Multilaterale Ansätze zur Lösung multilateraler Probleme

Gemeinsame Steuerpolitik ermöglicht nationale Handlungsspielräume

Handlungsempfehlungen

  1. In einem eng verflochtenen Wirtschaftsraum wie der EU bedarf es einer verstärkten steuerpolitischen Zusammenarbeit, die durch die Ersetzung des Einstimmigkeitsprinzips durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen erleichtert würde.
  2. Um die nationalstaatliche Finanzierungsbasis zu sichern und Lenkungssteuern effektiv einsetzen zu können, sind Maßnahmen gegen aggressive Steuerplanung der multinationalen Unternehmen und wirksame Mindeststeuersätze erforderlich.
  3. EU-Steuern auf Finanztransaktionen, CO2-Emissionen oder Kerosin können zur Finanzierung europäischer öffentlicher Güter beitragen.

Zusammenfassung

In der EU als eng verflochtenem Wirtschaftsraum mit steigender Mobilität von Kapital, Gütern und Arbeitskräften sind der nationalstaatlichen Steuerpolitik Grenzen gesetzt. Daher bedarf es einer verstärkten EU-weiten Zusammenarbeit: Einerseits zur Sicherung der Finanzierungsbasis der EU-Länder für nationalstaatliche Aufgaben sowie die Bereitstellung europäischer öffentlicher Güter. Andererseits als Voraussetzung dafür, dass die Steuerpolitik stärker als effektiver lenkungspolitischer Hebel eingesetzt werden kann. Diese verstärkte Zusammenarbeit kann verschiedene Formen annehmen: Die Harmonisierung bzw. Koordination bestimmter Steuern, deren Einnahmen weiterhin auf der nationalstaatlichen Ebene verbleiben; oder die Einführung europäischer Steuern, deren Einnahmen der EU zur Finanzierung europäischer Aufgaben zufließen. Jüngst konnten mit der EU-weiten Einführung des automatischen Informationsaustausches und der Ausweitung der betroffenen Kapitaleinkünfte wichtige Schritte zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung von Privatpersonen gesetzt werden. Akuter Handlungsbedarf besteht bei der Eindämmung der „aggressiven Steuerplanung“ multinationaler Unternehmen. Wichtige Ansatzpunkte sind die Einführung eines Systems länderbasierter Rechnungslegung sowie einer „unitary taxation” kombiniert mit Mindeststeuersätzen. Eine wirksame Besteuerung von Alkohol- und Tabakkonsum erfordert Mindeststeuersätze, die schrittweise über eine Valorisierung hinaus angepasst werden. Zudem ist die Energiesteuerrichtlinie zu aktualisieren: Nötig sind wirksame Mindeststeuersätze (orientiert an Energiegehalt und CO2-Emissionen der Energieträger) für fossile Energieträger und deren regelmäßige Valorisierung. Kandidaten für EU-Steuern sind Steuern auf Finanztransaktionen, CO2-Emissionen oder Kerosin.

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Abgabenquoten von im Durchschnitt knapp vierzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die „alten“ EU-Länder und von etwa 36 Prozent für die gesamte EU bergen ein hohes Potenzial von Steuern und Abgaben zur Erreichung der Ziele der EU 2020-Strategie und zu darüber hinaus gehenden „Beyond-GDP“-Zielen[1]. Gleichzeitig muss bei solch hohen Abgabenquoten das Abgabensystem geradezu auch für die Erreichung nicht-fiskalischer Ziele eingesetzt werden: Wird etwa auf eine effektive Besteuerung umwelt- oder gesundheitsschädigender Aktivitäten verzichtet, sondern dominieren Steuern mit unerwünschten „Nebenwirkungen“ (etwa hohe Abgaben auf die Arbeit), müssen dadurch mit verursachte Umwelt- und Gesundheitsschädigungen oder höhere Arbeitslosigkeit anschließend mit zusätzlichen staatlichen Ausgaben „repariert“ werden, die wiederum Steuererhöhungen erfordern. Das Abgabensystem sollte daher von vornherein in den Dienst strategischer Zielsetzungen gestellt werden.

Zielsetzungen einer nachhaltigen Steuerpolitik

Eine strategische Steuerpolitik soll zunächst zur Wiederherstellung bzw. zum Erhalt langfristig nachhaltiger öffentlicher Finanzen beitragen. Dabei stellen die steigende internationale Kapitalmobilität und die damit einhergehende legale und illegale Steuerflucht sowie der demographische Wandel besondere Herausforderungen dar. Auch zur Stabilisierung des Finanzsektors sowie zur Überwindung der Wachstumsschwäche soll das Steuersystem beitragen. Ökologische Zielsetzungen ergeben sich aus dem Klimawandel, der allmählichen Erschöpfung natürlicher Ressourcen sowie den Bestrebungen zur Einleitung einer Energiewende. Weitere wichtige Ziele der Steuerpolitik sind die Förderung von Beschäftigung und die Reduktion der hohen Arbeitslosigkeit. Schließlich soll die Steuerpolitik auch die zunehmende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen korrigieren und die vielfach begrenzte bzw. abnehmende soziale Mobilität fördern. Dies sind die zentralen Zielsetzungen eines nachhaltigkeitsorientierten Abgabensystems, das die soziale Dimension (Empowerment, Inklusion und Governance), die ökologische Dimension (Resilienz, Schonung natürlicher Ressourcen, Aufhalten des Klimawandels und Reduktion von Umweltverschmutzung) und die ökonomische Dimension (Wachstum und Beschäftigung, Effizienz und Stabilität) der Nachhaltigkeit gleichermaßen umfasst.

Notwendigkeit einer verstärkten EU-weiten Zusammenarbeit in der Steuerpolitik

In einem eng verflochtenen Wirtschaftsraum mit zunehmender Mobilität von Kapital, Gütern und Arbeitskräften wie der Europäischen Union sind dem Beitrag der nationalen Steuerpolitik zu einer nachhaltigen Entwicklung allerdings gewisse Grenzen gesetzt. Da unilaterale steuerliche Maßnahmen vielfach nicht mehr effektiv durchzusetzen sind, bedarf es einer verstärkten EU-weiten Zusammenarbeit: Erstens, um die Finanzierungsbasis der öffentlichen Hand für die Erfüllung nationaler Aufgaben, aber auch zur Bereitstellung europäischer öffentlicher Güter sicherzustellen. Zweitens, damit die Steuerpolitik auch weiterhin als effektiver lenkungspolitischer Hebel eingesetzt werden kann. Diese verstärkte Zusammenarbeit kann verschiedene Formen annehmen: Die Harmonisierung bzw. Koordination bestimmter Steuern, deren Einnahmen weiterhin auf der nationalstaatlichen Ebene verbleiben; oder die Einführung europäischer Steuern, deren Einnahmen der EU zur Finanzierung europäischer Aufgaben zufließen.
Viele der hierzu erforderlichen Initiativen und Ansätze werden bereits seit längerem von der Europäischen Kommission immer wieder auf die Agenda gesetzt und intensiv von den EU-Mitgliedsländern diskutiert. In einigen Bereichen konnten in den letzten Jahren auch gewisse Fortschritte erzielt werden. Dies betrifft insbesondere die EU-weit koordinierten Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung von Privatpersonen. Ab 2017 wird – eingebettet in die Verabschiedung des automatischen Informationsaustausches als OECD-Standard – auf EU-Ebene ein umfassendes System des verpflichtenden automatischen Informationsaustausches umgesetzt. Daran werden anders als bei der seit 2005 geltenden Zinssteuerrichtlinie künftig ausnahmslos alle EU-Mitgliedsländer teilnehmen. Zudem werden neben den bisher schon erfassten grenzüberschreitenden Zinserträgen auch Dividenden und andere Kapitaleinkünfte sowie Veräußerungsgewinne einbezogen.
Sollen aber die Abgabensysteme der EU-Länder wachstums- und beschäftigungsfreundlicher werden und stärker zu sozialen und ökologischen Zielen beitragen, so gibt es weitreichenden Handlungsbedarf in einer Reihe weiterer steuerpolitischer Bereiche. Derzeit ist nämlich eher eine sinkende „Nachhaltigkeitsverträglichkeit“ der nationalen Abgabensysteme zu beobachten. Im EU-Durchschnitt ist die beschäftigungspolitisch problematische Abgabenbelastung der Arbeitseinkommen seit 2000 gestiegen. Auch hat die regressiv wirkende Mehrwertsteuer, die den ohnehin schwachen privaten Konsum belastet, an Gewicht zugelegt. Die Besteuerung von Umwelt- und Energieverbrauch und Alkoholkonsum hat dagegen an Bedeutung verloren, ebenso wie Steuern auf Kapitalbestände und –einkommen.[2]
Im Bereich der Unternehmensbesteuerung findet seit über drei Jahrzehnten ein ausgeprägter Steuerwettbewerb statt. Dieser manifestiert sich nicht nur in einem deutlichen Rückgang der tariflichen Körperschaftsteuersätze, sondern auch in sinkenden effektiven Steuersätzen. Neuere empirische Resultate legen nahe – und werden von umfangreicher anekdotischer Evidenz bestätigt (Stichwort „LuxLeaks“) –, dass die gravierendste Begleiterscheinung des europäischen/internationalen Unternehmenssteuerwettbewerbs die massive Verschiebung von Gewinnen multinationaler Unternehmen in niedriger besteuernde Länder innerhalb und außerhalb der EU ist. Die entgangenen Steuereinnahmen – die durch oft wenig nachhaltigkeitsverträgliche Steuererhöhungen, etwa auf Arbeitseinkommen oder Konsum, kompensiert werden müssen, wenn nicht die staatlichen Leistungen entsprechend gekürzt werden sollen – dürften beträchtliche Ausmaße erreichen, wie aktuelle Schätzungen zeigen.[3] Empirische Analysen von Egger/Eggert/Winner (2010) ergeben, dass die effektive Unternehmenssteuerbelastung von multinationalen Unternehmen wesentlich geringer ist als jene vergleichbarer, rein nationaler Unternehmen. Auch kann empirisch gezeigt werden, dass internationale Steuersatzunterschiede die ausgewiesenen Gewinne von grenzüberschreitend tätigen Unternehmen stark beeinflussen, also Gewinnverschiebung zur Steuervermeidung auslösen.

Ansätze gegen die „aggressive Steuerplanung“ multinationaler Unternehmen

Eine nachhaltige europäische Steuerpolitik muss sich zunächst des Problems der – grundsätzlich legalen – Gewinnverschiebung durch grenzüberschreitend aktive Unternehmen annehmen. Dazu gehört der Abbau von Steuervergünstigungen und –konstruktionen einzelner EU-Mitgliedsländer, die multinationalen Unternehmen die Minimierung der Konzernsteuerlast ermöglichen. So verschaffen sich diese einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber binnenorientierten Unternehmen und entziehen sich einem angemessenen Beitrag zur Finanzierung der von ihnen genutzten steuerfinanzierten öffentlichen Leistungen.
Gegen diese „aggressive Steuerplanung“ versuchen international koordinierte Initiativen auf OECD-/ G20-Ebene („BEPS“[4]) sowie auf EU-Ebene vorzugehen. Die Europäische Kommission legte im Dezember 2012 einen breit angelegten Aktionsplan gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung vor[5] Zudem veröffentlichte sie eine Empfehlung an die Mitgliedsländer zum Umgang mit Steueroasen sowie Maßnahmen gegen aggressive Steuerplanung multinationaler Unternehmen. Diesen wichtigen ersten Schritten müssen jedoch weitere folgen, wobei insbesondere zwei Ansatzpunkte als besonders effektiv erscheinen. Erstens ein System einer länderbasierten Rechnungslegung („country-by-country-reporting“), d.h. die Verpflichtung für multinationale Unternehmen, Unternehmensergebnisse und Steuerzahlungen getrennt nach den Ländern auszuweisen, in denen ihre Aktivitäten angesiedelt sind. Die solchermaßen hergestellte Transparenz über die länderweise Verteilung von Wirtschaftsaktivitäten und Steuerzahlungen erleichterte die Identifikation von Steuerschlupflöchern und erhöhte den Druck auf die betreffenden Länder zu deren Abschaffung. Zweitens ist eine gewisse Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in der EU wohl unumgänglich. Die letzte Europäische Kommission zielte im Rahmen ihrer diesbezüglichen Initiativen nur mehr auf die Einführung von EU-weit einheitlichen Regelungen für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage grenzüberschreitend aktiver Unternehmen ab. Die ursprünglich angestrebte „unitary taxation“[6], die Verteilung der steuerpflichtigen Gewinne multinationaler Unternehmen auf die Standorte der einzelnen Konzernunternehmen entsprechend der dort erwirtschafteten Wertschöpfung auf der Basis einer wertschöpfungsorientierten Zerlegungsformel verfolgte sie dagegen nicht weiter. Dabei könnte diese – kombiniert mit Mindeststeuersätzen – der steuerminimierenden Gewinnverschiebung effektiv einen Riegel vorschieben.

Schaffung der Rahmenbedingungen für die effektivere Nutzung von Lenkungssteuern

Ein zweites Handlungsfeld für die neue Europäische Kommission sind Lenkungssteuern: Umweltsteuern, aber auch Steuern auf Tabak- und Alkoholkonsum. Diese haben positive umwelt-bzw. gesundheitspolitische Lenkungswirkungen und sind gleichzeitig wesentlich wachstums- und beschäftigungsverträglicher als etwa die Besteuerung der Arbeitseinkommen. Ihre effektive Durchsetzung wird allerdings in einem integrierten Binnenmarkt wie der EU zunehmend erschwert: Ausweichmöglichkeiten (etwa in Form von Tanktourismus oder des Ausweichens auf in räumlicher Nähe gelegene Flughäfen in Ländern ohne Steuern auf den Flugverkehr) setzen die Steuersätze unter Druck beziehungsweise veranlassen nationale Regierungen, solche Lenkungssteuern wieder abzuschaffen oder erst überhaupt nicht einzuführen.
Eine erste dringende Aufgabe ist es, Mindeststandards für eine ökologisch effektivere Energiebesteuerung zu etablieren. Eine aktualisierte Energiesteuerrichtlinie müsste wirksame Mindeststeuersätze für fossile Energieträger (Kraftstoffe und Brennstoffe für Heizzwecke) vorsehen. Anders als derzeit sollten diese regelmäßig an die Inflation angepasst werden, um die automatische inflationsbedingte reale Entwertung (die nicht nur aus fiskalischer Sicht unbefriedigend ist, sondern auch die Lenkungswirkung allmählich verringert) zu vermeiden. Die Steuersätze sollten, wie im Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission von 2011[7] vorgesehen, in zwei Komponenten aufgeteilt werden und sich sowohl am Energiegehalt als auch an den CO2-Emissionen der besteuerten Energieträger orientieren. Allerdings hat die neue EU-Kommission den Richtlinienentwurf von 2011 zurückgezogen, da nach jahrelangen langwierigen Verhandlungen mit dem Rat nur ein Kompromissvorschlag übrig geblieben ist – der aus Sicht der EU-Kommission inakzeptabel verwässert, aber dennoch nach wie vor im Rat nicht konsensfähig ist.
Ein spezifischer Bereich, in dem darüber hinaus angesichts seiner besonderen Klimaschädlichkeit dringender Koordinierungsbedarf gegeben ist, ist der Flugverkehr. Mögliche steuerliche Ansatzpunkte reichen von Mindeststeuersätzen für Flugticketabgaben sowie die Mineralölsteuer auf Kerosin bis hin zur Vorgabe, künftig den regulären Mehrwertsteuersatz auf Kerosin anzuwenden, um so die wichtigsten Steuerbegünstigungen des Flugverkehrs gegenüber der Bahn abzuschaffen bzw. einzuschränken[8].
Auch bei der Alkoholbesteuerung besteht Handlungsbedarf. Die derzeit geltenden Mindeststeuersätze stammen aus dem Jahr 1992[9] und wurden seither auf dem niedrigen Ausgangsniveau (der Mindeststeuersatz für Wein beträgt sogar Null) belassen. Hier ist eine schrittweise Anpassung (schrittweise Erhöhung plus eines Zuschlages zur Valorisierung) der Mindeststeuersätze angezeigt. Auch zur Angleichung der Alkoholsteuersätze gibt es einen schon älteren Richtlinienvorschlag der EU-Kommission[10], der jedoch ebenso wegen nicht absehbarer Einigung im Rat von der neuen EU-Kommission zurückgezogen wurde. Bei der Tabaksteuer sind ebenfalls weitere Schritte zur Erhöhung (einschließlich einer regelmäßigen Valorisierung) und Angleichung der länderspezifischen Mindeststeuersätze zu ergreifen. Auch sollte die Europäische Kommission ihre bisherigen Überlegungen und Initiativen für eine Vereinfachung des bestehenden, komplexen Systems von Bemessungsgrundlagen und Steuersätzen sowie für die Bekämpfung der Tabaksteuerhinterziehung forcieren[11].

