Der Wahlkampf in Großbritannien und die Folgen für den Brexit

Handlungsempfehlungen

  1. Die Tatsache, dass es in Großbritannien weder eine klare öffentliche Meinung, noch einen ideologisch festgelegten Fahrplan von Premierministerin Theresa May zum Ausgang der Brexit-Verhandlungen gibt, sollte von den EU-27 dazu genutzt werden den Weg der Verhandlungen vorzugeben.
  2.  Die EU-27 sollten sich darauf konzentrieren, die notwendigen Kompromisse möglichst präzise und umfassend zu kommunizieren, um auch die britische Bevölkerung zu erreichen.
  3. Die EU-27 müssen sich auf schwierige und anhaltende innenpolitische Diskussionen in Großbritannien einstellen, bei der die britische Regierung unter Zugzwang auch überraschende Entscheidungen treffen wird.

Zusammenfassung

Aus dem Wahlkampf in Großbritannien wird Premierministerin Theresa May geschwächt hervorgehen. Obwohl sie auf einen Sieg bei der Parlamentswahl zusteuert, haben die letzten Wochen gezeigt, dass ihre Führungsqualitäten angezweifelt werden und dass sie noch keinen klaren Fahrplan zum Brexit hat. In der Partei ist Theresa May mehr umstritten als erwartet. Das Wahlprogramm gibt keinem Ausgang der Verhandlungen besondere Legitimität. Durch den Wahlkampf haben sich die Chancen auf innerparteiliche und innenpolitische Konflikte während der Verhandlungen vergrößert, anstatt die Position von Theresa May klar zu verfestigen.

****************************

Der Wahlkampf in Großbritannien und die Folgen für den Brexit

Nur ein Jahr nach dem Brexit-Votum geht Großbritannien zur Wahl, drei Jahre früher als vorhergesehen. Das vermeintliche Ziel von Premierministerin Theresa May: eine vergrößerte Mehrheit im Parlament, um danach als „starke und stabile“ Regierung den Austritt aus der EU verhandeln zu können. Mit einem klaren Sieg wollte sie für ihren Brexit-Kurs Legitimität sammeln. Auch sollte möglicher Kritik aus den eigenen Reihen der Einfluss auf die Verhandlungen genommen werden.

Mays Rechnung ist bisher nicht aufgegangen.

Mays Rechnung ist bisher nicht aufgegangen. Sie wird voraussichtlich aus diesem Wahlkampf geschwächt hervorgehen, auch wenn sich ihre parlamentarische Mehrheit vergrößert.[1] Der Verhandlungsweg wird sich als steinig erweisen, auch weil die öffentliche Meinung der BritInnen immer noch von Widersprüchen geprägt ist.
Am Anfang des Wahlkampfes schien die Lage klar: Theresa May war in der Wählergunst uneinholbar vorne, und am 8. Juni würde sie ein stärkeres Mandat für ihre Vision des Brexit bekommen. Seitdem hat es zwei Überraschungen gegeben. Diese sind auch für die Zeit nach der Wahl wichtig, also für die harten Verhandlungen mit der EU.

Theresa May zeigt Schwächen

Die erste Überraschung: Theresa May hat durch den Wahlkampf erste Kratzer an ihrem Image bekommen. Ihre öffentlichen Fernsehauftritte waren steif und wenig überzeugend. Dazu kam eine verpatzte Einführung ihres Wahlprogramms, das vor allem bei der Alterspflege eine umstrittene Reform beinhaltete.[2] Diese hätte besonders die Kernwählerschaft der Konservativen, die Mittelschicht, betroffen.
Theresa Mays Kehrtwende in dieser Frage ließ nicht lange auf sich warten. Zurück blieb der Eindruck einer Premierministerin, die Reformvorschläge nicht genügend durchdenkt, und die gleichzeitig schnell einen Rückzieher macht, wenn sie Gegenwind verspürt. Die Reaktion der Medien: statt „stark und stabil“ sei May eher „schwach und wackelig“.[3]
Gleichzeitig hat Labour im Wahlkampf wieder an Stärke dazugewonnen. Ihr Parteivorsitzender Jeremy Corbyn ist nach wie vor unbeliebt, vor allem bei älteren WählerInnen.[4] Von vielen wird die Partei als nicht regierungsfähig angesehen. Dennoch steigt die Zustimmung für die Partei, wohl vor allem deshalb, weil viele WählerInnen den politischen und wirtschaftlichen Ideen von Labour immer noch positiv gegenüber stehen. Außerdem hat sich Labour anscheinend mit dem Austritt aus der EU abgefunden, wodurch dieses Thema auch weniger stark im Wahlkampf auftrat als erwartet.[5]

Für die Brexit-Verhandlungen könnte der Wahlkampf bedeuten, dass Theresa May es schwer haben wird, mit Widerstand in den eigenen Reihen und in der Bevölkerung umzugehen.

