Keine Angst vor Euroskeptizismus!

Über die Spielarten und die Nützlichkeit von EU-Kritik

Handlungsempfehlungen

  1. Kritik an der Europäischen Union differenziert betrachten und in ihrer Funktionalität und Bedeutung positiv wahrnehmen
  2. EU-Politik in ihrer ganzen Tragweite begreiflich machen. Europapolitische Standpunkte offen, öffentlich und offensiv kommunizieren – v. a. von Seiten der Regierungsparteien, der Ministerien und anderer Eliten
  3. Europa-Bildung und transnationale Diskurse stärken: von Schulen über Gemeinden und Betriebe bis hin zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Zusammenfassung

Die Europäische Union ist in den letzten Jahren wachsender Kritik ausgesetzt, die häufig unter dem Schlagwort „Euroskeptizismus“ zusammengefasst wird. Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 ist die Unsicherheit unter pro-europäischen Eliten besonders groß. Ein Siegeszug europaskeptischer Parteien wird befürchtet. Dabei entsteht manchmal der Eindruck, als wäre jede Kritik an der Europäischen Union eine gegen den gesamten Einigungsprozess gerichtete Fundamentalopposition. Bei genauerem Hinsehen erweist sich diese Annahme jedoch als kontraproduktiv. Tatsächlich gibt es unterschiedliche Formen der EU-Kritik, von denen einige für den weiteren Integrationsprozess wichtig und funktional sind. Denn Euroskeptizismus kann zu einer demokratisch notwendigen Debatte über Europa und zu einer Demokratisierung beitragen. Vorausgesetzt, die Kritik wird nicht von vornherein als anti-europäisch punziert und im Keim erstickt, sondern als differenziert wahrgenommen und gewürdigt.

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Besonderheiten der EU-Kritik

Kritik an der EU wird häufig unter den Schlagworten „EU- oder Europaskepsis“, „Euroskeptizismus“ u. ä.subsumiert. [1] Dass es überhaupt eine so intensive Debatte über dieses Phänomen gibt, liegt in der Verfasstheit der EU als Zwitter zwischen Bundesstaat und Staatenbund und ihrer fehlenden Finalität [2]begründet. Andere politische Entitäten wie Nationalstaaten oder internationale Organisationen kennen diese Form der Kritik in der Regel nicht. So ist weder ein vergleichbares Phänomen der UNO-Skepsis noch eines der Österreich- oder Deutschlandskepsis bekannt. Das hat damit zu tun, dass die Finalitäten dieser politischen Einheiten weitgehend klar sind. Auch wenn sie kritisiert oder wie die UNO hin und wieder infrage gestellt werden, so sind sie sich doch über sich im Klaren, während die EU sich stets verändert, von beidem (Staatenbund und Bundesstaat) etwas hat und damit identitäre Unsicherheit und Unabgeschlossenheit aufweist. Sie befindet sich gewissermaßen in einem pubertären Stadium und wächst ins Ungewisse. Weder in ihren Außengrenzen noch in ihrem inneren Zustand ist sie „finalisiert“. Dies ist der Grund, warum EU-Kritik immer wieder als existenzgefährdend wahrgenommen wird und als Schreckgespenst des Euroskeptizismus durch die Medien geistert.

Arten der EU-Kritik und Argumente

In der EU-Forschung widmet man sich dem Phänomen seit geraumer Zeit und unterteilt zunächst in einen harten und einen weichen Euroskeptizismus (Szczerbiak/Taggart 2008), wobei ersterer für eine völlige Ablehnung des Integrationsprozesses und letzterer für eine auf gegenwärtige Institutionen und Abläufe bezogene Kritik steht. Dieser Differenzierung gegenüber wenden manche ein, dass für Akteure, welche den Integrationsprozess gänzlich ablehnen, der Begriff „SkeptikerIn“ nicht passend sei. Man müsse unterscheiden zwischen Formen grundsätzlicher Ablehnung und solchen, die sich eine Stimme im europäischen Diskurs verschaffen wollen (Weßels 2009, 51). Tatsächlich spricht auch etymologisch vieles für dieses Argument. Skepsis meint eben gerade nicht die grundsätzliche Ablehnung eines kritisch betrachteten Gegenstands, sondern vielmehr den Zweifel gegenüber jeglicher dogmatischer Wahrheit. Eine skeptische Grundhaltung kann somit als demokratische Tugend bezeichnet werden, da sie die politische Festschreibung eines Dogmas ablehnt – ein Gedanke, der in der französischen Aufklärung, etwa bei Voltaire, aber auch in Demokratietheorien jüngeren Datums eine wichtige Rolle spielt.

