativ höherer Beschäftigung der einheimischen Bevölkerung führen (Komplementarität).

Weder verfügbares Datenmaterial noch empirische Studien lassen eindeutige Schlüsse auf die Nettobeschäftigungseffekte der Integration auf Österreicher(innen) bzw. in Österreich Ansässige und deren Substitution durch neu zugezogene ausländische Arbeitnehmer(innen) zu. Eine genauere Evaluierung wäre aber erforderlich, damit die österreichische Steuer- und Ausgabenpolitik die Integrationsgewinne effizient verteilen und potenzielle Verlierer nachhaltig kompensieren kann. Dabei gilt es, den innereuropäischen Migrationsdruck ausschließlich durch EU-solidarische Maßnahmen zu senken – unter Wahrung von Personenfreizügigkeit und Diskriminierungsverbot.

VI. Währungsunion und Euro

Durch die Wirtschafts- und Währungsunion ist Österreich in die geldpolitischen Entscheidungen eines Big Players eingebunden. Eine Währungsunion bedeutet nicht nur eine gemeinsame Geldpolitik der beteiligten Länder, sondern hat auch weitere makroökonomische Auswirkungen. Die direkten Vorteile einer Währungsunion sind unter anderem die Eliminierung von Transaktionskosten, der Entfall des Wechselkursrisikos und der verstärkte Wettbewerb aufgrund erhöhter Preistransparenz. Gleichzeitig ist in einer Währungsunion keine eigenständige nationale Geld- und Wechselkurspolitik möglich und die Geldpolitik ist auf den Währungsraum insgesamt ausgerichtet. Damit geht ein nationales Instrument zur Stabilisierung bei länderspezifischen Schocks verloren (vgl. Theorie der optimalen Währungsräume; Mundell 1961; McKinnon 1963; Kenen 1969). Allerdings ist bei der Einschätzung der Nachteile auch zu berücksichtigen, ob eine eigenständige Geldpolitik außerhalb des Euroraums überhaupt erfolgreich wäre. Im Folgenden soll auf einige makroökonomische Aspekte der gemeinsamen Währung und der gemeinsamen Geldpolitik eingegangen werden (Beer et al. 2017):

  • Die durchschnittliche jährliche Inflationsrate von 1999 bis 2016 lag in Österreich bei 1,8%. Die durchschnittliche Inflationsrate in der Nachkriegszeit vor der Währungsunion lag mit 3,8% wesentlich höher. Zwar ist die Inflation auch außerhalb des Euroraums gesunken, jedoch nicht im selben Ausmaß. Die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 brachte einen weiteren Einschnitt bei der Inflationsentwicklung. Die außergewöhnlich niedrigen Inflationsraten in den letzten Jahren sind unter anderem auf den Rückgang der Rohstoffpreise (insbesondere des Ölpreises) und die schwache Konjunkturentwicklung zurückzuführen.
  • Aufgrund der niedrigen Inflation in einigen Euroraum-Ländern wurde sogar ein Deflationsrisiko (ähnlich der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre) befürchtet. Die EZB hat im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise eine Reihe von Maßnahmen gesetzt (etwa Zinssenkungen, Liquiditätsbereitstellung in Form von äußerst günstigem Zentralbankgeld, großvolumige Wertpapierkäufe). Diese Maßnahmen haben erfolgreich die Deflationsgefahr eingedämmt und die Inflationsrate wieder an das Preisstabilitätsziel herangeführt sowie die Realwirtschaft unterstützt.
  • Vielfach wird kritisiert, dass sich aufgrund der seit der Krise schrittweise auf ein Niveau um null gesenkten Leitzinsen des Eurosystems und der in der Folge niedrigen Sparzinsen das Sparen nicht mehr lohnt. Die Veranlagung in Sparguthaben ist aber nur eine Möglichkeit der Geldnutzung unter vielen. Bei niedrigen Zinsen werden andere Verwendungen (z.B. andere Anlageformen oder Konsumausgaben) relativ attraktiver. Außerdem bringen niedrige Zinsen einen Vorteil für Kreditnehmer. Dies führt auch zu einer Belebung der Konjunktur, die letztendlich wieder allen zugutekommt. Darüber hinaus sinkt die Zinslast des Staates wodurch sich der wirtschaftspolitische (verteilungspolitische) Spielraum erhöht.
  • Die EU und das Eurosystem haben eine Reihe von Maßnahmen gesetzt, die die Finanz- und Bankenstabilität in Zukunft stärken werden (etwa Bankenregulierungen, einheitliche Aufsicht, Abwicklungsmechanismus, in Zukunft ein gemeinschaftliches Einlagensicherungssystem). Diese Maßnahmen zielen auf eine Verringerung der Wahrscheinlichkeit künftig mit Banken- und Finanzmarktkrisen konfrontiert zu werden.
  • Letztlich stellt die Währungsunion einen Schutzschild gegen Währungsspekulationen dar, denen die Währungen kleiner Länder (z.B. Finnland 1992), aber auch größerer Länder (z.B. Pfundkrise 1992), ausgesetzt sind.