Für die Brexit-Verhandlungen könnte der Wahlkampf bedeuten, dass Theresa May es schwer haben wird, mit Widerstand in den eigenen Reihen und in der Bevölkerung umzugehen. Zum einen hat die Auseinandersetzung über die Alterspflege gezeigt, dass sie schnell unter Beschuss geraten kann und dann auch ihre Meinung ändert. Zum anderen hat der rasche Anstieg an Zustimmung für Labour gezeigt, dass May nicht uneinholbar vorne liegt, und ihre Sympathiewerte womöglich weicher sind als gedacht.

Keine Brexit-Wahl

Die zweite Überraschung: die Wahl ist kein zweites Referendum über den Brexit oder über die Ziele der Verhandlungen. Obwohl das Thema nach wie vor die Medien beschäftigt, rücken, wie immer bei Wahlen, eine Vielzahl von Kontroversen in den Vordergrund. Darüber hinaus wurde der Wahlkampf von den Anschlägen in Manchester und London überschattet. Deshalb wird man aus der Wahl keinen klaren Kurs für die Verhandlungen ablesen können. Theresa May wird voraussichtlich als Verhandlungsführerin bestätigt werden, aber es ist immer noch unklar, welche Art des Austritts die Bevölkerung möchte.

Es ist in der Bevölkerung wenig umstritten, dass der Austritt kommen muss.

Eins ist jedoch klar: es ist in der Bevölkerung wenig umstritten, dass der Austritt kommen muss. Die Anzahl derer, die das Ergebnis des Referendums für falsch halten, liegt laut YouGov bei unter 50 Prozent.[6] Noch wichtiger ist jedoch, dass nur 21 Prozent der Befragten die Entscheidung zurücknehmen wollen, zum Beispiel in einem neuen Referendum. Stattdessen haben sich die BritInnen mit dem Ergebnis der Abstimmung mehrheitlich abgefunden. Das Ziel sollte demnach sein, den Austritt bestmöglich zu gestalten. In der öffentlichen Meinung ist auch relativ unumstritten, dass Theresa May die am besten geeignete Person ist, die Verhandlungen durchzuführen.

Brexit, aber wie?

Bei den Verhandlungen zeigen sich jedoch erste Gefahren ab. Wie der Brexit aussehen soll, ist nämlich bei den BritInnen wenig klar verankert.[7] In zwei Punkten zeigt sich die öffentliche Meinung relativ hart und konsistent. Zum einen gibt es klare Zustimmung zu einer Beschränkung der Zuwanderung aus EU-Ländern, zum anderen soll Großbritannien nicht länger substanziell zum EU-Budget beitragen müssen. Hier sind die BritInnen eher Befürworter eines „harten“ Brexit.
Manche Aspekte eines „weichen“ Brexit sind aber auch für WählerInnen attraktiv. Zum Beispiel sind Befragte eher zustimmend, was den Binnenmarkt, den Freihandel, die Forschungskooperation oder auch Roaming-Gebühren betrifft. Gefragt nach der Entscheidung zwischen zwei sich ausschließenden Möglichkeiten – Binnenmarkt einerseits und Zuwanderungsbeschränkungen andererseits – zeigt sich auch kein klares Bild, es gibt keine eindeutige Mehrheit für die eine oder andere Option. In einer YouGov-Umfrage sagten zudem fast 40 Prozent der Befragten trotz der klaren EU-Position, dass sich die Teilnahme am Binnenmarkt und EU-Zuwanderungsbeschränkungen nicht gegenseitig ausschließen würden.[8]
Genaue Meinungen zu diesen schwierigen und komplexen Themen zu entwickeln ist natürlich für einzelne WählerInnen kein leichtes Unterfangen. Es ist daher nicht unbedingt überraschend, dass viele kein klares Bild davon haben, was genau zur Debatte steht und welche Konsequenzen möglicherweise bevorstehen. Genau deshalb gibt es wichtige Einflussmöglichkeiten von Parteien und anderen Akteuren. Die öffentliche Debatte zum Brexit könnte noch interessante Wendungen annehmen.

