Die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) zwischen der EU und den USA

Investitionsschutz und Streitbeilegung – Die Suche nach einem gerechten Ausgleich zwischen staatlichem Regulativ und unternehmerischen Interessen

Handlungsempfehlungen

  1. Einbeziehung des Bereichs ausländischer Investitionen in die laufenden TTIP-Verhandlungen.
  2. Unterstellung des dafür notwendigen Investitionsschutzes unter die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, da die ordentliche Gerichtsbarkeit des „Gaststaates“ eines ausländischen Investors zumindest „institutionell befangen“ ist.
  3. Genauere Vorgaben für die Schiedsgerichtsbarkeit hinsichtlich der Verantwortlichkeit des „Gaststaates“ bei „indirekter oder de facto Enteignung“.

Zusammenfassung

Obwohl bisher nicht einmal feststeht, ob die TTIP eine regionale Präferenzzone in Form einer Freihandelszone oder bloß ein präferentielles Freihandelsabkommen darstellt, enthalten ihre Entwürfe sinnvollerweise auch ein Kapitel über den Schutz ausländischer Direktinvestitionen. Es bietet sich nämlich geradezu an, dass in einem solchen Freihandelsraum nicht nur Waren, Dienstleistungen uam unbehindert ausgetauscht werden können, sondern dass es dabei auch zur grenzüberschreitenden Ansiedelung von Unternehmen kommt, die die jeweiligen Standortvorteile kostenmäßig ausnützen und dementsprechend auch günstiger produzieren können.
Zum Schutz dieser Unternehmen ist in der TTIP ein komplexes schiedsgerichtliches Investitionsschutzverfahren vorgesehen, dessen geplante Ausgestaltung auf erbitterten Widerstand vor allem zivilgesellschaftlicher Organisationen gestoßen ist. Es kommt in diesem Zusammenhang aber darauf an, genau zu formulieren, unter welchen zugesagten Voraussetzungen diese ausländischen Unternehmungen ihre Geschäftstätigkeit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat aufgenommen haben. Nur bei einem späteren Bruch dieser konkreten Zusagen hat sich in der Folge der „Gaststaat“ in einem schiedsgerichtlichen Verfahren, das vom betroffenen Unternehmen gegen ihn angestrengt wird, zu verantworten. Das Schiedsverfahren selbst läuft völlig objektiv und unabhängig ab, wenngleich die Frage, ob zB eine spätere Gesetzesänderung im „Gaststaat“ eine sog. „indirekte oder de facto Enteignung“ darstellt oder nicht, schwierig zu beantworten ist.

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Investitionsschutz und Streitbeilegung: Die Suche nach einem gerechten Ausgleich zwischen staatlichem Regulativ und unternehmerischen Interessen[1]

Die EU und die USA konfigurieren zusammen den weltweit größten Wirtschaftsraum mit mehr als 800 Millionen Verbrauchern, der für einen Anteil von 50% an der globalen Wirtschaftsleistung und für 30% des gesamten Welthandels verantwortlich ist. Es lag daher nahe, zur weiteren Vertiefung der gegenseitigen Handelsbeziehungen in Freihandelsgespräche einzutreten, deren Inhalt ergebnisoffen war.
So stand zu Beginn der Verhandlungen ua nicht einmal fest, ob diese zum Abschluss einer Freihandelszone iSv Art. XXIV Abs. 8 lit. b) GATT führen sollten, oder ob nur ein gewöhnliches Freihandelsabkommen angestrebt werden sollte.[2]