Die Dichotomie zwischen hartem und weichem Euroskeptizismus ist jedenfalls nicht zufriedenstellend, da sie den Nuancen der EU-Kritik nicht ausreichend gerecht wird (vgl. Usherwood/Startin/Guerra 2013). Ich schlage daher fünf Kategorien vor, welche die Finalitätsvorstellungen der jeweiligen Kritik mit berücksichtigen.

Tabelle 1: Arten der EU-Kritik

Art der EU-Kritik Ziel/Finalität Methode Vertreter impolitischen Spektrum
Harter Anti-Europäismus Auflösung der EU Austritt Jobbik, British National Party, etc.
Nationaler Euroskeptizismus EU der Vaterländer Rückbau von Kompetenzen, zwischenstaatlich FPÖ, FN, Lega Nord, etc.
Pragmatischer Euroskeptizismus Pragmatismus/Effizienz innerhalb der EU Kleine Schritte, Reformen nach Bedarf In den meisten Parteien vertreten
Linker Euroskeptizismus Sozialistisches Europa Anti-Kapitalismus-Reformen Linke, etc.
Europäischer Euroskeptizismus Demokratisches, föderales Europa Stärkung des EP, Verfassungskonvent Europäische Föderalisten, etc.

Harter Anti-Europäismus tritt nicht nur gegen eine supranationale Union, sondern gegen jegliche Europa-Idee und somit auch gegen eine intergouvernementale EU der Vaterländer auf. Er kann als Nationalismus bezeichnet werden, der sich für die vollständige Auflösung der EU einsetzt. Aus Sicht eines Mitgliedstaates ist der Austritt die einzige Möglichkeit.

Nationaler Euroskeptizismus richtet sich gegen eine vertiefte europäische Integration aufgrund der Sorge vor dem Verlust nationalstaatlicher Souveränität und Identität. Im Unterschied zum harten Anti-Europäismus wird eine intergouvernementale Kooperation als möglich erachtet. Die europäische Kultur wird anderen Kulturkreisen gegenüber als höherwertig eingestuft. Ein Europa der Vaterländer ist in dieser Art des Euroskeptizismus das Maximum an Integration. Es beinhaltet die volle Aufrechterhaltung nationalstaatlicher Souveränität. Gegenüber dem Status-Quo wird ein Rückbau von bereits vergemeinschafteten europäischen Kompetenzen zugunsten der Mitgliedstaaten gefordert.

Pragmatischer Euroskeptizismus bezieht sich in erster Linie auf Effizienz- und Outputfragen. Die Abwägung von Kosten und Nutzen, Vor- und Nachteilen bestimmt den Grad der Zustimmung oder Ablehnung gegenüber der EU. Ideologische oder grundsätzliche Bedenken spielen keine Rolle. Ob eine Kompetenz auf europäischer oder nationalstaatlicher Ebene angesiedelt ist, entscheidet sich einzig und allein auf Basis des zu erwartenden Outputs.

Linker Euroskeptizismus sieht im europäischen Integrationsprozess ein neoliberales, kapitalistisches Unterfangen, welches in erster Linie der wirtschaftlichen Elite dient. Eine linke, sozialistische Föderation steht in dieser Form des Euroskeptizismus am Ende des Prozesses. Dieses soll entweder durch einen radikalen Umbau der derzeitigen Institutionen oder durch einen gänzlichen Neustart erreicht werden.