Die öffentliche Debatte zum Brexit könnte noch interessante Wendungen annehmen.

Das ist auch deshalb möglich, weil das Wahlprogramm der Konservativen vage geblieben ist.[9] Nur zwei Seiten der über 80 Seiten des Programms befassen sich direkt mit den Modalitäten des Austritts. Klare Aussagen fehlen. In dem Programm plädiert die Partei zwar für den Austritt aus der Zollunion und dem Binnenmarkt und für die starke Beschränkung der Zuwanderung. Dies sind Zeichen, die auf einen harten Austritt hinweisen. Andererseits deutet die Partei an, dass tiefergehende Kooperation in Forschung und innerer Sicherheit weiterhin möglich sein könnten. Auch der Abschied aus dem Binnenmarkt ist vage gehalten: Das Programm erwähnt die Möglichkeit einer „tiefen, besonderen“ Partnerschaft, bei der Freihandel und Zollfreiheit eine große Rolle spielen.

Ausblick

In dem ersten Jahr ihrer Regierung hat Theresa May sich großer Beliebtheit erfreut. Nach der Wahl wird ihre Partei voraussichtlich als Gewinnerin hervorgehen. Theresa May hat dann eine volle Legislaturperiode Zeit, den Brexit und seine Folgen zu verhandeln und zu verarbeiten. In diesem Sinne hat Theresa May sich große Spielräume verschafft, um ihre Ziele zu erreichen.
Der Wahlkampf zeigt aber schon, dass dies keine leichte Aufgabe für sie sein wird. Innerparteilich hat sie gezeigt, dass sie mit hartem Gegenwind nicht immer gut umgehen kann. In der Bevölkerung machen sich auch erste Kratzer an ihrem Image bemerkbar. Die Frage ist daher, wie Theresa May und ihre Regierung auf schwierige Fragen bei den Verhandlungen reagieren werden. Welche Rückzieher werden gemacht, welche Kompromisse geschlossen? Hierauf gibt es bisher wenige eindeutige Hinweise.
Konflikte um den „besten“ Brexit werden kommen, und es ist noch nicht klar, wie diese gelöst werden. Der aktuelle Wahlkampf hat gezeigt, dass es bei den Verhandlungen zum Brexit in Großbritannien erst wenig klare Ziele und stattdessen viel Spielraum für Konflikte gibt.

[1] Wissenschaftliche Vorhersagen des Wahlergebnisses findet man hier: http://www.electionforecast.co.uk/ und https://electionsetc.com/.
[2] Rowena Mason und Denis Campbell, Theresa May under pressure over ‘dementia tax’ social care shakeup, 21.5.2017, https://www.theguardian.com/politics/2017/may/21/theresa-may-under-pressure-over-dementia-tax-social-care-shakeup.
[3] Liam Young, Theresa May isn’t looking so strong and stable now – do we really want her leading us into the Brexit negotiations?, The Independent, 22.5.2017.http://www.independent.co.uk/voices/theresa-may-general-election-2017-u-turn-dementia-tax-brexit-european-union-a7749291.html.
[4] YouGov Survey results, 24-25 May 2017, http://d25d2506sfb94s.cloudfront.net/cumulus_uploads/document/z56a3650h8/Results_170525_Favourability_W.pdf.
[5] Im Wahlprogramm steht klar: „Labour akzeptiert den Ausgang des Referendums.“ http://www.labour.org.uk/manifesto.
[6] Anthony Wells, Attitudes to Brexit: Everything we know so far, YouGov, 29.3.2017, https://yougov.co.uk/news/2017/03/29/attitudes-brexit-everything-we-know-so-far/.
[7] John Curtice, Hard – but not too hard: Much more on what voters want from Brexit, What UK Thinks, http://whatukthinks.org/eu/analysis/hard-but-not-too-hard-much-more-on-what-voters-want-from-brexit/.
[8] Anthony Wells, Attitudes to Brexit: Everything we know so far, YouGov,29.3.2017, https://yougov.co.uk/news/2017/03/29/attitudes-brexit-everything-we-know-so-far/.
[9] Siehe: https://www.conservatives.com/manifesto.

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die die Autoren arbeiten, überein.
Schlagworte
Brexit, Großbritannien, Wahlen
Zitation
Wagner, M. (2017). Der Wahlkampf in Großbritannien und die Folgen für den Brexit. Wien. ÖGfE Policy Brief, 14’2017

Markus Wagner

Markus Wagner ist assoziierter Professor am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien.