Ein neuer „Goldstandard“ für internationale Handelsabkommen

Das Transatlantische Handels- und Investitionsschutzabkommen TTIP

Empfehlungen

  1. In der gegenwärtigen Form sollten die TTIP-Verhandlungen eingestellt werden. Verhandlungen zu Wirtschaftsabkommen sollten nur auf Basis eines direktdemokratischen Mandats oder breiten Hearings starten und die Ergebnisse Volksabstimmungen unterzogen werden.
  2. Handel, Kapitalverkehr und Investitionen sind Mittel des Wirtschaftens, aber keine Ziele an sich. Das Wirtschaftsvölkerrecht sollte dieses Verhältnis zum Ausdruck bringen.
  3. Das direkte Klagerecht von Konzernen gegen Staaten ist aus dem Völkerrecht zu entfernen.

Zusammenfassung

Seit Juli 2013 verhandeln die USA und die EU über die perspektivische Errichtung eines gemeinsamen Binnenmarktes, in dem Anbieter auf beiden Seiten des Atlantiks gleich gestellt und Investoren dank eines zusätzlichen direkten Klagerechts gegen Staaten auf internationaler Ebene sogar besser gestellt werden sollen als inländische Unternehmen.
Ziel ist die gegenseitige Anerkennung oder Harmonisierung sämtlicher Rechtsvorschriften in allen Bereichen und auf allen Ebenen (kommunale bis EU-Ebene), welche die Tätigkeit von Unternehmen – als Importeure oder als Investoren und Anbieter vor Ort – berühren. Perspektivisch soll es zur völligen Gleichstellung von EU- und US-Unternehmen bis hin zum öffentlichen Auftrag und Einkauf, zur Ausräumung aller Handelshindernisse, zum Verbot jeglicher Ansiedelungs- oder Investitionsanforderungen, zum Verbot der Beschränkung des Kapital- oder Ressourcenabflusses sowie zum Schutz von materiellem, geistigem und sogar „indirektem“ Eigentum kommen.
Für die Verhandlungen liegt kein direktes demokratisches Mandat vor, sie laufen intransparent und geheim. Der öffentliche Protest gegen Vorgangsweise und Inhalte ist groß.
Ziel dieses Policy Papers ist die konzise Zusammenfassung der Inhalte, die Beleuchtung des Hintergrunds, die kritische Hinterfragung des TTIP und das Aufzeigen von Alternativen.

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1. Hintergrund und Geschichte

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden auf internationaler Ebene immer mehr Abkommen zur Liberalisierung des Handels geschlossen. Dabei geht es nicht nur um die Beseitigung direkter Handelsbarrieren wie Zölle und Einfuhrkontingente, sondern auch um die Abschaffung von technischen Regulierungen, Zulassungsverfahren, Umwelt- und VerbraucherInnenschutzgesetzen, die Vergabe von Konzessionen, Regeln für öffentliche Ausschreibungen oder den Schutz geistiger Eigentumsrechte.
Die Abkommen werden auf mehreren Ebenen parallel verhandelt und abgeschlossen. Die wichtigste multilaterale Ebene ist die Welthandelsorganisation WTO, die 1995 aus dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT hervorging, und der Anfang 2014 159 Mitglieder angehörten.
Gleichzeitig entstanden regionale Handelszonen: Das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko, ASEAN in Ost- und Südasien oder Mercosur in Lateinamerika. Drittens werden auch bilaterale Handelsabkommen (zum Beispiel zwischen den USA und Marokko oder der EU und Südkorea) und darüber hinaus eine große Zahl von Investitionsschutzabkommen geschlossen. Allein von letzteren gibt es rund 3000.[1]
Für dieses umfassende internationale Handelsrecht und den Schutz von Investitionen und Eigentumsrechten steht eine internationale Gerichtsbarkeit zur Verfügung, zum einen im Rahmen der WTO (Dispute Settlement Understanding), zum anderen drei Gerichte für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten. Das wichtigste ist das bei der Weltbank angesiedelte ICSID (International Center for the Settlement of Investment Disputes). Dort können Investoren direkt gegen Staaten klagen (ISDS). Bis Mitte der 1990er Jahre konnte man die jährlichen Klagen an einer Hand abzählen, seit 20 Jahren nimmt ihre Zahl exponentiell zu. Anfang 2014 waren insgesamt 514 Investor-to-state-Klagen abgeschlossen oder anhängig.[2]
Das Abkommen zwischen den USA und der EU wäre – wie sein Name schon besagt – eine Kombination aus Handels- und Investitionsschutzabkommen. Bisher haben die EU-Mitgliedstaaten in Summe 1400 BIT[3] abgeschlossen, neun Staaten auch eines mit den USA. Neben dem enormen inhaltlichen Umfang soll das TTIP Vorbildcharkter entwickeln für andere bilaterale Abkommen und später für die multilaterale Ebene der WTO, auf der die Verhandlungen ins Stocken geraten sind. Die US-Handelskammer möchte das TTIP zum „Gold-Standard“ für internationale Handelsverträge machen.[4]

2. Inhalt des Abkommens

Obwohl die Zölle zwischen den USA und der EU im Schnitt nur noch vier Prozent betragen und „Freihandel“ praktisch erreicht ist (mit Ausnahme einiger Agrarzölle bis 205% oder Schuhe und Lederwaren, die mit 63% Zoll belegt sind[5]), ist der Umfang des Abkommens weitreichend. Es geht um eine Fülle von Themen, allen voran um „nichttarifäre“ Handelshindernisse, das sind Regulierungen und Gesetze aller Art „hinter den Zollmauern“, welche den Handel und das grenzüberschreitende Investieren erschweren. Neben „institutionellen Themen“ und „technischen Handelsbarrieren“ geht es um „sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen“, Lebensmittel und Landwirtschaft, Rohstoffe und Energie, öffentlichen Einkauf und Auftrag sowie um gerichtlich einklagbaren Investitionsschutz – eine Fülle von Themen, die man bei einem „Handelsabkommen“ nicht vermuten würde. Hier ist ein kurzer Überblick über die wichtigsten Verhandlungsfelder:
Regulierungen: Allein zu diesem Thema beinhaltet das Verhandlungsmandat 5 Bereiche:

  • einen zu „technischen Handelsbarrieren“ (TBT), der über das TBT-Abkommen der WTO hinausgehen soll: „TBT plus“;
  • einen zu „sanitären und phytosanitären Maßnahmen“ (SPS), der analog über das SPS-Abkommen der WTO hinausgehen soll: „SPS plus“;
  • sektorspezifische Maßnahmen und (De-)Regulierungen;
  • quer durch sämtliche Regulierungssektoren die Angleichung bestehender Standards durch „gegenseitige Anerkennung“ oder „Harmonisierung“;
  • Kooperation und Abstimmung bei zukünftigen Regulierungen. Diese umfasst die frühzeitige Vorabmeldung aller Regulierungsvorhaben auf allen Ebenen, das Abwarten von Stellungnahmen des Handelspartners, die Aufnahme der vorgeschlagenen Anpassungen oder die Begründung ihrer Nichtaufnahme.[6] So soll TTIP ein „living agreement“ werden und entscheidend in die zukünftigen legislativen Prozesse hineinwirken.[7]

„Das ultimative Ziel wäre ein integrierter transatlantischer Markt, in dem die Güter und Dienstleistungen, die in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Herkunftslandes erzeugt wurden, im Gastland ohne Anpassungen oder Anforderungen vermarktet werden können.“
EU-Kommission [8]

Letztlich geht es aber nicht nur um die Angleichung sämtlicher Regulierungen auf allen Ebenen in der EU und den USA, sondern um „globale Harmonisierung durch die Entwicklung internationaler Standards“.[9]
Energie und Rohstoffe: Es soll zur völligen Gleichbehandlung von in- und ausländischen Rohstoffunternehmen und zur Aufhebung aller Handelsbeschränkungen kommen. Außerdem sollen staatliche Interventionen verboten werden inklusive der Anforderungen an ausländische Investoren, mit inländischen Unternehmen zusammenzuarbeiten oder andere „performance requirements“ zu leisten.[10]
Öffentliche Beschaffung: Auch in diesem Bereich sollen die Investoren den gleichen Zugang zu Ausschreibungen erhalten wie inländische. Erwähnt werden der Transport-Sektor, Eisenbahn und Straßenbahn sowie der Negativlisten-Ansatz.[11] Dieser bedeutet, dass alle Bereiche liberalisiert werden, die nicht ausdrücklich ausgenommen werden. Außerdem soll die bevorzugte Behandlung von KMU oder dem Gemeinwohl dienenden Unternehmensrechtsformen verboten werden.[12]
Sensible Sonderthemen: Keine expliziten Verhandlungsthemen sind wichtige Themenbereiche, die im öffentlichen Interesse liegen, das durch die Verhandlungen gefährdet werden könnte:

