Handlungsempfehlungen
- Eine zukunftsorientierte Strategie muss die Chancen zur Erschließung neuer Märkte sowie Absatzwege ergreifen und gleichzeitig Instrumente zur Abfederung von Schwächen aktiv nutzen.
- Die österreichische Gesellschaft hat eine tief verankerte Sympathie für die Landwirtschaft. Das hohe Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit muss durch weitere Anstrengungen zur Qualitätsverbesserung und ständige Neujustierung erhalten sowie vertieft werden.
- Mit der 2018 initiierten Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik wird den Mitgliedsländern ein größerer Spielraum eingeräumt. Dieser sollte genutzt werden, bisherige Defizite abzubauen und der Gesellschaft einen Mehrwert zu liefern.
Zusammenfassung
Die Übernahme der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im Jahr 1995 war mit einem Sprung ins kalte Wasser vergleichbar, wobei noch während des Sprungs nicht klar war, wie tief das Wasser denn sein werde. Es war offensichtlich, dass binnen kurzer Zeit Anpassungsschritte nötig sein würden, für die andere Länder mehrere Jahre Zeit hatten. Es war unsicher, ob diese bewältigt werden könnten. Die Ungewissheit war der Nährboden großer Befürchtungen und die Agrarpolitik steuerte mit gezielten Instrumenten dagegen. Da in Österreich, einem Land mit relativ hohem Einkommen, bereits viele Anforderungen an die Landwirtschaft etabliert waren, die in anderen Ländern erst später vollzogen wurden, gelang es überraschend gut, auf dem Gemeinsamen Markt Fuß zu fassen. Heute produziert die österreichische Landwirtschaft unter Bedingungen des Weltmarkts hochwertige Güter, die in ganz Europa Absatz finden. Die im globalen Maßstab kleinstrukturierte Lebensmittelwirtschaft und -industrie ist sehr leistungsfähig, da sie nicht nur den Heimmarkt im Blick hat, sondern auch auf den Weltmarkt ausgerichtet ist.
*) Der Autor dankt M. F. Hofreither, S. Milford-Faber, N. Morawitz und P. Schmidt für wertvolle Anregungen zu einer früheren Fassung des Manuskripts.
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25 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs – der Agrarsektor und die Lebensmittelwirtschaft im Gemeinsamen Markt
1. Der agrarpolitische Kontext in Europa um 1990
1.1 Welthandel und Landwirtschaft
In Österreich – wie auch in fast allen anderen Ländern der Welt mit Ausnahme Neuseelands und Australiens – hat der Agrarsektor bis zur Mitte der 1990er Jahre eine besondere Rolle eingenommen. Grund dafür war das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade/GATT). Zur Überwindung der tiefen Krise nach dem 2. Weltkrieg wurde die Öffnung der Märkte für Industriegüter als Wachstumschance gesehen und durch mehrmalige Verringerung der Zölle der Handel forciert und wirtschaftliches Wachstum induziert. Die Landwirtschaft war davon ausgenommen. Hier stand die Steigerung der Selbstversorgung und Produktivität und die Freisetzung von Arbeitskräften für die Industrie im Vordergrund. Dafür wurden Marktabschottung, ein hohes Preisniveau und planwirtschaftliche Eingriffe in Agrarmärkte in Kauf genommen. Erst in der Uruguay-Runde (1986-1994) wurde die Sonderrolle der Landwirtschaft angetastet.[1] Das Ziel war, durch die Öffnung der Agrarmärkte in Industrieländern, Konzessionen in wenig industrialisierten Agrarländern zu erhalten, um Märkte besser zu erschließen.
1.2 Die Phase hoher Agrarpreise und ihre Schattenseiten
Lange bevor der Binnenmarkt geschaffen wurde (1992), waren die Beschränkungen des Handels von Agrargütern in der Gemeinschaft beseitigt worden. Der einheitliche Markt für Getreide, Schweinefleisch Geflügel und Eier wurde am 1. Juli 1967 vollendet, also ein Jahr bevor Zölle und Quoten für die übrigen Waren beseitigt wurden (Schneider, 1967). Für 22 Agrargüter wurden Marktordnungen geschaffen und ein sehr ausgeklügeltes Instrument, die variablen Import- und Exportabgaben, stabilisierten die Preise in der Gemeinschaft.
In der EU wurden die Einkommensziele vor allem durch Preispolitik verfolgt, konkret durch Mindestpreise, die von der Politik festgelegt wurden. Diese wurden ab 1967 wirksam, als erstmals ein Mindestpreis für Getreide festgesetzt wurde, zu dem Behörden jede angebotene Menge von Getreide einer bestimmten Qualität ankaufen mussten.