Ob die Währungsunion zu einem Anstieg des österreichischen BIP geführt hat, wird – im Gegensatz zu den Auswirkungen des EU-Beitritts – in der wissenschaftlichen Literatur nicht einheitlich beantwortet:

  • Breuss (2016) berechnet einen Wachstumseffekt von 0,5 Prozentpunkten pro Jahr. Darüber hinaus hat Österreichs Mitgliedschaft in der Währungsunion kumuliert die Arbeitslosigkeit um einen Prozentpunkt gedämpft.
  • Fernández und García Perea (2015) und Oberhofer und Winner (2015) kommen zu dem Schluss, dass die Euro-Einführung kaum Effekte hatte.
  • Campos et al. (2014) zeigen, dass für Euro-Länder der kumulative Wachstumsvorteil der EU-Mitgliedschaft im Durchschnitt um zwei Prozentpunkte höher ist als für EU-Mitgliedstaaten, die den Euro noch nicht eingeführt haben.

Die teils dramatischen Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf einzelne Euroländer haben klare Schwächen der Währungsunion aufgezeigt. Als Antwort auf die Krise wurden bereits erfolgreich institutionelle Reformen durchgeführt (z.B. Europäischer Stabilitätsmechanismus, Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts). Um in Zukunft das Wachstumspotential des Euros auszuschöpfen, schlägt der Fünf-Präsidentenbericht (Juncker et al. 2015) weitere Reformen zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion (inkl. Europäisches Schatzamt) vor.

[1] Dieser Policy Brief stellt im Wesentlichen eine Kurzfassung des makroökonomisch orientierten Teils der Studie Beer et al (2017) dar. In dieser Studie finden sich auch weitergehende Quellenangaben. Die von den Autoren zum Ausdruck gebrachte Meinung gibt nicht notwendigerweise die Meinung der Oesterreichischen Nationalbank oder des Eurosystems wieder.
[2] Unsere Konzentration auf vorwiegend wirtschaftliche Aspekte der EU-Mitgliedschaft soll weder die Leistungen noch die Herausforderungen des europäischen Einigungsprozesses als Friedensprojekt, Sozialmodell und Wertegemeinschaft schmälern. Über die wirtschaftliche Dimension hinaus gewinnt in unsicheren Zeiten die originäre Zielsetzung eines geeinten Europas als Friedensprojekt sogar wieder an Bedeutung.