  • Vorsorgeprinzip: Alle internationalen Umweltabkommen operieren mit dem Vorsichtsgebot, es braucht für Regulierungen keinen „wissenschaftlichen Beweise“, wie er in der WTO gefordert ist und wie es einflussreiche Lobbies beiderseits des Atlantiks wünschen.
  • Datenschutz: In den USA sind die Daten von KundInnen deutlich schwächer geschützt als in der EU, was historische Wurzeln hat (Nationalsozialismus). Da diese Daten selbst zu einem immer wertvolleren Handelsware werden, gibt es Ängste, dass die schwächeren Standards der USA in Zukunft auch für die EU gelten.
  • Geistiges Eigentum: Die freie Internet-Szene befürchtet einen neuen Anlauf für das Anti-Counterfeiting Trade Agreement „ACTA“, das den Verwertungsfirmen für geistiges Eigentum sehr weitgehende Rechte einräumen würde und deshalb im Juni 2012 vom Europäischen Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt wurde;
  • Fracking: Ähnlich dem Gentechnik-Moratorium könnte das Fracking-Moratorium geklagt werden. Die US-Firma Lone Pine klagt gerade Kanada auf 190 Millionen US-Dollar Schadenersatz aufgrund des Fracking-Moratoriums.

Streitbeilegung: Einer der umstrittensten Punkte ist ein direktes Klagerecht von Konzernen gegen Staaten, wenn diese ihre Rechte verletzt sehen. Auf Basis der meisten Investitionsschutzabkommen können nur Konzerne klagen, sonst niemand. Die ICSID-Verfahren finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, die Schiedsrichter sind zum Teil befangen[13], die Urteile sind geheim, und es gibt keine Berufungsmöglichkeit. In ihren „Verhandlungspositionen“ spricht die EU-Kommision zwar Reformen in einigen dieser Punkte an – so sollen in Zukunft sowohl die Dokumente als auch die Verhandlungen öffentlich sein –, hingegen scheinen die Überlegung zur Einrichung einer Berufungsinstanz nur flüchtig auf, am Allerweltsbegriff der „indirekten Enteignung“ wird festgehalten.[14]

3. Chronologie und öffentlicher Prozess

Die Aufnahme der Verhandlungen wurde im Jänner 2013 beschlossen, sie starteten am 16. Juli 2013 in aufeinander folgenden Runden. Die vierte Runde fand im März 2014 statt. Die EU veröffentlichte zu Verhandlungsstart „TTIP-Positionspapiere“, die Verhandlungspapiere selbst wurden geheim gehalten.
Diese intransparente Vorgangsweise wurde umso schärfer kritisiert, als bekannt wurde, dass die EU 600 VertreterInnen der Industrie und Lobbies vor Verhandlungsbeginn gezielt konsultiert hatte.[15] Im Zuge des zunehmenden öffentlichen Protests sickerten die Verhandlungspapiere schließlich doch durch, sie wurden der „ZEIT“ zugespielt und veröffentlicht.[16]
Aufgrund des wachsenden öffentlichen Widerstands sah sich EU-Handelskommissar Karel van Gucht genötigt, das ISDS-Kapitel, das direkte Klagerecht von Konzernen gegen Staaten, vorerst auszusetzen. Außerdem hat die Kommission eine breite Anhörung zivilgesellschaftlicher Stakeholder angekündigt. In der europäischen Zivilgesellschaft – Campact, Attac, BUND – sind bis März 2014 über 400.000 Unterschriften gegen das TTIP gesammelt worden.[17]
Die EU-Kommission betont die Vorteile des Abkommens: „Jedes Handelshindernis, das wir eliminieren, könnte zu einem bedeutenden ökonomischen Gewinn führen.“ Sie erwartet bei vollständiger Umsetzung einen jährlichen Gewinn von 545 Euro je Haushalt in der EU – allerdings bis zum Jahr 2027, das macht einen Gewinn von monatlich 3 Euro je Haushalt.[18] Eine ifo-Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums errechnet dank TTIP im mittleren Szenario ein Absinken der Arbeitslosenrate in der EU von 6,9 auf 6,85%, in Deutschland von 8,70 auf 8,64%.[19]

