25 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs – eine makroökonomische Bewertung

Handlungsempfehlungen

  1. Österreich könnte sich, nachdem es nach 25 Jahren EU-Reife genügend Know-how angesammelt hat, viel stärker als bisher aktiv in die Neugestaltung der EU einbringen. Gerade in der Balkan-Frage hat Österreich reichlich Erfahrung. Auch in der Neugestaltung der EZB-Strategie ist Expertise gefragt.
  2. Nachdem keine weiteren großen Integrationsschritte zu erwarten sind, muss Österreichs außenhandelsabhängige Wirtschaft – um weiterhin dynamisch zu bleiben – langsam sein Engagement von der „Mini-Globalisierung“ im Zuge der Ostöffnung auf die echte Globalisierung (in Asien, Afrika, Lateinamerika) umstellen.
  3. Im neuen Regierungsübereinkommen sind die Umweltziele sogar noch ambitionierter definiert als im „Green Deal“ der neuen EU-Kommission. Programme allein genügen aber nicht, auf die Umsetzung kommt es an.

Zusammenfassung

Österreich trat 1995 – gemeinsam mit Finnland und Schweden – einer EU bei, die sich seither radikal gewandelt hat. Als Musterschüler hat Österreich alle Integrationsschritte mitgemacht: Teilnahme am EU-Binnenmarkt, Übernahme des Euro und EU-Erweiterung. Zusammen mit dem „Wunder“ der Ostöffnung von 1989 hat sich Österreichs Außenhandelsradius vor allem durch die EU-Erweiterung maßgeblich vergrößert. EU-Beitritt bedeutet aber auch eine Abtretung von wirtschaftspolitischer Autonomie zugunsten einer Mitgestaltung der Gemeinschaft. Während Österreichs Bevölkerung diese Situation mehrheitlich gutheißt, konnten die Briten dies nicht mehr und stimmten für den „Brexit“. Insgesamt lukrierte Österreich – trotz großer Krisen (Große Rezession 2009 und Eurokrise nach 2010) – dank des EU-Beitritts einen „EU-Bonus“ von rund ½ bis 1 Prozent mehr Wirtschaftswachstum pro Jahr. Der EU-Beitritt garantiert aber kein dauerhaftes zusätzliches Wirtschaftswachstum. Da in naher Zukunft keine weiteren Integrationsschritte mehr zu erwarten sind, klingen die Integrationseffekte allmählich aus.

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25 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs – eine makroökonomische Bewertung