Europäischer Euroskeptizismus ist mit der derzeitigen Ausprägung der EU nicht zufrieden, weil sie ihm nicht europäisch genug ist. Die scheinbar paradoxe Bezeichnung erklärt sich durch die Widersprüchlichkeit zwischen der föderalistischen Idee Europas und der derzeitigen Ausprägung der EU als Mischung zwischen internationaler Organisation und Bundesstaat. Die Skepsis bezieht sich daher in erster Linie auf die verbliebene Macht der Mitgliedstaaten. Diese sollten in allen Politikbereichen auf ein Veto-Recht verzichten und sich zu den Vereinigten Staaten von Europa zusammenschließen. Der Weg dorthin kann etwa über einen Verfassungskonvent und eine gesamteuropäische Volksabstimmung beschritten werden.

Die genannten Arten der EU-Kritik unterscheiden sich zwar in Hinblick auf die Finalitätsfrage stark voneinander, teilen aber zwei wichtige Argumente und liegen in der Problemanalyse relativ nahe aneinander. Durchgehend kritisiert wird erstens die demokratische Qualität der Union und ihre BürgerInnenferne sowie zweitens ihre Unfähigkeit, auf soziale Problemlagen in Europa adäquat zu reagieren (vgl. Gaisbauer/Pausch 2009). Uneinig ist man sich allerdings in der Problembekämpfung. Während Anti-EuropäerInnen die Lösung im Austritt und nationale EuroskeptikerInnen in einem Zuwanderungsstopp, einer Einschränkung der Personenfreizügigkeit sowie einer generellen Renationalisierung sehen, setzen linke EuroskeptikerInnen zumindest teilweise und europäische prinzipiell auf eine Stärkung der europäischen Dimension. Die pragmatischen EuroskeptikerInnen sind nicht von vornherein auf die eine oder andere Richtung festgelegt, sondern orientieren sich am erwartbaren Nutzen. Jedenfalls aber fordern sie eine Stimme im Richtungsstreit über Europa ein.

Euroskeptizismus in Parteien und in der Öffentlichkeit

Die beschriebenen Spielarten der EU-Kritik finden sich sowohl unter den politischen Eliten als auch in der Bevölkerung wieder, allerdings in unterschiedlich starkem Ausmaß. Die Bedeutung euroskeptischer Parteien ist im Laufe der letzten Jahre zweifellos angestiegen (vgl. Hartleb 2012). Von den derzeit im EP vertretenen Parteien zählen die ungarische Jobbik, die British National Party, die italienische Fiamma Tricolore sowie die Nationaldemokratische Partei Bulgariens (als Mitglieder des transnationalen Parteienzusammenschlusses „Allianz der Europäischen Nationalen Bewegungen“) zu den harten Anti-EuropäerInnen. Als nationale EuroskeptikerInnen können der Front National, der Vlaams Belang oder die FPÖ eingestuft werden. Der Block der pragmatischen EuroskeptikerInnen lässt sich parteipolitisch nicht eindeutig definieren, da er sich nicht grundsätzlich äußert, sondern nur in Bezug auf konkrete Effizienz- und Outputfragen. Zweifellos gibt es in den Parteien der so genannten Mitte Gruppierungen und Einzelpersonen, die sich als pragmatisch-rationale KritikerInnen der EU erweisen. Die linken EuroskeptikerInnen haben sich in der Fraktion Europäische Linke zusammengefunden. Die europäischen EuroskeptikerInnen sind ähnlich wie die pragmatischen EuroskeptikerInnen über verschiedene Parteien verstreut. Als typischer Vertreter gilt aber die Europäische Föderalistische Bewegung.