  • Abadie, A. und J. Gardeazabal. 2003. The Economic Costs of Conflict: A Case Study of the Basque Country. In: American Economic Review 93. 113–132.
  • Aghion, P., C. Harris, P. Howitt und J. Vickers. 2001. Competition, Imitation and Growth with Step-by-Step Innovation. In: Review of Economic Studies 68. 467–492.
  • Beer, C., A. Belabed, A. Breitenfellner, C. Ragacs und B. Weber (2017). Österreich und die europäische Integration. In: Monetary Policy and the Economy Q1/17. 86–125.
  • Berger, J., N. Graf, L. Strohner und U. Schuh. 2014. Wirtschaftliche Auswirkungen der österreichischen Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Policy Note No. 7. EcoAustria.
  • Bertelsmannstiftung. 2014. 20 Jahre Binnenmarkt: Wachstumseffekte der zunehmenden europäischen Integration. Studie der Prognos AG im Auftrag der Bertelsmannstiftung.
  • Böheim, M. 2004. Wettbewerb, Wettbewerbspolitik und Wirtschaftswachstum. Theoretische Grundlagen und empirische Evidenz für Österreich. In: WIFO Monatsberichte 10/2004. 751–768.
  • Boockmann, B., G. Felbermayr, W. Kohler und R. Aichele. 2015. 20 Jahre Österreich in der Europäischen Union – Herausforderungen und Optionen für die Zukunft. Studie des ifo Instituts gemeinsam mit dem IAW Tübingen im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Endbericht. 9. Juni 2015.
  • Breuss, F. 2016. A Prototype Model of European Integration: The Case of Austria. In: Bednar-Friedl, F. und J. Kleinert (Hrsg.). Dynamic Approaches to Global Economic Challenges. Festschrift in Honor of Karl Farmer. Springer. 9–30.
  • Campos, N., F. Coricelli und L. Moretti. 2014. Economic Growth and Political Integration: Estimating the Benefits from Membership in the European Union Using the Synthetic Counterfactuals Method. IZA Discussion Papers 8162. Bonn.
  • Fernández, C. und P. García Perea. 2015. The Impact of the Euro on Euro Area GDP per Capita. Documentos de Trabajo N. 1530. Banco de España.
  • Huber, P. und G. Böhs. 2012. Monitoring der Arbeitsmarktauswirkungen der Zuwanderung aus den neuen EU-Ländern im Regime der Freizügigkeit, Begleitende Beratung und Analyse. Studie des WIFO im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Wien.
  • Juncker, J.-C., D. Tusk, J. Dijsselbloem, M. Draghi und M. Schulz. 2015. Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden. Europäische Kommission, Brüssel.
    Kenen, P. 1969. The Theory of Optimum Currency Areas: An Eclectic View. In: Mundell, R. und A. Swoboda (Hrsg.). Monetary Problems of the International Economy. Chicago/London. 41–59.
  • McKinnon, R. 1963. Optimum Currency Areas. In: The American Economic Review 53. 717–724.
  • Mundell, R. 1961. A Theory of Optimum Currency Areas. In: The American Economic Review 51(4). 657–665.
  • Oberhofer, H. und H. Winner. 2015. Handelseffekte der österreichischen EU-Integration.
  • Porter, M. E. 2000. The Current Competitiveness Index: Measuring the Economic Foundations of Prosperity. In: World Economic Forum. The Global Competitiveness Report.

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die die Autoren arbeiten, überein.
Zitation
Beer, C., Breitenfellner, A., Ragacs, C. (2017). Österreich und die europäische Integration – Wirtschaftliche Aspekte. Wien. ÖGfE Policy Brief, 13’2017

Christian Beer

Christian Beer ist Ökonom an der Österreichischen Nationalbank. Er arbeitet zu Strukturpolitik und Finanzmarktstabilität.

Andreas Breitenfellner

Andreas Breitenfellner ist Ökonom an der Österreichischen Nationalbank. Er arbeitet zum Aufbau der WWU, zu Makroökonomik und zu vergleichenden Länderanalysen.

Christian Ragacs

Christian Ragacs ist Ökonom an der Österreichischen Nationalbank. Er arbeitet zu Wirtschaftsprognosen, Konjunkturanalysen und makroökonomischem Modellbau.