1. Die Verhandlungen über die TTIP

Nachdem im Jänner 2013 die Aufnahme von Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) zwischen der EU und den USA grundsätzlich beschlossen wurde, erließ der Rat am 14. Juni 2013 ein entsprechendes Verhandlungsmandat, aufgrund dessen die Gespräche bereits am 8. Juli 2013 aufgenommen werden konnten.[3]Die Verhandlungen über die TTIP verliefen vertraulich, sodass die Öffentlichkeit über deren Inhalt nicht informiert war.
Erst durch eine Indiskretion wurde der „EU-draft proposal on trade in services, investment and e-commerce for the TTIP negotiations“ vom 2. Juli 2013 am 27. Februar 2014 elektronisch in der Zeit online[4] veröffentlicht, in dessen Art. 11 ff. (Investment Protection) die Position der Kommission hinsichtlich der geplanten Schutzrechte enthalten war, die im bisherigen Verlauf der Verhandlungen das größte Hindernis dargestellt hatten. Aber bereits vor dieser Veröffentlichung des Vertragsentwurfes aus Sicht der EU war es zu einer Reihe von Indiskretionen gekommen.
So wurden die vom Rat am 14. Juni 2013 angenommenen Leitlinien für die Verhandlungen[5] inoffiziell publik gemacht und am 25. November 2013 veröffentlichte die NGO „Corporate Europe Observatory“ (CEO) eine geleakte Version der PR-Strategie der Kommission zur öffentlichkeitswirksamen Immunisierung der TTIP-Gespräche[6]. Daraufhin nahm die Kritik der organisierten Zivilgesellschaft an der in der TTIP vorgesehenen schiedsgerichtlichen Entscheidung über Klagen von Unternehmen gegen ihre „Gaststaaten“ dermaßen zu, dass sich Kommissar Karel de Gucht Ende Jänner 2014 veranlasst sah, die Verhandlungen darüber auszusetzen. In der Folge setzte die Kommission eine öffentliche Konsultation in Gang[7], im Rahmen derer interessierte BürgerInnen und Stakeholder vom 27. März 2014 bis zum 21. Juni 2014 neunzig Tage lang die zwölf dabei gestellten Fragen beantworten und ihre Bedenken gegen den geplanten Investorenschutz in der TTIP äußern können.[8]

2. Die allgemeine Kritik an der TTIP

Die Verhandlungen standen von Beginn an unter keinem günstigen Stern. Auf der politischen Ebene war die durch die Ausspähungspraktiken des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA belastete Atmosphäre unübersehbar, wenngleich der EU im Gefolge der Krim-Krise[9] wieder in aller Deutlichkeit vor Augen geführt wurde, wie sehr sie auf eine funktionierende transatlantische Partnerschaft mit den USA politisch, wirtschaftlich (und letztlich auch sicherheitspolitisch und militärisch) angewiesen ist.
Auf der wirtschaftlichen Ebene wiederum werden die erwarteten Vorteile aus der Sicht der Kritiker durch eine Reihe von Nachteilen mehr als aufgewogen. Im Zentrum der TTIP-Verhandlungen stehen Marktliberalisierungen für Güter, Dienstleistungen und Investitionen durch die Beseitigung von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen sowie entsprechender „Maßnahmen gleicher Wirkung“. Hinter den „nicht-tarifären“ Hemmnissen verbirgt sich dabei eine wechselseitige Anerkennung, Harmonisierung oder zukünftig sogar gemeinsame Ausarbeitung von Regulierungsstandards im Rahmen einer neuen „regulatorischen Zusammenarbeit“ zwischen der EU und den USA.[10]
Da die US-amerikanischen Standards in den Bereichen des Gesundheits- und Umweltschutzes, der Produktsicherheit, des Konsumentenschutzes, der Arbeitnehmerrechte uam aber grundsätzlich niedriger sind als in Europa, wäre für die Kritiker der TTIP der Weg frei für eine Absenkung der jeweiligen Standards im Sinne eines unabwendbaren „race-to-the-bottom“.[11]Die Konsequenzen wären zB „Fracking“ aus Ölschiefer und der Import von genmanipulierten Nahrungsmitteln, „Chlorhühnern“,  Hormonfleisch, geklonten Tieren usw. Des Weiteren wird aber auch eine erneute Schwächung des Euro und eine mögliche „Dollarisierung“ der EU bzw ihrer Mitgliedstaaten befürchtet.[12]
Auch im Bereich des Datenschutzes werden unter dem Eindruck der NSA-Spionageaffäre Bedenken geäußert, ebenso wie man befürchtet, dass die durch das Platzen von ACTA[13] erkämpfte Freiheit der Nutzung des Internets, wieder zurückgenommen werden könnte uam.
Alle diese (berechtigten) Bedenken fußen auf Vermutungen auf der Basis inoffizieller Texte und informell durchgesickerter Berichte über den bisherigen Verhandlungsverlauf. Es liegt allein bei der EU, sich in diesen Punkten „nicht über den Tisch ziehen zu lassen“ und die für sie wichtigen Standards als unverzichtbar zu deklarieren. Wieweit ihr das gelingt und wie ernst ihre Drohung genommen werden würde, nötigenfalls die Verhandlungen auch scheitern zu lassen, ist offen. Die EU muss nur ganz genau erklären, wo ihre diesbezügliche „rote Linie“ ist.