4. Bewertung

1. Undemokratisches Verhandlungsmandat: Das TTIP war nicht Wunsch oder Idee von BürgerInnen-Initiativen oder sozialen Bewegungen oder bestimmter Parteien, welche deren Anliegen verträten, es bedient ausschließlich die Interessen transnationaler Konzerne (TNC), die von deren Lobbies politisch durchgesetzt werden. TNC sind aber – aus demokratischer Perspektive – keine relevante gesellschaftliche Gruppe.
2. Intransparente Vorgangsweise: Die einseitige Befragung von Industrie-VertreterInnen und LobbyistInnen durch die EU-Kommission vor Verhandlungsbeginn unterminiert die demokratische Legitimation zusätzlich. Dass die Verhandlungsdokumente geheim gehalten werden, ist ein K.O. für die Demokratie – und der faktische Beweis, dass die Positionen demokratisch unhaltbar sind.
3. Unseriöse Versprechungen: Berechnungen wie jene der Bertelsmann-Stiftung, auf die sich die EU-Kommission beruft, werden von KritikerInnen massiv in Zweifel gezogen. Sie erinnern an ähnliche Versprechen bei anderen Abkommen, z. B. dem NAFTA, die später nicht eintraten. Jens Berger bewertet die Berechnung des ifo-Instituts als „Fall von Scharlatanerie, dessen Aussagekraft gegen Null geht“.[20]
4. Falscher Verhandlungsinhalt: Angesichts a) weitgehenden Freihandels zwischen den USA und der EU und b) des zusätzlichen Beitrags von „Freihandel“ zu sozialen und ökologischen Problemen – Stichwort Strukturwandel, Lohn-, Sozial-, Steuer- und Umweltdumping[21] – braucht es jetzt nicht mehr vom Gleichen, sondern verbindliche Abkommen für den Umweltschutz, für faire Einkommen und soziale Sicherheit, für Transparenz und Steuerkooperation, für regionale Resilienz und kulturelle Vielfalt. Hinter diesen Zielen steht eine große Zahl von Personen, NGOs und sozialen Bewegungen, sie kommen aber mit ihren Anliegen in der EU nicht durch.
5. Falsche Priorität: Die „Harmonisierung“ oder „gegenseitige Anerkennung“ unter dem Oberziel des Freihandels ist der systematisch falsche Ansatz, weil dadurch sämtliche Regulierungen einer „Freihandelsverträglichkeitsprüfung“ unterzogen werden müssten, was die falsche Priorität ist: Freihandel ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument für wichtigere Ziele: nachhaltige Entwicklung, gerechte Verteilung, kulturelle Vielfalt, Gleichstellung u. a. Erst wenn diese Zielprüfungen bestanden wären: Nachhaltigkeitsprüfung, Gerechtigkeitsprüfung, Gleichstellungsprüfung, Gemeinwohlprüfung, könnte daran gedacht werden, auch das Kriterium „least trade restrictive“ (den Handel so wenig behindernd wie möglich) zusätzlich zu prüfen.
6. Rechtliche Assymetrie: Der spezielle Zankapfel „ISDS“, das direkte Klagerecht von Konzernen gegen Staaten, ist eine Fehlentwicklung im Völkerrecht. Investitionsschutzabkommen schützen in der Regel ausschließlich die Rechte der Konzerne, während alle anderen Betroffenen keine (Klage-)Rechte haben. Auch hier gilt dieselbe Asymmetrie: Es ist nicht abwegig, das Eigentum von transnational agierenden Konzernen auf der internationalen Ebene durch globale Gerichte zu schützen, aber vorrangig wäre es, die Menschenrechte, die Umwelt, das Klima, eine gerechte Verteilung, Arbeitsstandards und dgl. rechtsverbindlich auf der internationalen Ebene durch globale Gerichte zu schützen. Doch diese gibt es nicht und sie sind auch in keinster Weise Gegenstand der Verhandlungen und nicht einmal der sie umgebenden politischen Diskussion. Solange es sie nicht gibt, ist es für ISDS schlicht „zu früh“.
7. Umgehung des Rechtsstaates: Ein regelrechter Auswuchs dieser Asymmetrie ist der Umstand, dass nicht nur physische und materielle Enteignungen geltend gemacht werden können, sondern auch „indirekte Enteignungen“ und „unfaire Behandlung“ – Gummibegriffe mit denen gegen alles und jedes geklagt werden kann. Dazu kam es auch bisher schon: Geklagt wurde praktisch alles vom Umweltschutzgesetz (Kanada) bis zum Atomausstieg (Deutschland), vom Mindestlohn (Ägypten) bis zur Wiedergutmachung der Apartheid (Südafrika), von der berechtigten Konzessionsauflösung (Ekuador, Argentinien) bis zur abgebrochenen Privatisierung (Polen). Viele Milliarden Steuergeld flossen bereits in Konzernkassen.[22]

5. Alternativen

1. Demokratische Legitimierung der Verhandlungen
Die internationalen Beziehungen im Allgemeinen und Wirtschaftsbeziehungen im speziellen sollten den Werten und Zielen demokratischer Verfassungen folgen: Menschenwürde, Solidarität, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Demokratie. Für die Aufnahme von Verhandlungen zu internationalen Abkommen sollte ein direktdemokratisches Mandat vorliegen. Das Mindeste wäre ein breiter und transparenter Hearing-Prozess aller Stakeholder, dessen Ergebnis die Verhandlungsgrundlage ist. Sollten sich bei der Mandat-Formulierung größere Divergenzen zeigen, müsste eine Volksabstimmung über verschiedene Varianten Klarheit über das genaue Ziel der Verhandlungen schaffen. Jedenfalls müsste das Endergebnis vom Souverän entschieden werden. Je genauer die VerhandlerInnen der Bevölkerung zu Beginn zuhören, desto wahrscheinlicher ist die Akzeptanz des Ergebnisses.
2. Globales Handelsabkommen im Rahmen der UNO
Ein multilaterales Handelsregime sollte im Herzen der Vereinten Nationen verankert sein und mit den Zielen und Werten ihrer Programme und Organisationen abgestimmt sein: Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung, Klimaschutz, kulturelle Vielfalt, Gleichstellung, Ernährungssouveränität, Arbeitsrechte, Steuerkooperation und Finanzregulierung. Die verbindliche Umsetzung dieser Ziele gäben den Rahmen für die schrittweise Liberalisierung des Handels, des Kapitalverkehrs und den Schutz grenzüberschreitender Investitionen. Den Zielen sollte Vorrang eingeräumt werden, damit die Mittel richtig wirken können.
3. Ehrgeizigere bilaterale Abkommen für den richtigen Zweck
Sollte ein multilaterales Abkommen nicht zeitnah zustande kommen, kann die EU mit einzelnen oder einer Gruppe von Partnerländern vorausgehen. Zum Beispiel könnten die EU und die USA gemeinsam beschließen, dass sie den durchschnittlichen ökologischen Fußabdruck ihrer BewohnerInnen schneller als die Weltgemeinschaft auf ein global nachhaltiges und gerechtes Maß reduzieren wollen. Gemessen an diesem Ziel können dann die geeigneten Mittel dafür gefunden werden. Das TTIP ist sicher nicht das beste Mittel zur Erreichung dieses Zieles (ebenso wenig für hohe und allgemeingültige Mindestlöhne, die Verringerung der Einkommensungleichheit oder die Verbesserung der Qualität öffentlicher Güter und Dienstleistungen).
4. Schutz der EU vor Dumping und Standortkonkurrenz durch „Ethischen Binnenmarkt“
Sollte es auf keiner Ebene – weder bi- noch multilateral noch global – zu einer gemeinsamen Ziel- und Rahmenordnung für den internationalen Handel und Kapitalverkehr kommen, könnte die EU jederzeit im Alleingang den Beginn für eine Ethische Handelszone machen. Alle Unternehmen aus dem EU-In- und Ausland würden verpflichtet, als Voraussetzung für den Marktzugang eine Gemeinwohl-Bilanz zu erstellen. Je besser das Ergebnis dieser Bilanz, desto freier ist der Marktzugang und umgekehrt: das Dumping wäre zu Ende.
5. Globale Gerichte für die Durchsetzung der Ziele
Die Entwicklung des Völkerrechts ist zweifellos ein Fortschritt für die Menschheit. Doch intransparente und parteiische Schiedsgerichte, die ausschließlich Klagen von Großkonzernen annehmen und die Mittel des Wirtschaftens durchsetzen – Handel, Investitionen, Eigentum – sind dafür nicht der richtige Ansatz. Wichtiger wäre ein internationaler Gerichtshof, der für alle Betroffenen von grenzüberschreitenden Investitionen zugänglich ist und vor dem Konzerne geklagt werden können, wenn diese zum Beispiel Menschenrechte oder Arbeitsstandards verletzen, die Gesundheit der Bevölkerung gefährden oder Ökosysteme zerstören. Dann ist auch klar, was die Ziele und welche die Mittel des Wirtschaftens sind.

1) UNCTAD: World Investment Report 2013, x.
2) European Commission: „Investment Protection and Investor-to-State Dispute Settlement in EU agreements“, Fact Sheet, November 2013, 10.
3) BIT = bilateral investment treaty = bilaterales Investitionsschutzabkommen.
4) Statement of the U.S. Chamber of Commerce on the Transatlantic Trade & Investment Partnership to the Office of the U.S. Trade Representative, 10. Mai 2013.
5) Andreas Fisahn: „Freihandel in Theorie und Praxis“, S. 11-28 in: KLIMENTA / FISAHN (2014), 18.
6) European Commission: „EU – US Transatlantic Trade and Investment Partnership: Trade Cross-cutting disciplines and Institutional provisions“, Initial EU position paper, 3.
7) Ebenda, 4.
8) Ebenda, 3.
9) European Commission: „EU – US Transatlantic Trade and Investment Partnership: Technical barriers to trade“, Initial EU position paper, 5.
10) European Commission: „EU – US Transatlantic Trade and Investment Partnership: Raw materials and energy“, Initial EU position paper, 3.
11) European Commission: „EU – US Transatlantic Trade and Investment Partnership: Public Procurement“, Initial EU position paper, 3.
12) Ebenda, 2.
13) Christian Felber und Alexandra Strickner: „Richter gegen Rechtsstaat und Demokratie“, Kommentar der Anderen in Der Standard, 11. 2. 2014: derstandard.at/1389859930905/Richter-gegen-Rechtsstaat-und-gegen-Demokratie
14) European Commission (2013): „Investment Protection and Investor-to-State Dispute Settlement in EU agreements“, Fact sheet, November 2013.
15) The German Times, 7. Februar 2014: www.german-times.com/index.php
16) Eine gut leserliche Darstellung bietet WEED:  www2.weed-online.org/uploads/ttip_draft_european_commission.pdf
17) https://www.campact.de/ttip/appell/teilnehmen/
18) ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/
19) IFO-INSTITUT (2013), 9.
20) www.nachdenkseiten.de
21) FELBER (2006), S. 165-184.
22) Christian Felber: „Alle Macht den Konzernen“, Kommentar der Anderen, Der Standard, 20. Dezember 2013:derstandard.at/1385171752681/Alle-Macht-den-Konzernen

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen, der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.

Zitation
Felber, C. (2014). Ein neuer „Goldstandard“ für internationale Handelsabkommen. Das Transatlantische Handels- und Investitionsschutzabkommen TTIP. Wien. ÖGfE Policy Brief 8’2014

Christian Felber

Christian Felber ist freier Publizist und Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Seine zwölf Bücher zu Wirtschaftsthemen wurden bisher in acht Sprachen übersetzt, darunter „50 Vorschläge für eine gerechtere Welt“, „Neue Werte für die Wirtschaft“, „Retten wir den Euro“, „Die Gemeinwohl-Ökonomie“ und „Geld. Die neuen Spielregeln“.
Er ist Mitbegründer von Attac Österreich, Initiator des Projekts „Bank für Gemeinwohl“ und Erfinder der „Gemeinwohl-Ökonomie“, die nach drei Jahren von 1500 Unternehmen aus 30 Staaten unterstützt wird.