Neben dieser parteipolitisch organisierten Kritik an der EU gibt es Euroskeptizismus freilich auch unter der BürgerInnen Europas. Der Integrationsprozess war schon zu Beginn keineswegs von großer Begeisterung der Bevölkerung getragen. Deutsche und französische Staatsangehörige konnten nach jahrhundertelanger Feindschaft nicht von heute auf morgen in vertrauensvolle Beziehungen zueinander treten. Die Skepsis gegenüber der supranationalen Annäherung an den ehemaligen Gegner und die Kompetenzabgabe der Nationalstaaten waren unter den BürgerInnen weit hartnäckiger als unter den Eliten (vgl. Haller 2009). Ein Forum für einen öffentlichen politischen Streit über die europäische Politik existierte lange nicht und ist bis heute nur mangelhaft ausgeprägt. Diese Lücke zwischen Elite und Bevölkerung hat viele Gründe – beginnend bei den auf nationale Themen ausgerichteten EU-Wahlen, über die tendenziell negativ ausgerichtete Berichterstattung der Boulevard-Medien bis hin zum Fehlen eines Regierungs-Oppositionsspiels auf EU-Ebene.

Insbesondere seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 hat sich die Einstellung der Bevölkerung zur EU deutlich verschlechtert (siehe untenstehende Grafik). Geht man in der Integrationsgeschichte allerdings nicht nur fünf oder zehn Jahre, sondern mehrere Jahrzehnte zurück, so relativiert sich das Bild. Denn auch wenn es aus der Anfangsphase wenige verlässliche Daten gibt, kann angenommen werden, dass zu Beginn des Integrationsprozesses die grundsätzliche Skepsis in der Bevölkerung weit größer war als heute (Rabier 1968, 13; Hoepner/Jurczyk 2012, 330)  Hingegen ist die Anzahl pragmatischer EuroskeptikerInnen seit dem Maastricht-Vertrag (Vasilopoulou 2013, 7) und besonders in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Wie Bernhard Weßels zeigt, ist Euroskeptizismus unter den BürgerInnen aber nicht nur auf Unwissenheit oder Anti-Europäismus zurückzuführen, sondern zumindest teilweise auch auf eine demokratiepolitisch funktionale Kritik an der Union (Weßels 2009, 16).

Die Einstellungen der Bevölkerung zur EU werden seit den 1970er Jahren durch das von der Kommission in Auftrag gegebene Umfrageinstrument Eurobarometer erhoben, das seinerseits durchaus umstritten ist (dazu vgl. Pausch 2008). Bei aller Problematik dieses Instruments geben aber doch einige der regelmäßig gestellten Fragen Aufschluss über die Entwicklung des Euroskeptizismus im Zeitverlauf. Insbesondere die Einschätzung der Mitgliedschaft als “gute” oder “schlechte Sache” ist dahingehend aussagekräftig, denn kaum eine andere Frage zielt so konkret darauf ab, Befürwortung und Ablehnung herauszufiltern.

Wie in Grafik 1 ersichtlich, gab es seit Beginn der Umfragen im Jahre 1973 erhebliche Schwankungen in der Einstellung gegenüber der EU-Mitgliedschaft. Lange Zeit lag die Zustimmung bei über 50 %. Besonders in den letzten Jahren hat sich aber der Anteil derer, die die Mitgliedschaft ihres Landes für eine gute Sache halten, auf 47 % verringert. Gleichzeitig hielten im Mai 2011, also inmitten der Krise, 18 % der Befragten die EU-Mitgliedschaft ihres Landes für eine schlechte Sache. Die höchste Zustimmung und die geringste Ablehnung gab es im März 1991, also rund um das Ende des Eisernen Vorhangs und wenige Jahre vor dem Maastricht-Vertrag. Auffällig ist der Anstieg derer, die sich weder für das eine noch das andere aussprechen und somit unentschlossen sind. Diese 31 % (Mai 2011) können großteils zu den pragmatischen EuroskeptikerInnen gezählt werden. Auch unter den 18 % der KritikerInnen einer Mitgliedschaft ihres Landes sind nicht alle Anti-EuropäerInnen. Wie viele davon grundsätzlich gegen den Integrationsprozess sind, lässt sich aus diesen Daten nicht ableiten. Es ist aber anzunehmen, dass sie sich auf die fünf Untergruppen verteilen. Obwohl die Eurobarometer-Umfragen keine genaue Zuteilung zulassen, so geht aus ihnen zumindest hervor, dass weniger als 18 % der EU-Bevölkerung eine Mitgliedschaft aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. In einzelnen Ländern freilich ist der Anteil ablehnender Haltungen beträchtlich größer, allen voran in Griechenland (33 %) und dem Vereinigten Königreich (32 %), aber auch in Portugal (26 %), Österreich oder Zypern (je 25 %). Zwar ist auch dort davon auszugehen, dass eine Mehrheit der KritikerInnen zur Gruppe der pragmatischen EuroskeptikerInnen zählt. Dennoch ist die Gefahr einer fundamentalen EU-Kritik sowie eines starken Zuspruchs zu anti-europäischen Parteien in diesen Ländern größer als im Rest Europas. Insbesondere das Vereinigte Königreich und Österreich weisen über den Zeitverlauf stets relativ hohe Ablehnung auf. Der Anteil derer, die in diesen Ländern die Mitgliedschaft für eine schlechte Sache halten, fiel kaum je unter 20 %, während er in Griechenland bis vor wenigen Jahren um die 10 % herum lag und erst mit der Krise auf 33 % anstieg (vgl. Eurobarometer 1995-2011, ec.europa.eu/public_opinion/index_en.htm).

Umgang mit EU-Kritik

Wie die obigen Ausführungen zeigen, ist Kritik an der Europäischen Union kein eindimensionales Phänomen, sondern ein sehr facettenreiches. Wird die Vielfalt aber nicht wahrgenommen, sondern jede EU-Kritik tendenziell als indiskutable Anti-EU-Position gebrandmarkt, so verpasst man die Chance, in eine konstruktive Debatte einzutreten und SkeptikerInnen von der Sinnhaftigkeit des Integrationsprozesses zu überzeugen. Dies schadet der EU weit mehr als eine offene Auseinandersetzung über ihre Vor- und Nachteile. Wenn Europa vom Elitenprojekt zur Res Publica werden soll, dann sind die Einbeziehung der KritikerInnen und ein differenzierter Umgang unabdingbar.

Ein erster Schritt zu einer Entdämonisierung des Euroskeptizismus wäre eine systematische Auseinandersetzung mit den kritischen Argumenten und ein offener Diskurs über die Finalität der EU. Anstatt Angst vor Kritik zu haben, sollte man sie als demokratiepolitisch wertvoll würdigen. Dies bedarf eines Umdenkens unter nationalstaatlichen Eliten, die bisher mehr reaktiv als proaktiv agieren. Ein systematischer partizipativer Diskussionsprozess über die Zukunft Europas fern von naiver Beteiligungsromantik, in dem Platz für alle Arten der EU-Kritik ist, wäre dringend nötig und leicht anzustoßen. Es fehlt hier aber offenbar am politischen Willen. Die Verringerung der Lücke zwischen Eliten und BürgerInnen aber ist dringlich, gerade in Zeiten der Krise. Freilich gibt es dafür kein schnell umsetzbares Patentrezept. Beginnen könnte man aber mit der Schaffung von geeigneten und im nationalstaatlichen Kontext bewährten Foren. Konkrete Maßnahmen wie die Live-Übertragung von Debatten aus dem Europäischen Parlament in den öffentlich-rechtlichen Sendern aller Mitgliedstaaten oder ein Rederecht europäischer PolitikerInnen in nationalen Parlamenten wären erste Schritte. EU-Politik sollte nicht länger als Außenpolitik behandelt und dargestellt werden, sondern als Teil der Innenpolitik eines gemeinsamen Europas. Dies würde bedeuten, dass sowohl Kommissionsmitglieder als auch EU-ParlamentarierInnen anderer Staaten ein Gesicht in nationalen Öffentlichkeiten bekämen und sich den Fragen der BürgerInnen stellen müssten. Europa-Diskurse braucht es bereits auf der Mikroebene. Politische Bildung sollte daher ausdrücklich Europa-Bildung mitberücksichtigen, und zwar in allen Altersstufen und Schulformen (vgl. Pausch 2011, 178 f.). Dabei geht es u.a. darum, den Menschen die bereits bestehenden Möglichkeiten der Mitbestimmung auf EU-Ebene näher zu bringen und sie zur Beteiligung zu ermutigen. Exkursionen zu europäischen Institutionen sowie transnationaler Austausch zwischen Schulen, Betrieben und Vereinen können Diskurse über Europa nachhaltig verbessern. Im Umgang mit EU-Kritik geht es aber in erster Linie um eine Haltungsänderung der Eliten und um den Mut, über die Finalität Europas offen zu diskutieren.

Gaisbauer, Helmut and Markus Pausch (2009), The Gap Between Elites and Citizens, in: Bruell, Cornelia, Monika Mokre and Markus Pausch, eds., Democracy Needs Dispute. The Referenda on the European Constitution, Campus: Frankfurt am Main.

Haller, Max (2009), Die Europäische Integration als Elitenprozess: Das Ende eines Traums? VS Verlag: Wiesbaden.

Hartleb, Florian (2012), Euroskeptische Parteienfamilie, in: Uwe Jun und Benjamin Höhne (Hrsg.), Parteienfamilien. Identitätsbestimmend oder nur noch Etikett?, Arbeitskreis Parteienforschung der DVPW, Budrich Verlag: Opladen, Berlin & Toronto 2012, S. 302-325.

Höpner, Martin und Bojan Jurczyk (2012), Kritik des Eurobarometers. Ueber die Verwischung der Grenze zwischen seriöser Demoskopie und interessengeleiteter Propaganda, in: Leviathan. Berliner Zeitschrift fuer Sozialwissenschaft, 40. Jg. 3/2012, S. 326-349.

Pausch, Markus (2008), Die Eurobarometermacher auf der Zauberinsel: Konstruktion einer europäischen öffentlichen Meinung durch Umfrageforschung, in SWS-Rundschau, 48/3, S. 356-361.

Pausch, Markus (2011), Politische Bildung und Europa, in: Popp, Reinhold, Markus Pausch und Ulrich Reinhardt, Zukunft.Lebensqualität.Bildung, LIT-Verlag: Wien, S. 167-187.

Rabier, Jacques-René (1968), Do Exchange Visits Create Good Europeans? in: European Community, No. 113, June 1968, S. 13-15.

Sczerbiak, Aleks and Paul Taggart (2008), Opposing Europe. The Comparative Party Politics of Euroscepticism, Oxford University Press.

Usherwood, Simon, Nick Startin and Simona Guerra (2013), Euroscepticism as a Persistent Phenomenon, Journal of Common Market Studies Volume 51, Issue 1, pp. 1-16.

Vasilopoulou, Sofi a (2013), Continuity and Change in the Study of Euroscepticism: Plus ça change? Journal of Common Market Studies Volume 51, Issue 1, pp. 153-168.

Weßels, Bernhard (2009), Spielarten des Euroskeptizismus, in: Decker, Frank und Markus Höreth, Hrsg., Die Verfassung Europas. Perspektiven des Integrationsprojekts, Springer VS: Frankfurt am Main, S. 50-68.

[1] Der zuletzt genannte Begriff ist in der EU-Forschung am gängigsten und wird daher in diesem Artikel verwendet.
[2] Finalität bezeichnet in der Philosophie etwas, das auf einen Zweck oder finalen Zustand ausgerichtet ist. In Bezug auf die EU wurde der Begriff v. a. unter deutschen Intellektuellen und Politikern diskutiert.

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen, der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.

Schlagwörter
Europaskepsis, EU-Kritik, europäische Öffentlichkeit

Zitation

Pausch, M. (2014). Keine Angst vor Euroskeptizismus! Über die Spielarten und die Nützlichkeit von EU-Kritik. Wien. ÖGfE Policy Brief, 5’2014
Prof. (FH) Dr. Markus Pausch

Prof. (FH) Dr. Markus Pausch ist Professor am Studiengang Soziale Arbeit und Soziale Innovation der Fachhochschule Salzburg. Er beschäftigt sich u.a. mit Demokratie, demokratischen Innovationen und der Zukunft der EU. Aktuelle Publikation als Hrsg: Perspectives for Europe. Historical Concepts and Future Challenges, Nomos-Verlag 2020. www.markuspausch.eu