Bewirkt der „Brexit“ auch den automatischen Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus EURATOM?

Gegenseitige Bedingtheiten zwischen EU und EURATOM

Handlungsempfehlungen

  1. Da das Vereinigte Königreich (UK) offensichtlich nicht daran gedacht hat, dass ein „Brexit“ aus der EU höchstwahrscheinlich auch zum Austritt aus EURATOM führt, muss es so rasch als möglich dazu eine eigene „Kompensations-Strategie“ entwickeln.
  2. Die 27 EU-Mitgliedstaaten wiederum können diese „Unschlüssigkeit“ der britischen Position nützen, um das UK neben den „Brexit“-Verhandlungen auch noch in die „EURATOM-Schere“ zu nehmen.
  3. Die EU sowie ihre Mitgliedstaaten sollten sich ihrer starken Verhandlungsposition in beiden Bereichen bewusst sein, und dementsprechend keine Konzessionen in vitalen Fragen (zB Binnenmarkt) machen, um damit kein Präjudiz zu liefern.

Zusammenfassung

Die Volksbefragung vom 23. Juni 2016 im UK bezog sich nur auf den Verbleib oder den Austritt des UK aus der EU. Damit wurde das britische Elektorat aber nicht über die negativen Folgen des uU damit verbundenen Austritts aus EURATOM befragt. Da die EU und EURATOM aber institutionell-funktional („Organleihe“, Finanzierung uam) eng miteinander verbunden sind, bedingt der „Brexit“ aus der EU gleichzeitig womöglich auch den Austritt des UK aus EURATOM. Damit wird aber nicht nur eine „zweite Front“ in den „Brexit“-Austrittsverhandlungen des UK aus der EU gem. Art. 50 EUV eröffnet, sondern vor allem das ambitionierte Ausbauprogramm der Atomenergie des UK in Hinkley Point C gefährdet, da dieses auf die Förderung, aber auch Kontrolle durch EURATOM angewiesen ist.
In diesem Zusammenhang ist auch der Ausgang der von Österreich im Juni 2015 beim Gericht der Europäischen Union (EuG) gegen den Beihilfen-Genehmigungsbeschluss der Kommission für den weiteren Ausbau von Hinkley Point C eingebrachten Nichtigkeitsklage von grundlegender Bedeutung. Österreich vertrat dabei die Ansicht, dass die britische Finanzhilfe eine unzulässige Betriebsbeihilfe iSv Art. 107 Abs. 1 AEUV und nicht eine reine Investitionsbeihilfe iSv Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV darstellt, wie die Kommission argumentiert hatte.

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Bewirkt der „Brexit“ auch den automatischen Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus EURATOM?

Gegenseitige Bedingtheiten zwischen EU und EURATOM

Einführung

Obwohl man glaubte, in der bereits abundanten Literatur zu den Folgen der negativen Volksbefragung der BritInnen vom 23. Juni dieses Jahres zur Frage eines weiteren Verbleibs des Vereinigten Königreichs (UK) in der Europäischen Union (EU) („Brexit“) schon alle Aspekte ausgeleuchtet zu haben, ist auf eine, besonders wichtige Problematik bisher noch nicht entsprechend eingegangen worden, nämlich auf die Frage, ob der Austritt aus der EU zwingend auch den Austritt aus der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) nach sich ziehen würde, oder nicht.
Ist schon ganz allgemein die institutionell-funktionale „Abhängigkeit“ der EURATOM von der EU einigermaßen komplex, so stellt die Frage der gegenseitigen Bedingtheit eines Austritts aus einer dieser beiden internationalen Organisationen eine literarisch nach wie vor nicht eindeutig gelöste Problematik dar. Bisher wurde, wenn überhaupt, lediglich die Frage andiskutiert, ob man aus EURATOM isoliert austreten könne, ohne zugleich auch aus der EU austreten zu müssen. Die gleichsam „spiegelbildliche“ Fragestellung, ob der Austritt aus der EU zwingend auch zu einem gleichzeitigen Verlassen von EURATOM führt, wurde bisher nicht weiter geprüft. Ebensowenig wurde untersucht, welche Wirkung ein Ausscheiden aus EURATOM auf die Mitwirkung des UK in der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) mit Sitz in Wien hätte.
Diesen Fragen kommt im Zusammenhang mit dem „Brexit“ aber deswegen eine überaus große Bedeutung zu, da das UK vor kurzem den Ausbau seiner größten AKW-Anlage in Hinkley Point C durch zwei weitere Atommeiler beschlossen hat. Würde der „Brexit“ aus der EU automatisch zu einem Austritt des UK auch aus EURATOM führen, so würde diese Anlage – letztlich aber auch alle weiteren sieben AKWs im UK – nicht mehr der Förderung und Kontrolle durch EURATOM – zB durch Subventionen, Teilnahme an gemeinsamen Forschungsprogrammen, Safeguards, Sicherheitsauflagen, Entsorgung des atomaren Mülls, Schutz der Bevölkerung vor radioaktiver Verstrahlung uam – unterliegen.
Nur vordergründig würde ein Ausscheiden aus EURATOM dem UK eine größere Bewegungsfreiheit einräumen: zum einen würde die Kontrolle seiner AKWs nach wie vor den Safeguards der IAEO – nur nicht mehr in engem Zusammenwirken mit den EURATOM-Safeguards – unterliegen, und zum anderen müsste sich das UK in alle laufenden Programme von EURATOM[1] erneut „hineinverhandeln“, um nicht den wissenschaftlich-technischen Anschluss zu verlieren, so wie dies auch von Nicht-EU-Mitgliedsländern, wie zB der Schweiz und Norwegen, vorexerziert wurde.
Es ist daher angezeigt, einen Blick auf die komplexen Zusammenhänge zwischen dem „Brexit“ des UK aus der EU und einem dadurch eventuell ausgelösten Ausscheiden auch aus EURATOM bzw. eines denkmöglichen Verbleibs desselben in EURATOM zu werfen. Dabei muss zunächst die gegenseitige Verflechtung von EU und EURATOM und danach die Frage eines isolierten Austritts aus EURATOM dargestellt werden. Da zu letzterer Problematik vor allem österreichische Autoren gutachtlich Stellung bezogen haben, muss auch darauf kurz eingegangen werden, bevor abschließend die Konsequenzen eines Ausscheidens des UK aus EURATOM auf die britischen Pläne eines massiven Ausbaus von Hinkley Point C aufgezeigt werden. 

Die gegenseitige institutionelle „Verzahnung“ von EU und EURATOM

Bereits zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des „Vertrags über eine Verfassung für Europa“ (2004) wurde der EURATOM-Vertrag konzeptiv als eigener Vertrag bestehen gelassen und damit EURATOM als eigene Rechtsperson des Völkerrechts bewusst beibehalten und nicht in den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der neuen EU mit einbezogen.[2] Einer der Gründe für diese Vorgangsweise war wohl der, dass man damit den hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie zur Energieerzeugung skeptischen Mitgliedstaaten der EU die Möglichkeit eines (isolierten) Austritts aus EURATOM bieten wollte, der nämlich dann rechtstechnisch nicht mehr zur Verfügung gestanden wäre, wenn die Union aus den fusionierten Organisationen EU und EURATOM bestanden hätte. Aus einer dergestalt fusionierten EU hätte man keinesfalls allein aus EURATOM austreten können. Auf der anderen Seite musste man aber dafür sorgen, dass die nunmehr nebeneinander bestehenden Organisationen EU und EURATOM ihren Tätigkeiten koordiniert und aufeinander abgestimmt nachgehen konnten, was man institutionell am besten in Form „gemeinsamer Organe“ zu bewerkstelligen versuchte.
Dementsprechend ging der Vertrag von Lissabon von folgender Organisationssukzession aus: Gem. Art 1 Abs 3 Satz 3 EUV tritt die neue EU nur an die Stelle der alten Europäischen Gemeinschaft (EG), deren Rechtsnachfolgerin sie ist. Damit besteht aber EURATOM als eigene Internationale Organisation (IO) neben der EU weiter und ging nicht in dieser auf. Ihre Satzung wurde durch das dem Vertrag von Lissabon beigefügte Protokoll (Nr. 2) zur Änderung des EURATOM-Vertrages[3] auch nur technisch angepasst. Obwohl damit EURATOM als eigenständige IO neben der EU existiert, wird der institutionelle Rahmen der EU auf sie in Form einer „Organleihe“ übertragen, sodass die Bestimmungen über die Organe der EU (Art. 13 bis 19 EUV sowie Art. 223 bis 287 AEUV) auch auf den EURATOM-Vertrag Anwendung finden. Damit handeln die Organe der EU auch für EURATOM, die durch sie dabei gesetzten sekundären Organakte werden aber nur EURATOM und nicht der EU zugerechnet.

Obwohl EURATOM als eigenständige IO neben der EU existiert, wird der institutionelle Rahmen der EU auf sie in Form einer „Organleihe“ übertragen, sodass die Bestimmungen über die Organe der EU auch auf den EURATOM-Vertrag Anwendung finden.

Aufgrund dieser komplexen Konstruktion kommt es zu einem rechtstatsächlichen „symbiotischen Zusammenwirken“[4] beider Organisationen, wobei primär die beliehenen Organe und die gemeinsamen Finanzvorschriften[5] die wichtigsten Bindeglieder sind. Des Weiteren gelten aber auch sowohl das Beitrittsverfahren des Art. 49 EUV als auch die Austrittsklausel des Art. 50 EUV nicht nur für die EU, sondern auch für EURATOM.[6] Die damit erfolgte „Querverbindung“ zwischen beiden Organisationen soll wohl sicherstellen, dass Beitritt und Austritt nur aus beiden Organisationen gemeinsam bewerkstelligt werden können bzw. dass nach einem Austritt aus der EU, auch aus EURATOM entsprechend ausgetreten werden kann bzw. muss. 

Einseitiger Austritt aus EURATOM?

Gem. Art 3 des vorstehend erwähnten Protokolls (Nr. 2) zur Änderung des EURATOM-Vertrags iVm Art 106a EURATOM-Vertrag[7] gelten die Bezugnahmen auf die EU auch als Bezugnahmen auf die EURATOM-Gemeinschaft und den EURATOM-Vertrag, was ua auch auf die Austrittsbestimmung des Art. 50 EUV zutrifft, ohne dass dabei aber festgestellt wurde, ob dieser Verweis tatsächlich die Möglichkeit eines einseitigen Austritts aus EURATOM einräumt oder nicht eher dazu bestimmt ist, einen Austritt aus EURATOM – nach einem bereits erfolgten Austritt eines Mitgliedstaats aus der EU – zu „parallelisieren“.[8]
Da EURATOM nicht mehr Teil der EU ist, sondern als eigenständige völkerrechtliche Rechtsperson neben dieser besteht, wird von einem Teil der Lehre in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, dass ein Mitgliedstaat allein aus EURATOM austreten könne, ohne damit zugleich auch die EU verlassen zu müssen.[9] Ebenso wird argumentiert, dass die Formulierung „die Verträge“ in Art. 50 Abs. 3 EUV nicht nur den EU- und den AEU-Vertrag, sondern auch den EURATOM-Vertrag mitumfasst.[10] Weitere Argumente für einen isolierten Austritt aus EURATOM finden sich in den nachstehend zitierten Gutachten von Geistlinger, Rotter und Wegener.[11] Es geht dabei aber immer nur um einen Austritt aus EURATOM, bei gleichzeitigem Verbleib in der EU.
Diesen Auffassungen wird von der – soweit ersichtlich – herrschenden Lehre entgegengehalten, dass mit der gegenständlichen Bestimmung lediglich eine notwendige rechtstechnische „Querverbindung“ zwischen den nunmehr getrennten Organisationen EU und EURATOM hergestellt werden sollte, die es einem aus der EU austretenden Mitgliedstaat zugleich ermöglichen soll, auch aus EURATOM auszuscheiden. Ein Austritt eines Mitgliedstaates aus nur einer der beiden Organisationen sei jedoch nicht möglich.[12]

Österreich als Vorreiter

Eine interessante Parallele dazu findet sich in Österreich, wo die kom­mer­ziel­le Nutzung von Kernspaltung zur Energie-Erzeugung nicht nur gemäß dem Atomsperrgesetz vom 5. November 1978 (sog. „Anti-Zwentendorf-Gesetz“)[13] sondern auch durch das Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich[14] un­tersagt ist. Die zivilrechtliche Haftung für Schäden, die durch ioni­sierende Strahlung aus diesen Anlagen, von Kernmaterial oder von Radionukliden verursacht werden, regelt ein eigenes Atomhaftungsgesetz 1999.[15]
Im dementsprechend Atomenergie-skeptischen Österreich[16] wurde die Frage eines (einseitigen) Austritts aus EURATOM sowohl vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009, als auch danach intensiv diskutiert und auch gutachtlich zu klären versucht. So kamen die beiden österreichischen Völkerrechtler Manfred Rotter von der Universität Linz[17] und Michael Geistlinger von der Universität Salzburg[18] in ihren 2004 bzw. 2005 erstellten Gutachten zur Ansicht, dass aus dem EURATOM-Vertrag – trotz damaligem Fehlen einer Ausstiegsklausel, die ja erst durch den Vertrag von Lissabon eingeführt wurde – auf der Basis des dem Art. 56 Abs. 1 lit. b) der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) (1969) zugrundeliegenden Völkergewohnheitsrechts einseitig ausgetreten werden könne, und zwar in Form einer Kündigung. Ergänzend dazu sei auch die Anrufung des in Art. 62 Abs. 1 WVK verankerten Wegfalls der Geschäftsgrundlage („clausula rebus sic stantibus“) zulässig. Dieser Ansicht schloss sich in der Folge auch Bernhard Wegener von der Universität Erlangen Nürnberg in seinem Rechtsgutachten[19] an.
Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon stellte Michael Geistlinger fest, dass Art. 3 des Protokolls (Nr. 2) zur Änderung des EURATOM-Vertrags iVm Art. 106a EURATOM-Vertrag das allgemeine Austrittsverfahren des Art. 50 EUV auch auf den EURATOM-Vertrag erstreckt. Damit besteht nunmehr auch ein vertraglich festgelegtes Prozedere für den Austritt Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag, ohne dass es gleichzeitig auch zu einem Austritt aus der EU kommen müsste.[20]
Die erwähnten Gutachten wurden in der Folge auch zur Unterstützung des Volksbegehrens „Raus aus EURATOM“, das Ende Februar/Anfang März 2011 eingeleitet wurde,[21] eingesetzt. Mit 98.698 Stimmen verfehlte dieses Volksbegehren die für eine parlamentarische Behandlung desselben nötige Mehrheit von 100.000 Stimmen allerdings knapp.[22] Des Weiteren dienten die drei gutachtlichen Äußerungen auch als Grundlage für zwei parlamentarische Entschließungsanträge auf „Austritt Österreichs aus EURATOM, ohne gleichzeitigen Austritt aus der EU“, nämlich zum einen im Landtag der Steiermark[23], und zum anderen im Österreichischen Nationalrat.[24] Beide Entschließungsanträge erzielten allerdings nicht die erforderlichen Mehrheiten.
Im Zusammenhang mit dem Volksbegehren „Raus aus EURATOM“ äußerten sich auch die beiden Wiener Verfassungsexperten Heinz Mayer und Bernd-Christian Funk zur Frage eines einseitigen Ausstiegs aus EURATOM. Für Mayer ist ein isolierter EURATOM-Ausstieg ohne vorherigen EU-Austritt „fast nicht möglich“. Funk hält dies für gar nicht möglich. Neben den vorerwähnten institutionellen Verflechtungen und den „haushaltstechnischen Verquickungen“ weist Mayer vor allem auch darauf hin, dass es nur möglich sei, in beide Organisationen gleichzeitig einzutreten, sodass auch der Austritt nur gleichzeitig aus beiden Verträgen möglich sei.[25]

Gefahr für den Ausbau von Hinkley Point C?

Ein Austritt aus EURATOM würde aber die aktuellen britischen Atomkraft-Pläne gefährden. Unter Hinweis auf die, gem Art. 194 Abs. 2 UAbs. AEUV jedem Mitgliedstaat zustehende Wahlfreiheit, seinen „Energiemix“ frei auswählen zu dürfen, beauftragte das UK den französischen Reaktorbauer Areva mit der Planung zweier neuer Atomreaktoren der „dritten Generation“ (EPR) in Hinkley Point C, deren Errichtung der erste Neubau eines AKW seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima wäre.[26]
Obwohl eine Reihe von Mitgliedstaaten der Meinung waren, dass die britische Finanzhilfe für dieses AKW eine unzulässige Betriebsbeihilfe gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV und nicht eine reine Investitionsbeihilfe darstellt, genehmigte die Kommission – trotz ihres noch sehr skeptischen Eröffnungsbeschlusses des Beihilfenverfahrens vom 18. Dezember 2013[27] – am 8. Oktober 2014[28] die britische Beihilfe für das AKW, das mit insgesamt 17,6 Mrd. Pfund staatlich gefördert werden soll. In Summe soll Hinkley Point C 31,2 Mrd. kosten und wäre damit das teuerste Atomkraftwerk der Welt.
Gegen diesen Genehmigungsbeschluss der Kommission brachte ua[29] auch Österreich am 6. Juli 2015 eine Nichtigkeitsklage beim Gericht[30] ein, in der es vor allem darauf hinwies, dass sich die Kommission dabei zu Unrecht auf Art. 107 Abs. 3 lit. c) AEUV gestützt habe, der „Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige“ als mit dem Binnenmarkt vereinbar und damit für genehmigungsfähig erklärt. Ebenso irrig sei auch die Behauptung, dass es sich dabei um Investitionsbeihilfen handle, die auch dem in Art. 2 lit. c) iVm Art. 40 EURATOM-Vertrag verankerten gemeinsamen Interesse an der Förderung des Ausbaues der Atomkraft entgegenkommen.[31]
[zitat inhalt=”Sollte es zu einem „Brexit“, und damit verbunden, auch zu einem Ausscheiden des UK aus EURATOM kommen, dann würde der Hauptinvestor, der französische Staatskonzern „Electricité de France“ (EdF), seine Investitionsentscheidung wohl überdenken, wenn nicht gar revidieren.”]
Sollte es zu einem „Brexit“, und damit verbunden, auch zu einem Ausscheiden des UK aus EURATOM kommen, dann würde der Hauptinvestor, der französische Staatskonzern „Electricité de France“ (EdF), seine Investitionsentscheidung wohl überdenken, wenn nicht gar revidieren.[32] Sollte sich aber dieser Hauptinvestor aus dem Projekt Hinkley Point C zurückziehen und sollten durch einen Austritt aus EURATOM auch dessen Fördermöglichkeiten nicht mehr zur Verfügung stehen, dann wäre das wohl das Ende der ambitionierten britischen Atompläne in ihrer gegenwärtigen Form. Aus diesem Grunde wird auch vom ehemaligen Grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell zwingend die Abhaltung einer Konferenz der EURATOM-Vertragsstaaten gefordert, um die unmittelbaren Konsequenzen des „Brexit“ auf EURATOM zu diskutieren.[33] Neben den konkreten Austrittsfolgen des UK aus EURATOM müssten dabei aber auch weitere Problembereiche besprochen werden, wie zB. das Schicksal des gemeinschaftlichen Eigentums an Spaltmaterial (EURATOM-Versorgungsagentur), die Zukunft des Joint European Torus (JET) in Culham (UK) sowie die des International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) in Cadarache (Frankreich) uam.

Erzwingt der „Brexit“ das Verlassen von EURATOM?

Die Fragestellung des britischen Referendums vom 23. Juni 2016 bezieht sich nur auf den Austritt aus der EU und geht nicht auf das damit verbundene Schicksal von EURATOM ein. Das britische Volk hat daher zum Austritt aus EURATOM keine basisdemokratische Willensäußerung abgegeben. Es kommt in diesem Zusammenhang entscheidend darauf an, ob ein „Brexit“ auch automatisch den Austritt des UK aus EURATOM bewirken würde, oder nicht. Zu dieser komplexen Fragestellung liegen noch keine einschlägigen literarischen Äußerungen vor, wohl aber zur inhaltlich verwandten Problematik eines isolierten Austritts aus EURATOM – auf die vorstehend bereits eingegangen wurde – die allerdings kontrovers sind.
Da sich auch die Kommission zu diesen beiden Austrittsvarianten formell noch nicht geäußert hat, ist im Grunde alles offen, wenngleich bereits die Befürchtung geäußert wurde, dass die Kommission darauf bestehen könnte, dass das UK im Falle eines „Brexit“ auch EURATOM verlassen muss,[34] was den EU-27 in den Austrittsverhandlungen mit dem UK einen weiteren Trumpf in die Hände spielen könnte.
Abschließend kann dazu festgestellt werden, dass die weitaus stärkeren Argumente dafür sprechen, dass ein Austritt aus der EU gleichzeitig auch die Beendigung der Mitgliedschaft in der EURATOM nach sich ziehen würde. Wenngleich die Satzungen beider Organisationen formal nur durch Protokolle miteinander verschränkt sind, besteht zwischen ihnen durch die „Organleihe“ und die gemeinsamen Finanzbestimmungen doch eine so enge Wechselbeziehung, dass beiden nur gleichzeitig beigetreten, und aus beiden auch nur gleichzeitig ausgetreten werden kann. Ein denkmöglicher Verbleib des UK in der EURATOM, bei gleichzeitigem Austritt aus der EU, ist unter diesen Umständen nicht möglich.
In diese Richtung ging auch die jüngste Auskunft, die der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss auf seine diesbezügliche Anfrage von Seiten der Europäischen Kommission erhalten hatte und die sinngemäß lautete: „Brexit ‚could trigger‘ UK departure from nuclear energy treaty“.[35]
Ebensowenig gangbar wäre der Weg eines „Brexit“ aus der EU samt Austritt aus EURATOM mit nachfolgendem Wiedereintritt in EURATOM. Dem stünde nicht nur die notwendige Parallelität der Mitgliedschaft in beiden Organisationen, sondern unter Umständen auch das Erfordernis einer Ratifikation des Beitrittsvertrages des UK zur EURATOM durch alle 27 EURATOM-Staaten entgegen.

[1] Vgl. dazu KOM(2011) 812 endg., vom 30. November 2011.
[2] Vgl. Längle, A. Rechtsfragen der Neugründung der EU, der Aufhebung der früheren Verträge, der Rechtsnachfolge und rechtlichen Kontinuität nach dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, in Köck/Lengauer/Ress (Hrsg.), FS P. Fischer (1984), S. 308 ff.
[3] ABl. 2007, C 306, S. 199 ff.
[4] Indlekofer, M. – Schwichtenberg, K. Einführung: Euratom und Union, in. Vedder/Heintschel v Heinegg, Europäisches Unionsrecht (2012), S. 1319, Rz 5.
[5] Gem. Art. 10 des Protokolls (Nr. 2) (FN 3).
[6] Vgl Art 3 Protokoll (Nr 2) und Art 106a Abs 1 EURATOM-Vertrag.
[7] Konsolidierte Fassung ABl. 2010, C 84, S. 43.
[8] Vgl. Hummer, W. Die Europäische Union – das unbekannte Wesen, Bd. 1 (2010), S. 548 f.
[9] ZB Indlekofer/Schwichtenberg (FN 4), S. 1320, Rz 6.
[10] Price, D. Brexit und EURATOM: Was sagt die Atomlobby?, The Jerusalem Post, vom 17. Juni 2016.
[11] Vgl. nachstehend auf S. 4.
[12] ZB Kumin, A. J. Vertragsänderungsverfahren und Austrittsklausel, in: Hummer/Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon (2009), S. 321 f; Obwexer, W. Der Vertrag von Lissabon: Auswirkungen auf das öffentliche Recht Österreichs, in: Wielinger/Lienbacher (Hrsg), Jahrbuch Verfassungsrecht 2008 (2008), S. 85.
[13] BGBl Nr 676/1978. Die Volksabstimmung gegen die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf fiel mit 50,4% denkbar knapp aus.
[14] BGBl I Nr 149/1999; vgl dazu Leidenmühler, Das Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich im Lichte des Europarechts, ÖJZ 9/2000, 321ff.
[15] BGBl I Nr 170/1998; das „Atomhaftungsgesetz 1999“ ersetzt das BG vom 29. April 1964 über die Haftung für nukleare Schäden („Atomhaftpflichtgesetz“); BGBl Nr 117/1964 idF BGBl I Nr 140/1997.
[16] Vgl. Hummer, W. Temelin: Das Kernkraftwerk an der Grenze, ZÖR 4/2008, S. 1 ff.
[17] Rotter, M. Rechtlich geordneter Austritt aus der Europäischen Atomgemeinschaft vor und nach Inkrafttreten des Verfassungsvertrages (2004), Gutachten, erstellt im Auftrag der oö Landesregierung;
[18] Geistlinger, M. Überlegungen zur Möglichkeit eines einseitigen Ausstiegs aus dem EURATOM-Vertrag (2005), Gutachten, erstellt für die Konferenz „Energy intelligence for Europe – The Euratom Treaty and future energy options: Conditions for a level playing field in the energy sector“.
[19] Wegener, B. W. Die Kündigung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM): Europa-, völker- und verfassungsrechtliche Optionen der Bundesrepublik Deutschland (2007), Gutachten, erstellt im Auftrag von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.
[20] www.raus-aus-euratom.at/ja_aber.php
[21] Proponenten waren vor allem „Atomstopp Oberösterreich“, „Plattform gegen Atomgefahren Salzburg“ und der „Umweltdachverband“; Euratom-Austritt: Opposition dafür, SPÖ uneins, Standard vom 27. Februar 2011.
[22] Dannhauser, C. Euratom-Volksbegehren verfehlt 100.000 Stimmen knapp, DiePresse.com vom 8. März 2011.
[23] Entschließungsantrag (§51), XV. Gesetzgebungsperiode (2005-2010).
[24] Entschließungsantrag 1192/A(E) vom 21. Mai 2015 der Abg. Werner Neubauer ua; siehe dazu den Bericht des Umweltausschusses über diesen Antrag, 855 BlgStenProtNR XXI.GP.
[25] Verfassungsexperten: Ausstieg aus Euratom nur bei EU-Austritt, Standard vom 1. März 2011.
[26] Hummer, W. Hinkley Point C – Der Kampf Österreich gegen Bau und Betrieb von Atomkraftwerden, ÖGfE Policy Brief 36‘2015.
[27] ABl. 2014, C 69, S. 60.
[28] Beschluss der Europäischen Kommission (EU) 2015/658 vom 8. Oktober 2014; ABl. 2015, L 109, S. 44 ff.
[29] Vgl. auch EuG, Rs. T-382/15, Greenpeace Energy ua/Kommission); die Klage wurde vom EuG mit Beschluss vom 26. September 2016 als unzulässig zurückgewiesen.
[30] EuG, Rs. T-356/15, Österreich/Kommission; ABl. 2015, C 337, S. 14.
[31] Vgl. dazu Geipel, M. – Heinrich, H. Der Fall Hinkley Point C – Sonderbehandlung für Atomenergie?, in Jaeger/Haslinger (Hrsg.), Beihilferecht Jahrbuch 2016, S. 313 ff.
[32] Theurer, M. Brexit gefährdet britische Atomkraft-Pläne, FAZ vom 30. Juni 2016.
[33] Vgl. Fell, Hans-Josef, BREXIT gilt auch für EURATOM, Brief Berlin, den 25. Juni 2016.
[34] Price, D. Brexit und EURATOM (FN 9).
[35] Rojo, J. Brexit ‚could trigger‘ UK departure from nuclear energy treaty, theguardian, vom 27. September 2016.

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die die Autorinnen arbeiten, überein.
Zitation
Hummer, W. (2016). Bewirkt der „Brexit“ auch den automatischen Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus EURATOM? Wien. ÖGfE Policy Brief, 29’2016
Hinweis
Dieser Policy Brief ist auszugsweise auch auf der Website von EurActiv erschienen: Link

Univ.-Prof. DDDr. Waldemar Hummer

Univ.-Prof. DDDr. Waldemar Hummer ist emeritierter Professor für Europarecht und Völkerrecht am gleichnamigen Institut der Universität Innsbruck.