3. Spezielle Kritik an der Investitionsstreitbeilegung

Bevor auf die spezielle Kritik an der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten eingegangen werden kann, müssen zunächst die drei Schutzmechanismen für ausländische Investitionen erwähnt werden. Ausländische Investitionen werden zum einen

  • durch die gewohnheitsrechtlichen allgemeinen Regelungen des völkerrechtlichen Fremdenrechts im Rahmen der diplomatischen Protektion und zum anderen
  • durch eigene partikuläre Bestimmungen in völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommen geregelt, die der Heimatstaat des Investors mit dem „Gaststaat“ abschließt, in dem der Unternehmer tätig werden will. Dazu kommt noch ein weiterer Mechanismus, nämlich der
  • durch den direkten Abschluss eines Vertrages des Investors mit dem „Gaststaat“ (Investor-Staat-Vertrag).

Der Nachteil des fremdenrechtlichen Schutzes ist der, dass der Investor im Falle einer Schädigung zunächst die innerstaatlichen Rechtsmittel im „Gaststaat“ auszuschöpfen hat (exhaustion of local remedies) und erst danach seinen Heimatstaat um diplomatischen Schutz (espousal of claim) ersuchen kann, auf den er aber grundsätzlich keinen Rechtsanspruch hat.
Investor-Staat-Verträge“ wiederum unterliegen traditioneller Weise dem nationalen Recht des Gaststaates, sodass dieser „unter Umgehung“ dieser seiner vertraglichen Pflichten seine innerstaatliche Rechtsordnung dergestalt umändern kann, dass dadurch die Rahmenbedingungen für die unternehmerische Tätigkeit des Investors zu dessen Ungunsten umgestaltet werden.
Investitionsschutzabkommen zwischen dem Heimatstaat des Investors und dem „Gaststaat“ (BITs) schließlich weisen diese Nachteile nicht auf und sind auch durch ihren völkerrechtlichen Charakter dem Zugriff der nationalen Rechtsordnung des „Gaststaates“ entzogen. Sie ermöglichen es dem Investor regelhaft, im Falle einer Verletzung vertraglich zugesagter Standards, vor einem internationalen Schiedsgericht den „Gaststaat“ auf Schadensersatz zu klagen, ohne dass dessen Heimatstaat – der ja der formale Vertragspartner des Investitionsschutzabkommens ist – dabei intervenieren müsste.
In der Praxis sind diese idealtypischen Formen des möglichen Investitionsschutzes aber des Öfteren miteinander vermischt, zB durch sogenannte „Schirmklauseln“ (umbrella clauses), aufgrund derer sich der „Gaststaat“ dem Heimatstaat des Investors gegenüber verpflichtet, sämtliche Zusagen, die er dem Investor gegeben hat – zB auch in der Form der vorerwähnten „Investor-Staat-Verträge“ – einzuhalten.
Dementsprechend bildete der Investorenschutz auch den umstrittensten Punkt in der inhaltlichen Ausgestaltung der TTIP. So wie in die meisten anderen Investitionsschutzabkommen soll auch in die TTIP ua eine „Investor-Staat-Streitbeilegung“ (Investor-to-State Dispute Settlement, ISDS) aufgenommen werden, die es ausländischen Investoren ermöglichen sollte, ihre „Gaststaaten“ im Falle von „indirekten oder de facto Enteignungen“ vor Schiedsgerichten auf Schadensersatzzahlungen zu verklagen, wie dies zB bei den Klagen des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen Deutschland[14] – wegen des plötzlichen Atomausstiegs der Bundesrepublik[15] – oder des US-Tabakunternehmens Philip Morris gegen Australien – wegen der drastischen Warnungen auf australischen Zigarettenpackungen – oder Chevron gegen Ekuador – wegen Umweltverschmutzung durch aufgekaufte TEXACO – der Fall war.

4. Einrichtungen institutionalisierter Schiedsgerichtsbarkeit

Die wichtigste institutionalisierte Infrastruktur für eine Schiedsgerichtsbarkeit im Bereich des Investitionsschutzes stellt das Internationale Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (International Centre for Settlement of Investment Disputes, ICSID)[16) dar, das im Schoß der Weltbank in Washington eingerichtet ist und dessen Gründungsvertrag bis Ende 2013 von genau 150 Staaten ratifiziert wurde. In der über 40-jährigen Periode von 1972 bis Ende 2013 wurden beim ICSID insgesamt 469 Fälle registriert, von denen 282 abgeschlossen werden konnten, 187 aber noch anhängig sind.
Neben dem ICSID bestehen noch eine Reihe weiterer Mechanismen, wie zB die Arbitration Rules of the United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL), die Schiedsordnung der Internationalen Handelskammer International Chamber of Commerce (ICC) in Paris, die der Stockholm Chamber of Commerce (SCC) und die des London Court of International Arbitration (LCIA).

5. Schutzstandards, Klagerechte und Vollstreckung von Schiedssprüchen

In den insgesamt 1.400 bilateralen Investitionsschutzabkommen, die die EU-Mitgliedstaaten bisher abgeschlossen haben,[17] sind regelhaft folgende vier Garantien für den ausländischen Investor gegenüber seinem „Gaststaat“ enthalten:

  • Schutz gegen Diskriminierung (durch Meistbegünstigung und Inländergleichbehandlung);
  • Schutz gegen Enteignungen, die nicht im öffentlichen Interesse vorgenommen und nicht gerecht entschädigt wurden;
  • Schutz gegen unfaire und unbillige Behandlung, zB durch Versagung eines fairen Verfahrens und
  • Schutz des Rechts auf Transfer der erzielten Gewinne.[18]

Da die Investitionsschutzbestimmungen lediglich den Wert des Eigentums, nicht aber dessen Bestand schützen, kann der „Gaststaat“ zur Vermeidung des Vorwurfs einer „indirekten oder de facto Enteignung“ bei seiner Rechtsetzung daher von folgenden Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen ausgehen: das staatliche Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und einen nicht-diskriminierenden Charakter aufweisen, es ist ein ordnungsgemäßes Verfahren abzuführen und im Anlassfall die Zahlung einer adäquaten und effektiven Entschädigung zu leisten.
Die nähere prozedurale Ausgestaltung eines Klagerechts wegen Verletzung dieser vier idealtypischen Garantieklauseln wird regelhaft in einer Übereinkunft für eine „Investor-Staat-Streitbeilegung“ (ISDS) niedergelegt, und zwar vor allem deswegen, da in einer Reihe von Staaten Investitionsschutzabkommen vor inländischen Gerichten nicht direkt durchsetzbar sind, sodass erst durch eigene „Investor-Staat-Verträge“ die entsprechenden Klagsvoraussetzungen geschaffen werden müssen.
Was die Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen betrifft, so enthalten die einzelnen Schiedsverfahren unterschiedliche Bestimmungen. Während Schiedssprüche, die im Rahmen des ICSID ergehen, wie rechtskräftige, innerstaatliche Urteile vollstreckbar sind, ohne dass dem betroffenen Staat irgend eine Einspruchsmöglichkeit zusteht, sind die in anderen Schiedsverfahren erwirkten Schiedssprüche grundsätzlich nach der New Yorker Übereinkunft über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958[19] international zu vollstrecken, wobei aber dem unterlegenen Staat eine Reihe von Ablehnungsgründen (wie zB die Behauptung eines Verstoßes gegen den „ordre public“) offenstehen.

6. Zuständigkeit der EU für den Investitionsschutz?

Zuletzt soll noch der wichtigen Frage nachgegangen werden, ob die EU überhaupt eine Zuständigkeit für den Abschluss (auch) von Investitionsschutzabkommen – so wie im TTIP vorgesehen – hat oder nicht, und wenn ja, was denn dann das Schicksal der insgesamt 1.400 alten BITs ist, die die Mitgliedstaaten der EU seit den späten 1960-er Jahren untereinander (insgesamt 200 „Intra-EU BITs“) bzw mit Drittstaaten (insgesamt 1.200 „Extra-EU BITs“) abgeschlossen haben.
Durch den Vertrag von Lissabon ist die Kompetenz zur Regelung von „ausländischen Direktinvestitionen“ auf die EU übergegangen. Art. 207 Abs. 1 AEUV qualifiziert diese nunmehr als Teil der „gemeinsamen Handelspolitik“, die gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. e) AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt. Damit ist aber die komplexe Situation entstanden, dass die alten BITs der einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlichen Rechtsregimen unterliegen, je nachdem, ob sie entweder „Intra-EU BITs“ oder „Extra-EU BITs“ darstellen.
Vom Kompetenzübergang sind nur die bisherigen „Extra-EU BITs“ betroffen, da nur diese von den EU-Mitgliedstaaten mit Drittstaaten abgeschlossen wurden und daher „ausländische Direktinvestitionen“ darstellen. Sie unterstanden bisher der Altvertragsregelung des Art. 351 Abs. 2 AEUV, kollidieren aber nunmehr mit der ausschließlichen Zuständigkeit der EU, sodass für ihre Weitergeltung eine eigene Übergangsregelung[20] beschlossen werden musste.
Intra-EU BITs“, die allein zwischen den EU-Mitgliedstaaten abgeschlossen wurden, stellen hingegen keine „ausländischen Direktinvestitionen“ dar und verbleiben daher in der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten. Sie sind als völkerrechtliche Verträge zwischen den Mitgliedstaaten zu qualifizieren, wobei sofort die Frage auftaucht, wie sie denn zum anwendungsbevorrangten Unionsrecht stehen, mit dem sie unter Umständen kollidieren können (zB bezüglich der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV), der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV), der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV) sowie des Wettbewerbs- und Beihilfenrechts (Art. 101 ff., 107 ff. AEUV). Auf diese komplexe Frage, die in der Literatur nicht eindeutig gelöst ist, kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.
Intra-EU BITs“ können auch Altverträge iSv Art. 351 AEUV darstellen, soweit sie mit früheren Drittstaaten geschlossen wurden, die in der Folge der EU zB im Rahmen der fünften Erweiterungsrunde zum 1. Mai 2004 beigetreten sind. Der größte Teil der erwähnten 200 „Intra-EU BITs“ wurde nach dem „Mauerfall“ 1989 von den „alten“ EU-Mitgliedstaaten mit den mittel- und osteuropäischen Staaten (MOEL) abgeschlossen.

7. Fazit

Wie die Fülle der mehr als 3.000 bestehenden Investitionsschutzabkommen, die zu über 50% auch über „Schirmklauseln“ zum Einbezug von „Investor-to-State“-Abkommen verfügen,[21] belegt, sind die in der TTIP andiskutierten Varianten keineswegs als so „unorthodox“ anzusehen, dass sie den ausgebrochenen Sturm der Entrüstung rechtfertigen. Es ist aber ihre Vorbildfunktion für die zukünftige Ausgestaltung von Investitionsschutzmechanismen,[22] die Teile der Zivilgesellschaft so heftig reagieren lässt.
Worum es aber tatsächlich geht, ist die Notwendigkeit einer präziseren Formulierung derjenigen Passagen in den Investitionsschutzregelungen, die von den betroffenen Unternehmen als Grundlage für Schadensersatzklagen gegen den „Gaststaat“ in Anspruch genommen werden. Solange dabei juristisch vage Begriffe verwendet werden, sind die Schiedsrichter in der Auslegung dieser „semantischen Leerformeln“ nicht genügend determiniert. Dazu kommt, dass die internationalen Schiedsgerichte in der Regel aus Schiedsrichtern zusammengesetzt sind, die aus dem angloamerikanischen Rechtskreis stammen und dementsprechend einer richterlichen Rechtsfortbildung[23] bei Weitem positiver gegenüberstehen, als kontinentaleuropäische Richter. In diesem Zusammenhang muss aber aus europäischer Sicht immer beachtet werden, dass es sich dabei methodisch um Fragen der Interpretation vager Begriffe und nicht um ein, wie immer (un)determiniertes, richterliches „Ermessen“ handelt.
Über diese Präzisierung der in der jeweiligen Schiedsklausel verwendeten Begriffe hinaus sollten darin aber noch weitere technische Details geregelt werden, wie zB die Zusammensetzung des Schiedsgerichts, die Berücksichtigung eines Verhaltenskodex für die Schiedsrichter, der genaue Verfahrensablauf, die Verhinderung von Mehrfachklagen, die Transparenz des Verfahrens, die Kostentragung, die Einrichtung eines Berufungsmechanismus, die Vollstreckung des Schiedsspruchs uam. Dafür stehen an sich bereits vorgefertigte Modelle zur Verfügung, die von den Parteien in ihren Schiedsvergleich aufgenommen werden können. Solche modellhaften Verfahrensregeln  wurden ua vom vorerwähnten ICSID[24], aber auch von der in Wien ansässigen UN Commission on International Trade Law (UNCITRAL)[25] erstellt.

