Ist es die Einstellung, die zählt? Ein Beitrag zur Messung von „Rechtspopulismus“ in der EU

Handlungsempfehlungen

  1. Konservative „Mainstream“-Parteien und „rechtspopulistische“ Parteien weisen zunehmend Überschneidungen auf, woraus unterschiedliche Probleme der Abgrenzung und Verortung letzterer resultieren. Den Schwierigkeiten bei der Analyse von „Rechtspopulismus“ sollte mit der Messung einer „rechtspopulistischen“ Einstellung auf Individualebene entgegnet werden.
  2. Durch eine solche Messung „rechtspopulistischer“ Einstellungen kann die Analyse und Beschreibung des Phänomens „Rechtspopulismus“ nicht nur präzisiert, sondern auch deren Determinanten auf unterschiedlichen Ebenen (z. B. sozial, politisch und ökonomisch) untersucht werden.
  3. Auf Grundlage der Ergebnisse jener Analysen ist es möglich, Rückschlüsse auf „Rechtspopulismus“ und dessen Ursachen innerhalb Europas bzw. Österreichs zu ziehen und daraus Handlungen auf europäischer und nationaler Ebene abzuleiten.

Zusammenfassung

„Rechtspopulistische“ Parteien zählten bei Wahlen in den letzten Jahrzehnten wohl zu den erfolgreichsten Parteien Europas – sei dies auf nationalstaatlicher als auch auf europäischer Ebene. Um sich dem Phänomen „Rechtspopulismus“ zu nähern, es zu analysieren, zu beschreiben und zu erklären, wird in Studien häufig die Wahl für (oder gegen) eine „rechtspopulistische“ Partei als abhängige Variable modelliert. Was aber kann unter einer „rechtspopulistischen“ Partei verstanden werden? Wie grenzt sich eine solche von anderen Parteien, vor allem konservativen „Mainstream“-Parteien* ab? Neben dem Problem der Abgrenzung und Überschneidung dieser beiden politischen Parteien, reduziert die Eingrenzung auf die Wahl für oder gegen eine bestimmte Partei das Phänomen des „Rechtspopulismus“ auf eine einfache ja/nein Antwort. Um u. a. diesen Problemen zu begegnen, benennt und skizziert dieser Policy Brief mit der Messung einer „rechtspopulistischen“ Einstellung auf Basis von Daten des „European Social Survey“ (ESS) eine Alternative, die „Rechtspopulismus“ mehrdimensional analysiert und somit zu einem besseren Verständnis dessen in Europa beitragen kann. Dadurch wird es möglich eventuelle nötige Handlungen auf europäischer als auch nationaler Ebene abzuleiten.
* Unter „Mainstream“-Parteien werden hier die drei „großen“ Parteifamilien verstanden, die über ein umfassendes Programm verfügen und sich ideologisch eher konstant zeigen, obgleich sie sich durchaus an äußere Umstände anpassen können. Es sind dies liberale, sozialistische bzw. sozialdemokratische und konservative bzw. christlich-soziale Parteien (vgl. Lucardie 2013: 66).

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Ist es die Einstellung, die zählt? Ein Beitrag zur Messung von „Rechtspopulismus“ in der EU