In Österreich wurden für wichtige Agrargüter ebenfalls Mindestpreise festgelegt. Wegen der relativ großen Grünlandflächen bestand ein komparativer Vorteil in der Milch- und Rindfleischproduktion, deren Umfang den Verbrauch weit überstieg. Für diese Güter mussten in bilateralen Verhandlungen Absatzmärkte gefunden werden. Bei Getreide und Zucker entstand in Österreich seit den 1980er Jahren ebenfalls eine Überproduktion, die verwertet werden musste, da begleitende Maßnahmen zur Eindämmung der Produktion wenig wirksam waren (OECD, 1987).
Um diese Zeit waren durch steigende Kapitalintensität und enorme technologische Fortschritte traditionelle Agrar-Importländer in Europa zu Exporteuren geworden. Überschüssige Waren („Butterberge” und „Milchseen”) konnten teilweise nur durch Dumping abgesetzt werden (OECD, 2011). Auch die Vernichtung von Waren (z. B. Gemüse) oder die inferiore Verwertung (Verspritung von Wein) waren Mittel, das angestrebte Preisniveau im Inland zu halten.
Vor dem EU-Beitritt, konkret 1992, betrug das von der OECD für Österreich veröffentlichte Maß der Produzentenstützung (PSE) 49%. In dieser Kennzahl werden die Transfers an Produzenten von Konsumenten und Steuerzahlern zusammengefasst. In dem Land mit der liberalsten Agrarpolitik, in Neuseeland, war das PSE damals 3% und in der EU betrug es 47% (OECD, 1993).
1.3 Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 1992
In der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurde von Kommissar Raymond MacSharry ab 1989 eine fundamentale Umorientierung der bisherigen Instrumente eingeleitet, und zwar die Annäherung der Preise im Binnenmarkt an die Weltmarktpreise. Dies war auch wegen interner Zwänge notwendig geworden, da in den damals jährlich zu verhandelnden Budgets die Kosten der Agrarpolitik jeden Rahmen sprengten.
Mit der 1992 verabschiedeten Reform der GAP wurde schließlich der Weg für einen Abschluss der Uruguay-Runde freigemacht (Hofreither, 1993). Die Umwandlung quantitativer Restriktionen gegenüber dem Weltmarkt in Zölle, Mindestmarktzugang und die Beseitigung stark handelsverzerrender Instrumente wie etwa Exportsubventionen waren die wichtigsten Reformschritte. Dazu mussten die Preise von Agrargütern gesenkt werden. Landwirte wurden durch an Flächen bzw. an die Zahl von Nutztieren gekoppelte Zahlungen kompensiert. Dafür wurde jener finanzielle Polster herangezogen, der zuvor für die Überschussverwertung aufgebaut worden war. Weiters wurden Zahlungen, die direkt an Produzenten im Agrarsektor gewährt wurden, erhöht.
2. Elementare Weichenstellungen der GAP seit 1995
2.1 Der Abschied von 30 Jahren Marktordnungspolitik
Bis zur McSharry Reform verfolgte die EU die Ziele der GAP mit immer ausdifferenzierteren Marktordnungen. Da die EU durch die großen Exportvolumina die Weltmarktpreise gedrückt hatte, war – zumindest für Ökonominnen und Ökonomen – absehbar, dass diese steigen würden, wenn die Handelsverzerrungen aufgrund der Preissenkungen im Gemeinsamen Markt abnehmen würden. Diese Rechnung ging tatsächlich auf, nachdem in der Reform unter Kommissar Franz Fischler, die 2002 initiiert wurde, die eingeschlagenen Reformschritte konsequent weiterverfolgt wurden (Schmid und Sinabell, 2003). Dazu zählte die weitere Senkung von Agrarpreisen, die Abschaffung der Mengensteuerung auf den Märkten von Milch (2015) und Zucker (2017). Diese und weitere Reformschritte waren teils bereits vor 2005 beschlossen worden (Hofreither und Sinabell, 2014).
Damit zeigt sich ein Charakteristikum der EU-Wirtschaftspolitik: Reformen werden lange hinausgezögert, sobald sie aber in Fahrt kommen, wird den betroffenen Akteuren Zeit gegeben, die notwendigen Anpassungsschritte zu setzen. Der Anpassungsdruck lässt sich weiter abmildern, da diskretionäre Eingriffe aufgrund politischen Drucks immer möglich sind. Dies war etwa begleitend zur Abschaffung der Milchquotenregelung 2015 zu beobachten.