„TTIP nein danke! Transatlantische Partnerschaft geht anders“, Positionspapier deutscher NRO zum geplanten Freihandels & Investitionsabkommen EU–USA (TTIP), hrsg. vom Forum Umwelt und Entwicklung, Berlin Juni 2013.

1) Vgl. dazu Hummer, W. Umstrittene „Investor-Staat-Streitbeilegung“ (ISDS). Investitionsschutz in der geplanten „Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) zwischen der EU und den USA, EU-Infothek, vom 6. Mai 2014.
2) Vgl. Hummer, W. EU-USA: Freihandelsabkommen oder Freihandelszone?, EU-Infothek vom 16. April 2013.
3) Die TTIP-Chefunterhändler waren Ignacio García Bercero für die EU und Dan Mullaney für die USA.
4) www.zeit.de/wirtschaft/2014-02/freihandelsabkommen-eu-sonderrechte-konzerne; vgl. dazu Pinzler, P. EU will laut Geheimdokument Sonderrechte für Konzerne, Zeit online, vom 27. Februar 2014.
5) www.ttip-leak.eu/de/einstieg/leitlinien-fuer-die-verhandlungen.html
6) Durchgesickerte PR-Strategie der Europäischen Kommission: „Über TTIP kommunizieren“, vom 2. Jänner 2014; corporateeurope.org/de/trade/2014/01/durchgesickerte-pr-strategie-der-europ-ischen-kommission-ber-ttip-kommunizieren
7) Vgl. Europäische Kommission-Pressemitteilung, Europäische Kommission startet öffentliche Online-Konsultation über Investorenschutz in Transatlantischer Handels- und Investitionspartnerschaft, IP/14/292, vom 27. März 2014.
8) Breaking News zu Brüssel & Umwelt: Start der Online-Konsultation über Investorenschutz; Kanzler Faymann gegen Schiedsgerichte, EU-Umweltbüro: aktuelle EU-News, vom 27. März 2014; der Text des Online-Fragebogens ist auf der Website trade.ec.europa.eu/consultations zu finden.
9) Vgl. dazu Hummer, W. Rechtsgrundlagen der Individualsanktionen der EU im Gefolge der Krim-Krise, EU-Infothek vom 22. April 2014.
10) Hartmann, A. – Fuchs, P. Leere Versprechen, geheime Verhandlungen, in: Keller, Ska (Hrsg.), Das Freihandelsabkommen mit den USA in der Kritik (2014), S. 8.
11) Für eine Zusammenfassung der wichtigsten Kritikpunkte siehe Häusling, M. (Hrsg.), TTIP: No, we can’t. Kein Freihandelsabkommen auf Kosten europäischer Verbraucher (2013); Klimenta, H. – Fisahn, A. ua (Hrsg.), Die Freihandelsfalle, AttacBasisTexte 45.
12) Vgl. Defraigne, P. Choosing between Europe and the TTIP, Madariaga Paper – Vol. 6, No. 7 (November 2013), S. 3.
13) Siehe Hummer, W. Gehört ACTA schon ad acta gelegt?, EU-Infothek vom 23. Februar 2012.
14)ICSID-Case ARB/12/12: Vattenfall versus Federal Republic of Germany. Der Streitwert liegt bei 3,7 Mrd. Euro; vgl. Pinzler, P. Extrarechte für Multis, Die Zeit Nr. 50/2013, vom 16. Dezember 2013.
15) Vgl. Vattenfall: 15 Juristen gegen die Demokratie, Frankfurter Rundschau vom 23. März 2013.
16) Siehe dazu ICSID Convention, Regulations and Rules, as Amended and Effective April 10, 2006; https://icsid.worldbank.org/ICSID/StaticFiles/basicdoc/main-eng.htm
17)  Vgl. dazu nachstehend auf S. 6.
18) European Commission, Investment Protection and Investor-to-State Dispute Settlement in EU agreements, Fact Sheet, November 2013, S. 4.
19) UN Conference on International Commercial Arbitration, Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards, United Nations 1958 (BGBl. 1961/200).
20) Verordnung (EU) Nr. 1219/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 zur Einführung einer Übergangsregelung für bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen den Mitgliedstaaten und Drittländern, ABl. 2012, L 351, S. 40 ff.
21)
de.wikipedia.org/wiki/Internationales_Zentrum_zur_Beilegung_von_Investitionsstreitigkeiten