1. Einleitung

Ein Blick in die verschiedenen nationalen und regionalen Parlamente innerhalb der Europäischen Union (EU) genügt, um zu verdeutlichen, dass „rechtspopulistische“ Parteien wohl in den letzten Jahrzehnten die erfolgreichste Parteienfamilie in Europa darstellen (vgl. Arzheimer 2018: 143f.; vgl. Rooduijn 2014: 80). Der voranschreitende Aufstieg und die zunehmende Etablierung jener Parteien sind jedoch nicht nur auf nationalstaatlicher Ebene zu beobachten, sondern auch im Europäischen Parlament. Hier konnte die neu gegründete Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID), zu der u. a. die „Freiheitliche Partei Österreich“ (FPÖ), die italienische „Lega Salvini Premier“ (früher „Lega Nord“ bzw. „Lega“), die „Alternative für Deutschland“ (AfD) und das französische „Rassemblement National“ (RN; vormals „Front National“) zählen, bei der 2019 stattgefundenen Wahl des Europäischen Parlaments 73 Sitze[1] für sich beanspruchen. Wird dabei bedacht, dass die Vorgängerfraktion der ID, die Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF), 2014 auf 36 Sitze kam, werden auch hier Aufstieg als auch Etablierung von „rechtspopulistischen“ Parteien deutlich.
Untersuchungen zum Thema „Rechtspopulismus“ befassen sich häufig mit dem Versuch einer Erklärung, warum bzw. von wem eine rechtspopulistische Partei gewählt wird (Inglehart und Norris 2016; u. a. Kriesi und Pappas 2016; Spier 2010; Spruyt et al. 2016). Im überwiegenden Teil dieser Studien fungiert dabei die Wahl einer „rechtspopulistischen“ Partei als dichotome abhängige Variable (Wahl einer solchen Partei ja/nein). Als unabhängige Variablen werden in jenen logistischen Regressionsmodellen Indikatoren aufgenommen, die aus den unterschiedlichen Erklärungsansätzen operationalisiert werden können (siehe u. a. Eatwell 2003; Mudde 2007). Die Verwendung eines Modells mit solch einer abhängigen Variable bringt jedoch einige Probleme mit sich. Im Zuge des vorliegenden Policy Briefs wird auf diese Probleme eingegangen und mit dem Konzept einer „rechtspopulistischen“ Einstellung eine Alternative dazu benannt und dargestellt, sowie die damit einhergehenden Möglichkeiten beschrieben.

2. Probleme der Wahl von „rechtspopulistischen“ Parteien als abhängige Variable

Ein erstes Problem bei der Verwendung einer solchen dichotomen abhängigen Variable, die die Wahlentscheidung einer Person für oder gegen eine „rechtspopulistische“ Partei darstellt, liegt in der Abgrenzung und der Zuschreibung, welche Parteien als „rechtspopulistisch“ kategorisiert werden. Hinsichtlich der Definition dieser Parteien wird in Studien vermehrt jene von Mudde (2007) herangezogen, worin Populismus in einem „ideational approach“ verstanden werden kann. Dabei handelt es sich um ein „set of ideas that not only depicts society as divided between ‘the pure people’ versus ‘the corrupt elite’, but also claims that politics is about respecting popular sovereignty at any cost” (für einen Überblick siehe ebenfalls Hawkins et al. 2018; Mudde und Rovira Kaltwasser 2018: 1669).

Es werden bei der Kategorisierung dessen, welche Parteien in das Sample der „rechtspopulistischen“ bzw. „populist radical right“ Parteien (Mudde 2007) aufgenommen werden, unterschiedliche Zuweisungen und Charakterisierungen angewandt.

Durch die zunehmende Etablierung des „ideational approach“ ergibt sich zumindest hinsichtlich der Definition von Populismus, eine gewisse Vergleichbarkeit von Studien, die sich mit jenem Themenbereich beschäftigen. Nichtsdestotrotz werden bei der Kategorisierung dessen, welche Parteien in das Sample der „rechtspopulistischen“ bzw. „populist radical right“ Parteien (Mudde 2007) aufgenommen werden, unterschiedliche Zuweisungen und Charakterisierungen angewandt. Hierfür werden häufig (subjektive) Einschätzungen von ExpertInnen herangezogen, z.B. der „Chapel Hill Expert Survey“ (Hooghe et al. 2010) als auch der „Expert Judgment Survey of European Political Parties”(Immerzeel et al. 2011). Da es sich hierbei folglich um die Einschätzung einiger weniger ExpertInnen handelt, entstehen Probleme der Reliabilität und Validität einer solchen Parteiverortung (für eine kurze kritische Auseinandersetzung siehe Szczerbiak und Taggart 2018: 14). Werden zum Beispiel die ungarische Fidesz („Magyar Polgári Szövetség“; dt.: Ungarischer Bürgerbund) oder die polnische PiS („Prawo i Sprawiedliwość“; dt.: Recht und Gerechtigkeit) als „rechtspopulistische“ oder als konservative „Mainstream“-Partei in eine Untersuchung aufgenommen? Wo werden dabei die Trennlinien gezogen? Vor allem, und dies ist hervorzuheben, da speziell bei diesen beiden Parteifamilien die Trennlinien zunehmend verschwimmen – wie auch innerhalb der politischen Diskussionen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsbewegung seit 2015 zu sehen ist (vgl. Mudde 2016: 15) –, erscheint eine exakte Trennung beider schwierig. Dies kann auch dadurch verdeutlicht werden, dass die „Österreichische Volkspartei“ (ÖVP) und die FPÖ auf der Plattform „Wahlkabine.at“ im Zuge der Nationalratswahl 2019 bei 25 Fragen eine Übereinstimmung von rund 80 Prozent[2] aufwiesen. Zudem wird festgestellt, dass sich auch der Sprachgebrauch bzw. das Wording im politischen Kontext angleicht.[3]
Ein weiteres Problem einer solchen abhängigen Variable stellt zudem das Wahlrecht dar. So sind zum Beispiel in Wien nur rund 70 Prozent der Bevölkerung im wahlfähigen Alter und besitzen zudem die österreichische Staatsbürgerschaft, wodurch sie auf allen Ebenen (Bezirk, national und EU) wahlberechtigt sind. Weitere rund 13 Prozent sind Staatsangehörige anderer EU-Staaten und dürfen folglich nur auf Bezirks- und EU-Ebene wählen. 16,4 Prozent der Wiener Bevölkerung sind auf keiner Ebene wahlberechtigt.[4] Auch wenn diesem Umstand innerhalb von Untersuchungen mit einer Wahlabsichtsvariable entgegnet werden kann, ist doch mit Verzerrungen zu rechnen, da hiermit nur eine Präferenz abgebildet wird.

Demnach erscheint es als starke Reduktion des Phänomens und dessen Komplexität, mit einer einfachen ja/nein Antwort vorzugehen.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass mit der Verwendung der Wahl oder Präferenz einer Person für oder gegen eine bestimmte Partei, das Vorhandensein von „Rechtspopulismus“ in einer Gesellschaft nicht ausreichend abgebildet werden kann. Demnach erscheint es als starke Reduktion des Phänomens und dessen Komplexität, mit einer einfachen ja/nein Antwort vorzugehen. Besonders da zum einen die Wahl einer Person für oder gegen eine bestimmte Partei von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängen kann (für einen Überblick hierzu siehe Eatwell 2003) und zum anderen „Rechtspopulismus“ komplexer ist, als eine eindimensionale ja/nein Antwort – wie auch anhand der unten stehenden Kernelemente verdeutlicht wird.
Um diesen Problemen zu entgegnen, erscheint es sinnvoll, eine „rechtspopulistische“ Einstellung auf Individualebene zu messen. Die Grundlage eines solchen Messmodells stellt die Definition der oben erwähnten „populist radical right parties“ dar, aus der sodann ein Konstrukt einer „rechtspopulistischen“ Einstellung abgeleitet und mit Hilfe einer konfirmatorischen Faktoranalyse berechnet werden kann.

Die Grundlage eines solchen Messmodells stellt die Definition der „populist radical right parties“ dar, aus der sodann ein Konstrukt einer „rechtspopulistischen“ Einstellung abgeleitet und mit Hilfe einer konfirmatorischen Faktoranalyse berechnet werden kann.

An dieser Stelle sei darauf verwiesen, warum „Rechtspopulismus“ in den bisherigen (und weiteren) Ausführungen unter Anführungszeichen steht. Wie bereits Ennser-Jedenastik in seinem Blog „Standardabweichung“[5] ausführt – und diese Meinung wird hier geteilt – ist die deutschsprachige Bezeichnung jener Parteien als „rechtspopulistisch“ insofern nicht zutreffend, als der inhaltliche Schwerpunkt dabei auf „Populismus“ liegt und somit den ideologischen Kernelementen der darunter verstandenen Parteien nicht genügend Rechnung getragen wird.
Im Folgenden wird eine kurze Definition der Kernelemente von „populist radical right parties“ gegeben, woraus sich zum einen das Messmodell, als auch das Problem der Benennung dieser Parteien als „rechtspopulistisch“ ergibt.

3. Kernelemente des „Rechtspopulismus“

Als ein erstes Kernelement von „Rechtspopulismus“ ist der Populismus zu nennen, der als „thin-centered ideology“ verstanden werden kann und sich anhand von zwei Merkmalen beschreiben lässt: zum einen, dass die Gesellschaft aus zwei jeweils homogenen Gruppen – das „Volk“ und die „korrupte Elite“ – besteht, die sich als „Gut“ und „Böse“ gegenüberstehen. Zum anderen wird Populismus anhand eines „volonté général“, demnach einem Gemeinwillen des genannten „Volkes“ bestimmt (vgl. Mudde 2007: 23). Die konkrete ideologische Positionierung, das „radical right“, die – und hier liegt der Unterschied zu „Rechtspopulismus“ – durch einen Populismus näher beschrieben wird, vollzieht sich anhand zweier weiterer Kernelemente (vgl. Rooduijn 2014: 82).
Ausgehend von einem, dem Rechtspopulismus eigenen Verständnis von „das Volk“, das vor allem als „Nation“ verstanden wird, kann ein starker Nationalismus als ein konkretes „rechtspopulistisches“ Kernelement genannt werden. Dieser Nationalismus zeitigt sich insbesondere in der beschriebenen Exklusion von nicht zum „Volk“ dazugehörigen Gruppierungen, wodurch die kulturelle Einheit bewahrt werden soll. Mit Nationalismus steht zudem das Ideologem der Xenophobie in starker Verbindung, die als Furcht, Hass oder Feindseligkeit gegenüber Gruppen interpretiert wird, die als „anders“ oder „fremd“ verstanden werden – meist sind dies ethnische Minderheiten oder AsylwerberInnen (vgl. ebd.; vgl. Spier 2010: 25). Dadurch, dass Rechtspopulismus dabei auf horizontaler wie vertikaler Ebene die „gute Nation“ und die „bösen Anderen“ artikuliert, versteht Mudde hierin eine besondere Form des Nationalismus, den Nativismus, der als Kombination von Nationalismus und Xenophobie zu beschreiben ist (vgl. Mudde 2007: 22; vgl. Rooduijn 2014: 82). Unter Nativismus versteht Mudde:
„an ideology, which holds that states should be inhabited by members of the native group (‚the nation‘) and that nonnative elements (persons and ideas) are fundamentally threatening to the homogenous nation-state“ (ebd.: 19).
„Nonnative elements“ haben zudem immer eine kulturelle Komponente, die somit eine Gefahr für die Kultur des „Volkes“ darstellen. Für Mudde ist eben jener Nativismus das zentrale Kernelement von „populist radical right parties“ (vgl. ebd.: 22).
Das dritte und letzte Kernelement, Autoritarismus, wird anhand einer charismatischen Führungsfigur ersichtlich. Diese betreibt einen autoritären Führungsstil und steht zudem für einen starken Staat und einen „Law-and-Order-Kurs“, um so für Recht und Ordnung zu sorgen. Zentrale Punkte sind demnach Forderungen nach einer Verstärkung der Polizei, schnelle und harte Urteile der Justiz, sowie autoritäre Positionen innerhalb der Familien- und Bildungspolitik (vgl. Mudde 2007: 22; vgl. Spier 2010: 26).
Durch die drei beschriebenen Kernelemente Populismus, Nativismus und Autoritarismus – und deren Kombination – kann ein Messmodell von „Rechtspopulismus“ angenommen werden, anhand dessen die jeweilige „rechtspopulistische“ Einstellung einer Person abgebildet werden kann.
In meiner Masterarbeit am Institut für Sozioökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien – die diesem Policy Brief zugrunde liegt – habe ich mich u. a. mit der Messung einer solchen Einstellung innerhalb der EU mit Daten des „European Social Survey“ (für die Jahre 2004 und 2016) beschäftigt und darüber hinaus versucht, deren Determinanten auszumachen (Gaubinger 2019). Im Folgenden werden die hieraus resultierenden Ergebnisse hinsichtlich einer „rechtspopulistischen“ Einstellung kurz dargestellt.

Durch die drei beschriebenen Kernelemente Populismus, Nativismus und Autoritarismus – und deren Kombination – kann ein Messmodell von „Rechtspopulismus“ angenommen werden, anhand dessen die jeweilige „rechtspopulistische“ Einstellung einer Person abgebildet werden kann.

4. Messen einer „rechtspopulistischen“ Einstellung

Da es sich bei den genannten drei Kernelementen um latente Variablen handelt, die somit nicht direkt messbar sind, bedarf es manifester, messbarer Items, die jene Kernelemente beschreiben. In einem ersten Schritt werden folglich die Items für explorative Faktoranalysen benannt, die Populismus, Nativismus und Autoritarismus bestmöglich abbilden. In einem zweiten Schritt wird anhand der daraus resultierenden Ergebnisse eine konfirmatorische Faktoranalyse dargestellt, innerhalb derer eine „rechtspopulistische“ Einstellung als Faktor zweiter Ordnung gemessen werden kann. Hinsichtlich aller verwendeten Items ist darüber hinaus zu erwähnen, dass sie Teil der in allen Wellen gestellten Kernfragen des ESS sind – und somit die weiterführende Möglichkeit von Trendanalysen offenlassen.
Wie bereits erwähnt, wird Populismus als „thin-centered“ bzw. „dünne Ideologie“ verstanden, die ein dichotomes Gesellschaftsverständnis transportiert, worin sich auf der einen Seite das „Gute“, das „Volk“ und auf der anderen Seite das „Böse“, die „korrupte Elite“ gegenüberstehen. Um dieses Misstrauen gegenüber den „Eliten“ abzubilden, werden fünf Variablen herangezogen, die das Vertrauen in das Rechtssystem (trstlgl), in das nationale Parlament (trstprl), in PolitikerInnen (trstplt), in politische Parteien (trstprt) und in das Europäische Parlament (trstep) abbilden. Alle fünf Variablen sind zwischen 0 und 10 skaliert, wobei 0 „gar kein Vertrauen“ und 10 „völliges Vertrauen“ bedeuten. Da mit einem hohen Wert der Items auch ein hoher Wert einer populistischen Einstellung einhergehen soll, werden alle fünf Variablen umgepolt.
Um einen Gemeinwillen bzw. dessen Umsetzung abzubilden, werden zwei weitere Items herangezogen: wie zufrieden eine Person mit der Demokratie im eigenen Land (stfdem) bzw. mit der nationalen Regierung (stfgov) ist. Beide Variablen weisen eine Skalierung zwischen 0 und 10 auf, wobei 0 „äußerst unzufrieden“ und 10 „äußerst zufrieden“ bedeutet. Wie bei den oben genannten Variablen findet auch hier eine Umpolung statt.
Ein starker Staat und das Vorhandensein von Recht und Ordnung sind Hauptmerkmale von Autoritarismus. Hierzu werden fünf Indikatoren gewählt, die abbilden, wie wichtig es einer Person ist, Anweisungen und Regeln zu befolgen (ipfrule), dass eine Regierung stark ist und für Sicherheit Sorge trägt (ipstrgv), dass man sich passend verhält (ipbhprp), dass Traditionen weitergeführt und gewahrt werden (imptrad) und dass die Lebensumgebung sicher ist (impsafe). Alle fünf Variablen sind zwischen 1 und 6 skaliert, wobei 1 für hohen Zuspruch und 6 für keinen Zuspruch steht. Da ein hoher Zuspruch jedoch als hohe Zustimmung zu Autoritarismus verstanden wird, werden auch diese Variablen umgepolt.
Wie bereits angemerkt wurde, kann Nativismus als eine Kombination von Xenophobie und Nationalismus interpretiert werden. Darüber hinaus sieht Nativismus „nonnative elements“ als Bedrohung der „Nation“ und Kultur. Um dem Rechnung zu tragen, werden drei Items ausgewählt, durch die veranschaulicht wird, inwieweit eine Person der Meinung ist, dass ImmigrantInnen derselben ethnischen Gruppe, wie die Mehrheit der Bevölkerung, erlaubt werden soll, einzureisen (imsmetn), wie dies gegenüber Menschen einer anderen ethnischen Gruppe empfunden wird (imdfetn), sowie gegenüber Menschen aus ärmeren Ländern außerhalb der EU (empcntr). Alle drei Items sind zwischen 1 und 4 skaliert, wobei 1 mit einer positiven Einstellung gegenüber jenen Personengruppen einhergeht und 4 mit einer negativen, sodass es diesen Personen folglich nicht erlaubt werden soll, einzureisen.
Anhand von drei weiteren Variablen soll die Furcht vor einer Bedrohung der „Nation“ und Kultur erfasst werden: inwieweit das kulturelle Leben eines Staates durch ImmigrantInnen bereichert oder gefährdet wird (imueclt); ob sie für die nationale Wirtschaft von Vor- oder Nachteil sind (embgeco) und ob ImmigrantInnen ein Land zu einem lebenswerteren bzw. weniger lebenswerten Ort machen (imwbcnt). Die genannten Variablen sind zwischen 0 und 10 skaliert, wobei 0 als negative und 10 als positive Haltung gegenüber jenen Personengruppen verstanden wird. Alle drei Items werden umgepolt, damit mit einem höheren Wert auch eine höhere nativistische Einstellung beobachtet wird.
Abbildung 1 verdeutlicht, dass aus allen genannten Indikatoren drei Faktoren extrahiert werden können, da sie einen Eigenwert von zumindest 1 aufweisen. Grundsätzlich wäre es möglich so viele Faktoren zu extrahieren, wie es Indikatoren in der Analyse gibt. Nach dem Kaiser-Kriterium werden jedoch nur Faktoren extrahiert, die zumindest einen Eigenwert von 1 aufweisen und somit den Varianzanteil zumindest einer Variable erklären.

Abbildung 1: Screeplot Populismus, Autoritarismus und Nativismus

Quelle: Gaubinger (2019) / Daten: European Social Survey (Welle 8)

Abbildung 2 veranschaulicht die Berechnung eines Faktors zweiter Ordnung, der „rechtspopulistischen Einstellung“. An dieser Stelle wird nicht näher auf Gütemaße und Kovarianzen zur Modifikation eingegangen, da es das Ziel dieses Policy Briefs ist, lediglich aufzuzeigen, wie ein solcher Faktor aussehen kann, welche Vorteile und Nutzen dieser mit sich bringt, als auch welche Handlungsempfehlungen aus dem Beschriebenen abgeleitet werden können.

Abbildung 2: Faktor zweiter Ordnung „populist radical right attitude”

Quelle: Gaubinger (2019) / Daten: European Social Survey (Welle 8)

5. Nutzen eines Faktors „rechtspopulistische“ Einstellung

Viele Untersuchungen zum Thema „Rechtspopulismus“ befassen sich mit der Frage, welche Determinanten die Wahl einer „rechtspopulistischen“ Partei bedingen. Wie innerhalb des Policy Briefs ausgeführt wurde, ergeben sich bei der Beantwortung dieser Frage unterschiedliche und vielschichtige Probleme. Einer der zentralsten Punkte dabei ist, dass vor allem der konservative Teil von „Mainstream“-Parteien in den letzten Jahren zunehmend Themen, Standpunkte, aber auch Vokabular von „rechtspopulistischen“ bzw. „populist radical right“ Parteien übernommen hat. Eine exakte politische Verortung und Trennung besonders jener beiden Parteifamilien wird somit erschwert. Hierzulande kann etwa die Regierung zwischen ÖVP und FPÖ von Dezember 2017 bis Mai 2019 als Beispiel dafür angeführt werden. Darüber hinaus erfolgt durch die Verwendung einer dichotomen „Wahlvariable“ in der empirischen Analyse, eine Reduktion der Komplexität des Phänomens „Rechtspopulismus“ – sei dies in Österreich oder der EU.
Die Lösung, so wurde argumentiert und wird hier nochmals festgehalten, kann in der Verwendung eines Faktors liegen, der die „rechtspopulistische“ Einstellung einer Person abbildet. Hierdurch wird es ermöglicht, „Rechtspopulismus“ abseits der Wahl einer bestimmten Partei darzustellen und zu analysieren. Nichtsdestoweniger kann der beschriebene Faktor dazu genutzt werden, den Einfluss einer solchen Einstellung auf das Wahlverhalten auszumachen, ob es hierbei innerhalb der vergangenen Jahre Unterschiede gab und auch, wie die Entwicklung einer „rechtspopulistischen“ Einstellung in Österreich und der EU verlief. So konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass eine „rechtspopulistische“ Einstellung im Allgemeinen, als auch eine populistische, nativistische und autoritaristische Einstellung im Einzelnen, im EU-Durchschnitt zwischen 2004 und 2016 abnahmen. Auf Länderebene wird jedoch deutlich, dass zum Beispiel eine nativistische Einstellung in Österreich, Tschechien, Ungarn und Polen zunahm. Hinsichtlich der Determinanten einer „rechtspopulistischen“ Einstellung wurde deutlich, dass Bildung, soziale Lage und