2.2 Auswirkungen intensiver Agrarproduktion auf die Umwelt wurden evident
Zwei weitere wichtige Entwicklungen für den Agrarsektor vollzogen sich parallel zur Änderung der grundlegenden Mechanismen der Gemeinsamen Agrarpolitik ab den 1990er Jahren. Die hohen Agrarpreise hatten eine starke Intensivierung der Produktion in ganz Europa ausgelöst. Deren Schattenseiten wurden immer stärker sichtbar, und zwar in der zunehmenden Umweltbelastung (siehe Hofreither und Sinabell, 1994 für die Situation in Österreich). Am augenfälligsten war dies an der Verschlechterung der Qualität des Grundwassers festzustellen.
Im Jahr 2000 wurde schließlich ein Meilenstein in der Umweltpolitik gesetzt, die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie.
Um einheitliche Mindeststandards in der gesamten Gemeinschaft zu etablieren wurden zahlreiche Richtlinien erlassen – darunter die Nitratrichtlinie. Im Jahr 2000 wurde schließlich ein Meilenstein in der Umweltpolitik gesetzt, die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie.
Den sich ändernden gesellschaftlichen Anforderungen trug die Agrarpolitik Rechnung. Die Marktinterventionen in der „Ersten Säule” der GAP wurden ab 2000 durch das Programm der Ländlichen Entwicklung, die „Zweite Säule” der GAP, ergänzt. Damit wurde ein Rahmen für vielfältige Interventionen zur Adressierung von Umweltbelangen und zur Stärkung der ländlichen Entwicklung geschaffen (Sinabell, et al., 2019).
2.3 Lebensmittel rücken stärker in das Bewusstsein und auf die politische Agenda
Bereits zuvor hat die EU-Kommission durch mehrere Initiativen nicht nur die Standards von Agrarprodukten vereinheitlicht, sondern auch die Qualitätsanforderungen für Lebensmittel laufend erhöht. Durch die BSE-Krise[2], die ausgehend vom Vereinigten Königreich ab 2001 auf das Festland übergriff, wurde die Notwendigkeit offensichtlich, auch die Produktionsverfahren und die Inputs der Produktion nach einheitlichen Mindeststandards zu organisieren. Diese Erfahrungen stärkten jene Kräfte, die dem Vorsorgeprinzip als Grundpfeiler staatlichen Handelns hohe Priorität einräumten. Als Folge davon sind in der EU bestimmte produktionssteigernde Substanzen (z. B. das Wachstumshormon BST in der Rindermast) verboten, viele international eingesetzte Pflanzenschutzmittel nicht zugelassen oder ganze Produktkategorien gar nicht als Lebensmittel zugelassen (z. B. gentechnisch veränderte Organismen). Dies zieht zwar Handelskonflikte nach sich (vgl. EC, 2018) und schwächt die internationale Wettbewerbsfähigkeit, stärkt aber international das Verbrauchervertrauen in Lebensmittel aus der EU.
Die EU ist mit großem Abstand der wichtigste Exporteur von Agrargütern und Lebensmitteln und seit 2013 ist die EU-Agrarhandelsbilanz weitgehend ausgeglichen, häufig gibt es sogar Exportüberschüsse.
Das Zusammenwirken all dieser Elemente war erfolgreich. Die EU ist mit großem Abstand der wichtigste Exporteur von Agrargütern und Lebensmitteln und seit 2013 ist die EU-Agrarhandelsbilanz weitgehend ausgeglichen, häufig gibt es sogar Exportüberschüsse. Mit diesem Rückenwind gelingt es österreichischen Unternehmen immer häufiger, nicht nur auf Märkten in der EU, sondern auch auf Überseemärkten Fuß zu fassen.
3. Elemente der Feinsteuerung der GAP und ihre Umsetzung in Österreich
3.1 Spezifische Ziele und Instrumente Österreichs Agrarpolitik im Gefüge der GAP
Es gab durchaus systematische Abweichungen zwischen der Agrarpolitik der EU und Österreichs. In der Marktordnung für Ölfrüchte gab es in Österreich Deficiency Payments, wie sie in den USA gebräuchlich waren.[3] In der Herangehensweise, die Landwirtschaft in benachteiligten Gebieten zu unterstützen, gab es auch Unterschiede. In der EU wurde ein territorialer Ansatz verfolgt, in Österreich wurden die Unterstützungen auf der Grundlage betriebsindividueller Faktoren berechnet (Knöbl, 2005). Der Umstand, dass – anders als mit den vorangegangenen EU-Beitrittskandidaten – Übergangsfristen gar nicht erst diskutiert wurden, engte den Spielraum der Verhandlungen deutlich ein.
Zudem war zur gleichen Zeit die GAP selber mitten in einem Reformprozess mit noch nicht abgeschlossenen neuen Vorhaben und laufenden Änderungen im Bereich wichtiger Instrumente. Das machte die systematische Überführung österreichischer Regelungen in jene der GAP kompliziert, eröffnete aber auch Handlungs- und Gestaltungsspielraum.