Ansätze zur Einführung von EU-Steuern

Alternativ zu einer Harmonisierung in Form von Mindeststandards auf der nationalstaatlichen Ebene könnten bestimmte Lenkungssteuern auf der Grundlage einheitlicher Regelungen der EU zugewiesen, also als europäische Steuern ausgestaltet werden. Diese könnten im Rahmen der ohnehin überfälligen Reform des Finanzierungssystems des EU-Budgets einen Teil der derzeit dominierenden Beitragsfinanzierung durch die Mitgliedsländer ersetzen.[12] So ermöglichte die verstärkte Nutzung europäischer Steuern, die neben ihren positiven Lenkungseffekten auch relativ wachstums- und beschäftigungsverträglich sind, die Senkung nationalstaatlicher Steuern mit vergleichsweise ungünstigeren Wirkungen.
Europäische Steuern haben darüber hinaus zwei wesentliche Vorzüge: Sie stellen erstens einen Konnex zwischen europäischen Aufgaben und Ausgaben zur Bereitstellung europäischer öffentlicher Güter einerseits und deren Finanzierung durch europäische Steuern andererseits her. Zweitens können Steuergegenstände effektiv besteuert werden, deren Besteuerung auf nationalstaatlicher Ebene aufgrund von zu erwartenden Ausweichreaktionen nicht (mehr) möglich ist.
Mögliche, teilweise seit längerem diskutierte „Kandidaten“ sind eine Kerosinsteuer oder eine CO2-Steuer. Auch die Finanztransaktionssteuer gehört dazu: Mit einer möglichst breiten Basis würde sie auch mit sehr geringen Steuersätzen hohe Einnahmen erbringen. Und sie könnte durch die Eindämmung sehr kurzfristiger, spekulativer Finanztransaktionen zur Stabilisierung des Finanzsektors beitragen.

Schlussbemerkung und Ausblick

Dass es auf EU-Ebene so schwierig und langwierig ist, steuerpolitische Fortschritte zu erzielen, hat zwei Gründe. Erstens ist das steuerpolitische Mandat auf EU-Ebene aufgrund der EU-Verträge begrenzt. Ein direktes Mandat besteht nur bei den indirekten Steuern, um Wettbewerbsverzerrungen im einheitlichen Binnenmarkt zu vermeiden. Bei den direkten Steuern müssen steuerpolitische Vorstöße und Beschlüsse gesondert mit möglichen Wettbewerbsverzerrungen begründet werden. Zweitens wird allerdings nicht einmal der rechtlich begrenzte steuerpolitische Handlungsspielraum ausgenutzt, weil für den Steuerbereich als einem der wenigen politischen Handlungsfelder in der EU das Einstimmigkeitsprinzip gilt. Es ist offensichtlich, dass mit der wachsenden Zahl von Mitgliedsländern mit teilweise nach wie vor beträchtlichen sozio-ökonomischen und –kulturellen Unterschieden gerade in einem Bereich, der so sensibel ist wie die Steuerpolitik und oft ureigene nationalstaatliche Interessen berührt, Einstimmigkeit in Steuerfragen immer schwerer zu erreichen ist. Einerseits ist dieses Beharren vieler Mitgliedsländer auf dem Einstimmigkeitsprinzip nachvollziehbar, da die Steuerpolitik zu den ureigensten nationalstaatlichen Hoheitsrechten gehört. Andererseits ist diese so intensiv verteidigte nationalstaatliche steuerpolitische Souveränität de facto in vielen Bereichen nicht mehr gegeben. Eine verstärkte EU-weite steuerpolitische Zusammenarbeit würde, wenn die internationale Verflechtung die faktische Ausübung formaler Hoheitsrechte unmöglich macht oder erheblich erschwert, die Wiedergewinnung von Handlungsspielräumen erlauben. Die neue Europäische Kommission wäre daher gut beraten, ihre zuletzt im Vorfeld des Lissabon-Vertrages verfolgte Initiative zur Einführung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen zumindest in bestimmten Steuerfragen als eine Priorität wieder auf die Agenda setzen. Zudem ist das derzeitige indikatorenbasierte Screening der Steuersysteme der EU-Mitgliedsländer, das die Europäische Kommission jährlich im Rahmen des Europäischen Semesters vornimmt[13] nachhaltigkeitsorientierter auszugestalten: Ökologischen und verteilungspolitischen Aspekten muss bei dieser Überprüfung künftig ebenso viel Gewicht beigemessen werden wie den derzeit dominierenden wachstums- und beschäftigungspolitischen Zielsetzungen.
Insgesamt sollten sich Europäische Kommission wie auch die EU-Mitgliedstaaten selbst mehr als Vorreiter einer Steuerpolitik sehen, die offensiv zu einer ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung beiträgt – auch im globalen Zusammenhang. Denn multilaterale Probleme wie die internationale Steuerflucht oder der Klimawandel können nur durch multilaterale Ansätze, in denen auch die EU eine aktive Rolle spielt und als der weltweit größte integrierte Wirtschaftsraum beispielgebend vorangeht, gelöst werden.

1) Solch einen Ansatz, der auf einer langfristigen Vision basieren soll, wie das europäische Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftsmodell gleichzeitig ökonomisch dynamischer, sozial inklusiver und ökologisch nachhaltiger gemacht werden kann, verfolgt das vom WIFO koordinierte 7. EU-Rahmenprogramm-Projekt WWWforEurope (www.foreurope.eu).
2) Vgl. zu den konkreten längerfristigen Daten die jährlichen Publikationen von Eurostat („Taxation Trends in the European Union“) und der OECD („Revenue Statistics“).
3) Vgl. zu einem Überblick über empirische Schätzungen z.B. Heckemeyer/Overesch (2013) oder Fuest et al. (2013); vgl. Zucman (2014) für die USA.
4) Die wichtigsten relevanten Informationen und Informationen finden sich hier: www.oecd.org/ctp/beps.htm.
5) Vgl. European Commission (2012).
6) Vgl. European Commission (2001).
7) Vgl. European Commission (2011).
8) Derzeit ist Kerosin im internationalen Flugverkehr laut EU-Mehrwertsteuerrichtlinie zwingend mehrwertsteuerbefreit; eine Reihe von Ländern verzichtet auch auf die grundsätzlich zulässige Erhebung einer Mehrwertsteuer im inländischen Flugverkehr. Gemäß geltender Energiesteuerrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten seit 2004 reine Inlandsflüge einer Kerosinsteuer unterwerfen, worauf allerdings viele ebenfalls verzichten. Bei innergemeinschaftlichen Flügen darf eine Kerosinsteuer erhoben werden, wenn die betroffenen Mitgliedstaaten entsprechende bilaterale Verträge geschlossen haben; auf EU-Ebene sollte darauf hingewirkt werden, dass solche bilateralen Verträge möglichst flächendeckend geschlossen werden.

9) Vgl. Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke.

10) Vgl. European Commission (2006)

11) Vgl. European Commission (2014B).

12) Vgl. für eine detailliertere Auseinandersetzung Schratzenstaller (2013).
13) Vgl. aktuell European Commission (2014A).

  • Egger, P., Eggert, W., Winner H., Saving Taxes Through Foreign Plant Ownership, Journal of International Economics, 81(1), 2010, S. 99-108.
  • European Commission (2001),  Towards an Internal Market without tax obstacles – A Strategy for Providing Companies with a Consolidated Corporate Tax Base for Their EU-wide Activities, COM(2001)582, Brüssel, 2001.
  • European Commission (2006), Proposal for a Council Directive Amending Directive 92/84/EEC on the Approximation of the Rates of Excise Duty on Alcohol and Alcoholic Beverages, COM(2006) 0486, Brüssel, 2006.
  • European Commission (2011), Proposal for a Council Directive Amending Directive 2003/96/EC Restructuring the Community Framework for the Taxation of Energy Products and Electricity, COM(2011) 169, Brüssel, 2011.
  • European Commission (2012), An Action Plan to Strengthen the Fight Against Tax Fraud and Tax Evasion, COM(2012) 722 final, Brüssel, 2012.
  • European Commission (2014A), Tax Reforms in EU Member States 2014 – Tax Policy Challenges for Economic Growth and Fiscal Sustainability, European Economy, Nr. 6/2014.
  • European Commission (2014B), Study on the Measuring and Reducing of Administrative Costs for Economic Operators and Tax Authorities and Obtaining in Parallel a Higher Level of Compliance and Security in Imposing Excise Duties on Tobacco Products, Final Report, Brüssel, 2014.
  • Fuest, C., Spengel, Ch., Finke, K., Heckemeyer, J., Nusser, H., Handlungsoptionen gegen aggressive Steuerplanung, in: Der Betrieb, Nr. 38, 2013, S. 33-36.
  • Heckemeyer, J., Overesch, M., Multinationals‘ Profit Response to Tax Differentials: Effect Size and Shifting Channels, ZEW Discussion Paper, Nr. 13-045, 2013.
  • Schratzenstaller, M. (2013), Eckpunkte eines zukunftsfähigen EU-Budgets, ÖGfE Policy Brief, Nr. 3/2013.
    Zucman, G. (2014), Taxing Across Borders: Tracking Personal Wealth and Corporate Profits, Journal of Economic Perspectives, 28(4), S. 121-148.

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die die Autorin arbeitet, überein.
Schlagwörter
Steuerflucht, EU-Steuern, Steuerharmonisierung, Steuerkoordination, Steuerwettbewerb, Gewinnverschiebung, Lenkungssteuern, Umweltsteuern
Zitation
Schratzenstaller, M. (2015). Multilaterale Ansätze zur Lösung multilateraler Probleme: Gemeinsame Steuerpolitik ermöglicht nationale Handlungsspielräume. ÖGfE Policy Brief, 10’2015

Margit Schratzenstaller

Margit Schratzenstaller ist Referentin für Öffentliche Finanzen am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung und Vize-Koordinatorin des, vom WIFO koordinierten, Forschungsprojekts WWWforEurope, das im Rahmen des 7. Rahmenprogramms von der Europäischen Kommission finanziert wird und von 33 Partnern aus 12 EU-Ländern bearbeitet wird (www.foreurope.eu).