finanzielle (Un-)Sicherheit einer Person ausschlaggebende Faktoren sind (vgl. Gaubinger 2019: 34; 61). Darüber hinaus konnte dargestellt werden, dass der Einfluss einer „rechtspopulistischen“ Einstellung auf die Wahl einer „rechtspopulistischen“ Partei im Jahr 2016 geringer ausfiel als noch 2004. Werden die Faktoren im Einzelnen herangezogen, zeigen sich auch hier Unterschiede: während der Einfluss einer populistischen Einstellung auf die Wahl von 2004 auf 2016 abnimmt, erhöht sich jener einer nativistischen Einstellung – je stärker folglich der Nativismus einer Person ausgeprägt ist, desto wahrscheinlicher wählt diese eine „rechtspopulistische“ Partei (vgl. ebd.: 67; siehe auch: Rooduijn 2014; Spier 2010).
Um demnach das Phänomen „Rechtspopulismus“ in der EU an sich, als auch die Wahl von „rechtspopulistischen“ Parteien noch besser verstehen und hieraus Strategien entwickeln zu können, lohnt sich folglich ein näherer Blick auf eine „rechtspopulistische“ Einstellung.

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  • Eatwell, Roger. 2003. Ten Theories of the Extrem Right. In Right-Wing Extremism in the Twenty-First Century. Cass Series on Political Violence, Hrsg. Peter H. Merkl und Leonard Weinberg, 45-70. London/Portland: Frank Cass Publishers.
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  • Hawkins, Kirk A., Ryan E. Carlin, Levente Littvay und Cristóbal Rovira Kaltwasser, Hrsg. 2018. The Ideational Approach to Populism. Concept, Theory, and Analysis. Routledge studies in extremism and democracy, Bd. 42. London, New York: Routledge.
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  • Mudde, Cas, und Cristóbal Rovira Kaltwasser. 2018. Studying Populism in Comparative Perspective. Reflections on the Contemporary and Future Research Agenda. Comparative Political Studies 51:1667–1693.
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Weitere Quellen

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.
Schlagwörter
Rechtspopulismus, „Mainstream“-Parteien, Populismus, Nativismus, Autoritarismus, Wahlen, Einstellung

Zitation

Gaubinger, D. (2020). Ist es die Einstellung, die zählt? Ein Beitrag zur Messung von „Rechtspopulismus“ in der EU. Wien. ÖGfE Policy Brief, 20’2020

Daniel Gaubinger

Daniel Gaubinger ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe „European Governance and Public Finance“ am „Institut für Höhere Studien“ (IHS), wo er in verschiedenen Projekten zum „European Social Survey“ (ESS) tätig ist, als auch an einer Studie zu Euroskeptizismus in Österreich mitarbeitete. Neben Soziologie an der Universität Wien studierte er Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien. Die Masterarbeit, letzteres unter dem Titel „Is it all about Economic Development, (In-)Security and Attitude?”, wurde innerhalb des Call for Papers „Zusammenhang zwischen Populismus und Industrieentwicklung“ der Querdenkerplattform prämiert.