22) „Wenn TTIP das Modellabkommen des 21. Jahrhunderts werden soll, kann ich es mir kaum ohne Investitionsschutzklauseln vorstellen“; Interviewaussage des amerikanischen TTIP-Chefunterhändlers Michael Froman, in: Nass/Pinzler, Amerika diktiert nichts!, Die Zeit vom 8. Mai 2014, S. 27.
23) Sei es in Form eines „margin of appreciation“ oder einer „latitude of judicial discretion“.
24) Siehe vorstehend auf S. 5.
25)Vgl. dazu die UNCITRAL-Schiedsgerichtsregeln (1976) [ILM 15 (1976) 701] und die UNCITRAL-Regeln für das Vergleichsverfahren (1981) [ILM 20 (1981) 300).

  • CLASSEN, Claus Dieter (2012): „Der EuGH und die Schiedsgerichtsbarkeit in Investitionsschutzabkommen, EuR 6/2012, S. 611 ff.
  • DEFRAIGNE, Pierre (2013): „Choosing between Europe and the TTIP, Madariaga Paper – Vol. 6, No. 7 (November 2013)
  • HÄUSLING, Martin (Hrsg.) (2013): „TTIP: No, we can’t“. Kein Freihandelsabkommen auf Kosten europäischer Verbraucher!“.
  • HUMMER, Waldemar (2013): „EU-USA: Freihandelsabkommen oder Freihandelszone?“, EU-Infothek vom 16. April 2013.
  • HUMMER, Waldemar (2014): „Umstrittene „Investor-Staat-Streitbeilegung“ (ISDS). Investitionsschutz in der geplanten „Transatlantischen  Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) zwischen der EU und den USA“, EU-Infothek, vom 6. Mai 2014.
  • KELLER, Ska (Hrsg.) (2014): „Das Freihandelsabkommen mit den USA in der Kritik“.
  • KLIMENTA, Harald / FISAHN, Andreas ua (2014): „Die Freihandelsfalle. Transatlantische Industriepolitik ohne Bürgerbeteiligung – das TTIP“, AttacBasisTexte 45, VSA Hamburg.
  • PERKAMS, Markus (2011): „Internationale Investitionsschutzabkommen im Spannungsfeld zwischen effektivem Investitionsschutz und staatlichem Gemeinwohl.
  • SCHILL, Stephan (2011): „Internationales Investitionsschutzrecht und Vergleichendes Öffentliches Recht: Grundlagen und Methode eines öffentlich-rechtlichen Leitbildes für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, 71 ZaöRV (2011), S. 247 ff.
  • SCHREUER, Christoph, unter Mitarbeit von MALINTOPPI, Loretta / REINISCH, August / SINCLAIR, Anthony (2009): „The ICSID Convention. A Commentary“, Second edition.
  • TIETJE, Christian (2011): „Bilaterale Investitionsschutzverträge zwischen EU-Mitgliedstaaten (Intra-EU-BITs) als Herausforderung im Mehrebenensystem des Rechts, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht 104, Eigenverlag Universität Halle-Wittenberg.

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.

Zitation

Hummer, W. (2014). Die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) zwischen der EU und den USA. Investitionsschutz und Streitbeilegung – Die Suche nach einem gerechten Ausgleich zwischen staatlichem Regulativ und unternehmerischen Interessen. Wien. ÖGfE Policy Brief, 12’2014

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Zu diesem Policy Brief ist auch ein Gastkommentar des Autors in Die Presse erschienen.

Univ.-Prof. DDDr. Waldemar Hummer

Univ.-Prof. DDDr. Waldemar Hummer ist emeritierter Professor für Europarecht und Völkerrecht am gleichnamigen Institut der Universität Innsbruck.