1. Hineinwachsen in eine immer komplexere Union

Nach einem Vierteljahrhundert EU–Mitgliedschaft fällt die wirtschaftliche Bilanz größtenteils positiv aus. Allerdings verbergen sich hinter diesen 25 Jahren viele Aufs und Abs. Österreich ist am 1. Jänner 1995 – zusammen mit Finnland und Schweden – einer EU beigetreten, die mit der heutigen erweiterten Union kaum vergleichbar ist. Der EU–Binnenmarkt war erst zwei Jahre alt und weit davon entfernt, vollständig zu sein. Die im Maastricht–Vertrag geplante Wirtschafts– und Währungsunion (WWU) und die Einführung des Euro standen erst noch bevor. Nach dem welthistorischen Jahr 1989 (Zusammenbruch des Kommunismus und Ostöffnung) stand die EU vor der Entscheidung: entweder Vertiefung oder Erweiterung. Letztlich wurde beides in Angriff genommen und gelang daher nur unvollkommen. Die nicht eingetretenen positiven Wachstumsimpulse, die der Cecchini–Bericht vorausgesagt hatte, wollte man mit der Lissabon–Strategie 2000 korrigieren. Die globale Finanz– und Wirtschaftskrise mit der Großen Rezession 2009 machten die hehren Ziele, aus der EU den dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, zunichte. Die Strategie Europa 2020 sollte Abhilfe schaffen. Zwischenzeitlich – beginnend mit 2004 – fand die große EU–Erweiterung statt und machte aus der EU von 1995 mit 15 nunmehr eine Union mit 28 Mitgliedern. Zwei Krisen führten in jüngster Zeit zu einer mehrfachen Spaltung Europas. Die der Großen Rezession folgende Eurokrise ab 2010 führte zur Spaltung der erst 19 Staaten umfassenden Eurozone in einen Kern und in die Peripherie. Letztlich gelang es zwar den Euro zu retten (siehe Breuss, 2019), die Verstimmung blieb aber. Die Flüchtlingswelle 2015 löste wegen der Aufteilung der Immigranten eine Krise zwischen den alten, reichen und den neuen, immer noch im Aufholprozess befindlichen EU–Mitgliedstaaten in Osteuropa aus.
Die Abstimmung über den Brexit in Großbritannien 2016 und die seither anhaltende Unsicherheit schwächte die EU. Zum ersten Mal kommt der Prozess der stetigen Erweiterung zum Stillstand: die EU schrumpft, ökonomisch und weltpolitisch, weil Großbritannien ein großes EU–Mitglied war und der EU wegen der Mitgliedschaft im UNO–Sicherheitsrat und in der NATO „Weltpolitikfähigkeit“ (Juncker) verschaffte. Die Debatte rund um den Brexit hat aber auch den nur wenig mit EU-Fragen vertrauten Zeitgenossen klar vor Augen geführt wie komplex bereits juristisch, ökonomisch und politisch die Verflechtung einer EU–Mitgliedschaft fortgeschritten ist. Dennoch ist die derzeitige Union immer noch kein Bundesstaat (Vereinigte Staaten von Europa), sondern nach wie vor ein Staatenverbund.
Das Projekt EWG/EG/EU war von Anfang an auf Dynamik und auf ein Werden ausgelegt. Aber so viele Baustellen wie heute hat es kaum je gegeben. Neben der Notwendigkeit, den Binnenmarkt zu vollenden und ihn zu erweitern (digitaler Binnenmarkt, Kapitalmarktunion), der Notwendigkeit endlich den „Euro für alle“ (Breuss, 2019a) einzuführen, die Asylfrage zu lösen, über die nächste Erweiterung (Balkan) nachzudenken, den Brexit zu verdauen, hat der Zeitgeist (Klimawandel) die neue EU–Kommission animiert, einen „Green Deal“ für Europa zu proklamieren (von der Leyen, 2019).

EU–Mitgliedschaft bedeutet auch eine umfassende Änderung und wegen der Abgabe von Kompetenzen an die EU eine erhebliche Einschränkung der nationalstaatlichen Autonomie in vielen Bereichen der Wirtschaftspolitik.

Österreich als kleines EU–Mitgliedsland hat all diese Wandlungen der EU miterlebt und durch dreimaligen Vorsitz im Rat der Europäischen Union (Ratspräsidentschaften 1998, 2006, 2018) mitgestaltet. EU–Mitgliedschaft bedeutet aber auch eine umfassende Änderung und wegen der Abgabe von Kompetenzen an die EU eine erhebliche Einschränkung der nationalstaatlichen Autonomie in vielen Bereichen der Wirtschaftspolitik. Die österreichische Bevölkerung hat die EU–Mitgliedschaft, seit sie 1994 den Beitritt mit 66,6% begrüßte, bis zuletzt – noch angefeuert durch die unsägliche Brexit–Debatte – mehrheitlich bejaht[1]. Im Folgenden wird auf die zahlreichen Änderungen und Anpassungen, die mit dem Beitritt zur EU und der Einführung des Euro verbunden sind, erinnert. Dann werden die Herausforderungen und Vorteile der EU–Mitgliedschaft beleuchtet. Letztlich wird Bilanz gezogen und die Frage beantwortet, ob die Vorteile die Nachteile einer EU–Mitgliedschaft überwiegen. Anhand internationaler und eigener Schätzungen wird ein makroökonomisches Resümee gezogen.

2. Aufgabe an Autonomie zugunsten der Gemeinschaft

Mit dem Beitritt zur EU kommt es zur Einschränkung der nationalstaatlichen Autonomie und die Abgabe von Kompetenzen an die Union zu Gunsten einer verstärkten Mitgestaltung in der Gemeinschaft[2]. Die Briten schätzten bei ihrem Brexit-Referendum offensichtlich den Nutzen dieser Kompetenzverschiebung nach Brüssel geringer ein als die Wiedererlangung staatlicher Autonomie (“taking back control“). Seit dem Inkrafttreten des Lissabon–Vertrags am 1. Dezember 2009 sind die Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten in drei Kategorien aufgeteilt (Artikel 3–6 AEUV):

  • Ausschließliche Zuständigkeit der EU: Zollunion (GZT), gemeinsame Handelspolitik (GHP), Wettbewerbspolitik für fairen Wettbewerb im Binnenmarkt, Währungs– bzw. Geldpolitik (EZB) für Länder mit dem Euro, Abschluss internationaler Abkommen.
  • Mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit: Binnenmarkt, Sozialpolitik, Regionalpolitik, gemeinsame Agrarpolitik (GAP), Umwelt, Energie, Verbraucherschutz, Verkehr, transeuropäische Netze (TEN), Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts, Forschungsprogramme, Entwicklungszusammenarbeit.
  • Unterstützende, koordinierende oder ergänzende Zuständigkeiten der EU: Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit, Industrie, Kultur, Tourismus, Bildung, Jugend und Sport, Katastrophenschutz, Verwaltungszusammenarbeit.

Darüber hinaus koordinieren die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik innerhalb der Union (Art. 5 AEUV):

  • Für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, gelten besondere Regelungen. Auf Grund der asymmetrischen Konstruktion der WWU (zentrale Geld- und dezentrale Fiskalpolitik) steht – als Gegenpol zur zentralisierten Geldpolitik – ein ganzes Arsenal (das nach der Großen Rezession 2009 und der anschließenden Eurokrise noch ausgeweitet wurde) von Verfahren (Europäisches Semester) und Instrumenten (Stabilitäts- und Wachstumspakt, Fiskalpakt mit Pflicht zur Schuldenbremse etc.) zur Koordinierung der unterschiedlichen Fiskalpolitiken der EU- und Eurozonen-Mitgliedstaaten zur Verfügung. Diese notwendige Koordinierung gelingt relativ gut in „Schönwetterperioden“, aber kaum in Zeiten von Krisen (Große Rezession und während der Eurokrise).
  • Die Union trifft Maßnahmen zur Koordinierung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten, insbesondere durch die Festlegung von Leitlinien für diese Politik.
  • Die Union kann Initiativen zur Koordinierung der Sozialpolitik der Mitgliedstaaten ergreifen.

Besonders einschneidend sind für EU-Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, die Zentralisierung der Geldpolitik (EZB), für alle EU-Mitgliedstaaten die Vergemeinschaftung der Außenhandelspolitik (GHP, GZT) und die gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Aber auch die notwendige Koordination der Wirtschaftspolitik (vor allem der Fiskalpolitik) nötigt den Mitgliedstaaten viel politischen Goodwill ab.

Im Großen und Ganzen sind Österreich und die seit 1995 wechselnden Regierungen recht gut mit den geänderten politischen Rahmenbedingungen als EU–Mitglied zu Recht gekommen und haben der Union auch viele wichtige Impulse verliehen.

Österreich hat sich nach dem EU–Beitritt an allen Schritten der Vertiefung der Union beteiligt: ein Muss ist für jedes neue Mitglied der Eintritt in den Binnenmarkt. Er gewährt die vier Freiheiten für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit. Österreich war auch bei den ersten 11 Ländern dabei, die 1999 die WWU gegründet und 2002 den Euro als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt haben. Zwischenzeitlich haben 19 EU–Mitgliedstaaten den Euro. Auch dem Schengen–Abkommen trat Österreich am 28.4.1995 bei (Wegfall der Grenzkontrollen 1.4.1998). Damit ist Österreich (im Gegensatz zu Schweden, das den Euro noch nicht eingeführt hat) rein formal zu einem EU–Musterschüler avanciert. Dass es in der Praxis nicht ganz so ist, zeigt die mangelnde Umsetzung von EU–Recht (siehe Wolfmayr, 2019 und EU– Kommission[3]). Aber im Großen und Ganzen sind Österreich und die seit 1995 wechselnden Regierungen recht gut mit den geänderten politischen Rahmenbedingungen als EU–Mitglied zu Recht gekommen und haben der Union auch viele wichtige Impulse verliehen. Nicht zuletzt hat sich Österreich mit der „Wiener Initiative“ mit den durch die Finanzkrise in Not geratenen neuen Mitgliedstaaten solidarisch gezeigt (siehe Selmayr, 2019). Gelegentliche Ausreißer (Volksbegehren zum EU-Austritt 2015; das Andenken eines Öxit von H.C. Strache nach dem Brexit-Referendum) sind seit dem Ringen um den Brexit aus der politischen Debatte verschwunden und werden von der Bevölkerung auch mehrheitlich abgelehnt (siehe Schmidt, 2019).

3. Die makroökonomische Entwicklung als EU-Mitglied

Volkswirtschaften entwickeln sich mit und ohne EU-Mitgliedschaft. Bevor analysiert wird, wieviel von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung auf die EU-Mitgliedschaft zurückzuführen ist, lohnt ein Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung seit 1995: zum einen jene in Österreich, aber auch auf Finnland und Schweden. Weiters ist ein Vergleich mit der EU in der Zusammensetzung der 12 Mitgliedstaaten von 1994 hilfreich, aber auch einer mit einem Gründungsmitglied der EU (Deutschland) und mit Ländern außerhalb der EU (USA und Schweiz).

Österreich, Finnland und Schweden gehören (gemessen am realen BIP pro Kopf laut IMF) zu den reichsten EU-Mitgliedstaaten (siehe Tabelle 1).


Ein Blick auf die Zusammenstellung der wichtigsten makroökonomischen Kennzahlen in Tabelle 1 zeigt Folgendes:

  • Das durchschnittliche jährliche Wachstum des realen BIP (zu Preisen von 2015) zwischen 1995 und 2020 war in Österreich mit 1,9% niedriger als jenes in Finnland (2,3%) und Schweden (2,5%). Zudem war das Wirtschaftswachstum im letzten Vierteljahrhundert der EU-Mitgliedschaft in Österreich (-1,1%) und Finnland (-0,7%) geringer als 25 Jahre zuvor. Nur Schweden (+0,6%) hat sich verbessert. Ein ähnliches Wachstumsmuster ergibt sich, wenn man das BIP pro Kopf zu 2011 Kaufkraftparitäten (und internationalem USD) misst. Der Wachstumsabstand zu EU-12 war im letzten Vierteljahrhundert in Finnland (+0,7 Prozentpunkte) und Schweden (+0,9 Prozentpunkte) wesentlich größer als in Österreich (0,3 Prozentpunkte). Während die drei Länder gegenüber Deutschland rascher wuchsen (Österreich +0,5%, Finnland +0,9%, Schweden +1,1%), war die BIP-Entwicklung mit Ausnahme Schwedens schwächer als in den USA.

Österreich, Finnland und Schweden gehören (gemessen am realen BIP pro Kopf laut IMF) zu den reichsten EU-Mitgliedstaaten (siehe Tabelle 1). Gemessen am BIP pro Kopf laut AMECO-Daten der EU war Österreich unter den 15 EU-Mitgliedern 1995 das zweitreichste Land der EU, Finnland lag an fünfter und Schweden an 11. Stelle. Im Jahr 2020 rangiert Österreich in der EU-28 am 5. Platz, Finnland am 7. und Schweden am 9. Platz.

  • Die Inflationsrate lag im letzten Vierteljahrhundert in Österreich mit 1,7% höher als in Finnland und Schweden (jeweils 1,5%). In allen drei Ländern ist die Inflationsrate gegenüber den 25 Jahren zuvor gesunken: stärker in Finnland (-6,2%) und Schweden (-6,3%) als in Österreich (-2,2%).
  • Bezüglich der Arbeitslosigkeit hat Österreich die Nase vorn. Sie lag mit 4,9% wesentlich niedriger als in Finnland (9,1%) und Schweden (7,6%).
  • Hinsichtlich der fiskalpolitischen Performance fiel Österreich gegenüber den Finnen und Schweden sowohl in der Entwicklung des Budgetsaldos als auch in der Staatsschuld zurück.
  • Österreich hat bereits von der Ostöffnung 1989 stark profitiert und konnte seinen Außenhandel nach der EU-Erweiterung ab 2004 weiter steigern. Insgesamt hat Österreich daher seinen Intra-EU-Handel viel stärker ausgeweitet als Finnland und Schweden. Dies zeigt sich im durchschnittlichen jährlichen Zuwachs der Intra-EU-Exporte (Österreich +6,6%, Finnland +4,3%, Schweden +4,5%). Damit liegt Österreich mit einem Intra-Export-Anteil von 71,7% deutlich vor Finnland (56,7%) und Schweden (57,2%).
  • Die Leistungsbilanz insgesamt hat sich in allen drei Ländern im letzten Vierteljahrhundert verbessert, am deutlichsten in Schweden (4,8% des BIP), aber auch in Finnland (2,3%) und Österreich (1,2%).

Österreich hat – nicht zuletzt durch die immer stärkeren Teilnahme an EU-Forschungsprogrammen – seine F&E-Quote bis an jene von Schweden (rund 3 ½% des BIP) anheben können. Finnland ist von 3,9% im Jahr 2009 auf unter 3% zurückgefallen. Während Österreich und Finnland ab 1999 den Euro eingeführt haben, konnte Schweden durch Abwertungen der SKR (seit 1995 um 0,7% pro Jahr) seine internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Allerdings hat gerade in Österreich der Einstieg in den Euro dazu geführt, dass der zuvor starke Aufwertungstrend des Schilling gestoppt wurde.

4. Wieviel der tatsächlichen Performance geht auf die EU-Mitgliedschaft zurück?

Insgesamt waren 25 Jahre EU-Mitgliedschaft für Österreichs Volkswirtschaft positiv.

Angesichts der tatsächlichen besseren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung von Finnland und Schweden im Vergleich mit Österreich (siehe Tabelle 1) verwundert es, dass fast alle Studien, die die Effekte der EU-Mitgliedschaft der drei Länder bewerten für die skandinavischen Länder schlechter ausfallen als für Österreich (siehe Tabelle 2). Ein Hauptgrund dürfte daran liegen, dass die meisten Studien die EU-Effekte ausschließlich mit Handelszuwächsen begründen. Österreich hat – weil sein Intra-EU-Handel dynamischer verlaufen ist – in dieser Hinsicht einen Vorteil.


Eigene Schätzungen mit einem neu geschätzten Integrationsmodell (Breuss, 2020), das methodisch auf Breuss (2015, 2016) aufbaut, ergeben für Österreich erheblich positive makroökonomische Effekte der Europaintegration in mehreren Schritten: Ostöffnung 1989, EU-Beitritt 1995, WWU/Euro 1999/2002, EU-Erweiterung ab 2004.

  • Bereits die Ostöffnung 1989 kann für Österreich als Vorstufe zur vollen EU-Integration angesehen werden. Durch dieses welthistorische Ereignis (siehe Brait und Gehler, 2014) rückte Österreich vom Rand in die Mitte Europas. Alte k. u. k.-Bande halfen Österreich als eines der ersten Länder wieder verstärkt in Osteuropa handelspolitisch Fuß zu fassen. Das hat Österreich zu einem jährlichen BIP-Wachstum von rund 0,1 Prozentpunkten verholfen (siehe Abbildung 1).
  • Der EU-Beitritt 1995 hat Österreich wirtschaftlich in vielerlei Hinsicht verändert. Zum einen bewirkte die volle Integration des EU-Binnenmarktes wegen des Wegfalls noch restlicher nicht-tarifarischer Hemmnisse (u.a. die Grenzkontrollen) eine Zunahme des Intra-EU-Handels und über eine Steigerung der totalen Faktorproduktivität eine Stimulierung des realen BIP von jährlich 0,4 Prozentpunkten (siehe Abbildung 1).
  • Die Teilnahme an der WWU 1999 und die Übernahme des Euro 2002 haben zu einem weiteren, wenn auch nicht sehr starken Schub für Österreichs Volkswirtschaft geführt. Das reale BIP stieg dadurch jährlich um 0,1 Prozentpunkte (siehe Abbildung 1).
  • Nachdem die Binnenmarkteffekte durch den EU-Beitritt bereits abzuklingen begannen, hat die große EU-Erweiterung, beginnend 2004 Österreichs Wirtschaft einen neuerlichen Stimulus verschafft. Der Außenhandel und die FDIs konnten weiter gesteigert werden und das BIP wurde jährlich dadurch um 0,3 Prozentpunkte erhöht.


Insgesamt waren 25 Jahre EU-Mitgliedschaft für Österreichs Volkswirtschaft positiv. Das zeigen nicht nur die eigenen Schätzungen, sondern auch jene von anderen Institutionen. Laut jüngster ÖGfE-Umfrage[4] von Dezember 2019 sind zwar 75% für den Verbleib in der EU, doch sehen nicht alle Gruppen Vorteile in der EU-Mitgliedschaft: SchülerInnen/Studierende sehen die EU eher positiv, PensionistInnen sind eher neutral eingestellt, ArbeitnehmerInnen sehen die EU nicht sehr euphorisch, bei KMUs und LandwirtInnen sind Vor- und Nachteile gleich verteilt. Der Euro wird zunehmend positiv bewertet. Eine weitere EU-Erweiterung (wohl um die Balkanregion) wird von den ÖsterreicherInnen mehrheitlich negativ gesehen.
Nach den eigenen Schätzungen konnte Österreich seinen gesamten Außenhandel deutlich steigern (Exporte +31%, Importe +55%), was einem zusätzlichen Handelsvolumen von Waren und Dienstleistungen seit 1995 von 43% entspricht. In ähnlicher Größenordnung sind die gegenseitigen FDIs gestiegen. Durch den verschärften Wettbewerb am EU-Binnenmarkt sanken die Verbraucherpreise in Österreich jährlich um 0,1 Prozentpunkte. Trotz der Tatsache, dass Österreich mit jährlich rund 0,5% des BIP ein Netto-Zahler in den EU-Haushalt ist, hat sich der Staatshaushalt (Budget und Schuldenstand) verbessert. Insgesamt resultierten 25 Jahre EU-Mitgliedschaft in einem jährlichen Anstieg des realen BIP von 0,8 Prozentpunkten (siehe Abbildung 1). Die ÖsterreicherInnen sind durch den EU-Beitritt um rund 7.100 Euro (BIP pro Kopf, zu Preisen von 2015) reicher geworden.

5. Was bringt die Zukunft?

Allen voran muss der Brexit mit einem ausgewogenen Handelsabkommen EU-Großbritannien vollzogen werden.

Das Jahr 2019 hat eine Wende in der künftigen Ausrichtung der EU gebracht. Dem Zeitgeist folgend hat die neue Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (2019) drei neue Schwerpunkte für ihre fünfjährige Präsidentschaft ausgerufen: Klimawandel („Grüner Deal“), Digitalisierung und Sicherheit und Stärke Europas. Auch die neue österreichische türkis-grüne Bundesregierung hat den Kampf gegen den Klimawandel vorrangig im Programm. Dabei geht es um nicht weniger als um die grundlegende Umstellung der Wirtschaft (Dekarbonisierung).
Zwar wird sich die EU entlang dieser Ziele entwickeln, doch gibt es noch viele unerledigte Hausaufgaben. Allen voran muss der Brexit mit einem ausgewogenen Handelsabkommen EU-Großbritannien vollzogen werden. Verbunden damit gilt es den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021-2027 der EU mitzugestalten. Reformen in den Bereichen Eurozone (eigener Haushalt, Reform der EZB-Strategie) bzw. deren Ausweitung auf mehr Mitglieder bis hin zum „Euro für alle“ (Breuss, 2019) stehen noch aus. Eine Reform des Asylsystems in der EU (Dublin IV) ist nach der Flüchtlingskrise 2015 überfällig. Zudem ist die Frage der nächsten Erweiterung um die restlichen Balkanstaaten noch ausständig.

Weitere neue Integrationsimpulse auf die österreichische Wirtschaft sind in naher Zukunft aber nicht mehr zu erwarten.

Österreich könnte sich, nachdem es nach 25 Jahren EU-Reife genügend Know-how angesammelt hat, viel stärker als bisher aktiv in die Neugestaltung der EU einbringen. Gerade in der Balkan-Frage hat Österreich reichlich Erfahrung. Weitere neue Integrationsimpulse auf die österreichische Wirtschaft sind in naher Zukunft aber nicht mehr zu erwarten.

[1] https://oegfe.at/2020/01/umfrage_25jahremitgliedschaft-2/
[2] Über die Auswirkungen des Unionsrechts auf die nationale Rechtsordnung aus rechtswissenschaftlicher Sicht, siehe Griller et al. (2015).
[3] 2018 Commission report and factsheets on monitoring the application of EU law: https://ec.europa.eu/info/publications/2018-commission-report-and-factsheets-monitoring-application-eu-law_en
[4] https://oegfe.at/2020/01/umfrage_25jahremitgliedschaft-2/

  • Andrea Brait, Andrea, Gehler, Michael (Hrsg.) (2014), Grenzöffnung 1989: Innen- und Außenperspektiven und die Folgen für Österreich, Böhlau Verlag: Wien, Köln, Weimar, 2014, 67-108.
  • Breuss, Fritz (2015), „20 Jahre EU-Mitgliedschaft: Österreich, bisher großer Gewinner, muss seine Rolle neu definieren“, ÖGfE Policy Brief 4‘2015 vom 3. Februar 2015.
  • Breuss, Fritz (2016), ”A Prototype Model of European Integration: The Case of Austria”, in: Birgit Bednar-Friedl and Jörn Kleinert (Eds.), Dynamic Approaches to Global Economic Challenges, Festschrift in Honor of Karl Farmer, Springer-Verlag, Heidelberg-New York-Dordrecht-London, 2016, 9-30.
  • Breuss, Fritz (2019), „20 Jahre Euro: eine Währung für alle?“, ÖGfE Policy Brief 06‘2019 vom 27. März 2019.
  • Breuss, Fritz (2020), „Makroökonomische Effekte der 25-jährigen EU-Mitgliedschaft Österreichs“, in: Sonderheft von “Monetary Policy & the Economy” der OeNB zum Schwerpunktthema „25 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs“ (erscheint demnächst).
  • Felbermayr, Gabriel, Gröschl, Jasmin., Heiland, Inga (2018), Undoing Europe in a New Quantitative Trade Model, ifo Working Papers, No. 250, January 2018.
  • London Economics (2017), The Single Market: Impact on Member States, Study commissioned by the American Chamber of Commerce to the EU (AmChamEU), London, 2017.
  • Griller, Stefan, Kahl, Arno, Kneihs, Benjamin, Obwexer, Walter (Hrsg.), 20 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs. Auswirkungen des Unionsrechts auf die nationale Rechtsordnung aus rechtswissenschaftlicher, politikwissenschaftlicher und wirtschaftswissenschaftlicher Sicht, Verlag Österreich, Wien 2015, 77-108.
  • Mion, Giordano, Ponattu, Dominic (2019), Estimating economic benefits of the Single Market for European countries and regions, Policy Paper, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, May 2019.
  • Oberhofer, Harald (2019), „Die Handelseffekte von Österreichs EU-Mitgliedschaft und des Europäischen Binnenmarktes“, WIFO-Monatsberichte, Vol. 92, 12/2019, 883-890.
  • Schmidt, Paul (2019), „25 Jahre EU-Beitritt – der ‚Öxit‘ ist ein Fremdwort“, Der Standard, 31. Dezember/1. Jänner 2020, S. 35.
  • Selmayr, Martin (2019), „Österreich in der EU – ein Gewinn für Europa“, Der Standard, 31. Dezember/1. Jänner 2020, S. 35.
    von der Leyen, Ursula (2019): Eine Union, die mehr erreichen will. Meine Agenda für Europa. Politische Leitlinien für die künftige Europäische Kommission 2019-2024, Brüssel, November 2019.
  • Wolfmayr, Yvonne (2019), „Ungenutzte Handels- und Wohlfahrtspotentiale des Europäischen Binnenmarktes für Waren“, WIFO-Monatsberichte, Vol. 92, 12/2019, 891-906.

ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.

Schlüsselwörter
EU, Österreich, EU-Mitgliedschaft, Makroökonomie, Wirtschaftspolitik

Zitation

Breuss, F. (2020). 25 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs – eine makroökonomische Bewertung. Wien. ÖGfE Policy Brief, 01’2020

Univ. Prof. i.R. Dr. Fritz Breuss

Univ. Prof. i.R. Dr. Fritz Breuss (Jg. 1944) ist Jean-Monnet-Professor für wirtschaftliche Aspekte der Europäischen Integration an der Wirtschaftsuniversität Wien und Managing Editor von Empirica, Journal of European Economics.