Das Agrarumweltprogramm ermöglichte eine enorme Ausweitung des Angebotes biologisch produzierter Produkte.
Die in der MacSharry-Reform etablierten „flankierenden Maßnahmen” schufen jenen Spielraum, innerhalb dessen die spezifisch österreichische Ausprägung der GAP etabliert werden konnte. Ein wichtiges Element bildete das breit angelegte Agrar-Umweltprogramm. Es orientierte sich an regionalen Programmen aus Baden-Württemberg und Bayern, hatte aber im Vergleich dazu ein deutlich höheres Gewicht. Das anfängliche jährliche Volumen von 175 Mio. ECU überstieg die Summe des gleichen Programms in ganz Deutschland (Knöbl, 2005). Für sehr viele Betriebe in Österreich wurde dieses Programm in Verbindung mit der Ausgleichszulage (vor allem die Förderung von Bergbauernbetrieben) zur wichtigsten Finanzierungsquelle neben den Erlösen aus dem Produktverkauf. Das Agrarumweltprogramm ermöglichte eine enorme Ausweitung des Angebotes biologisch produzierter Produkte. Die Nachfrage hielt mit dem Angebot jedoch nicht immer Schritt.
3.2 Die Integration der österreichischen Lebensmittelverarbeitung
Eine zumindest ebenso wichtige Form der finanziellen Unterstützung adressierte Unternehmen in der Lebensmittelverarbeitung („Sektorpläne“). Dieser Sektor musste sich an neue, zum Teil sehr hohe Standards anpassen und gegen die zu erwartende Konkurrenz wappnen. Bei dieser Gelegenheit wurden planwirtschaftlich organisierte Produktions- und Absatzeinheiten, die de facto regionale Monopole darstellten, ihres – je nach Sichtweise – Korsetts bzw. Schutzpanzers entledigt und der Konkurrenz ausgesetzt. In der Molkerei-, Zucker- und Mühlenwirtschaft gab es einen raschen Strukturwandel. Da Liberalisierung und Privatisierung bereits im Vorfeld des EU-Beitritts viele bis dahin verstaatlichte Unternehmen betraf (OMV, VA-Tech) und unmittelbar nach dem EU-Beitritt weiter vorangetrieben wurde (Austria Tabak, Telekom Austria, Post und viele mehr), waren diese Anpassungen nicht sektorspezifisch, sondern Teil einer kohärenten Neuausrichtung des Wirtschaftsstandorts Österreich.
Ein in Österreich besonders wichtiges Instrument der GAP sind kollektive Qualitätsstandards und die Werbung für Agrargüter und verarbeitete Produkte („AMA-Gütesiegel” und „AMA-Marketing”). Sofern Erzeuger von Agrarprodukten und deren Verarbeiter zu einer Vereinbarung über die Kostenteilung kommen, ist eine öffentliche Unterstützung von Qualitätsprogrammen, Marketingmaßnahmen und Werbekampagnen möglich. Eine solche Intervention muss generische Agrargüter bzw. Lebensmittel zum Gegenstand haben. Erzeuger haben damit die Möglichkeit, Qualitätsattribute zu entwickeln und zu sichern, Marktforschung und Werbekampagnen zu ko-finanzieren in einem Ausmaß, welches die Möglichkeiten einzelner Erzeuger weit übersteigt. Besonders in Phasen von Lebensmittelkrisen (z. B. die Belastung von Gemüse mit lebensgefährlichen EHEC-Keimen) sind die diesbezüglichen Kapazitäten von eminenter Bedeutung, da sie helfen, Konsumentenvertrauen zu sichern und die Kundenbindung zu verstärken.
Mittlerweile hat sich in Österreich eine expandierende Industrie etabliert, die günstige Rohstoffe aus den Nachbarländern importiert, und in vielen Bereichen hat sich das Angebot aus Österreich auf Produkte mit höherer Wertschöpfung spezialisiert.
Der Beitritt vieler Nachbarländer Österreichs ab dem Jahr 2004 wurde von der Landwirtschaft mit gemischten Gefühlen betrachtet. Aufgrund der Kollektivierung waren in den meisten Beitrittsländern sehr große Agrarunternehmen entstanden, die aufgrund von Skaleneffekten deutliche Kostenvorteile aufwiesen. Zudem waren vor dem Beitritt die Agrarpreise in diesen Ländern durchwegs niedriger. Es bestand die Befürchtung, dass es zu Preiseinbrüchen und zur Marktverdrängung kommen würde. Dies trat 2005 auch tatsächlich ein (siehe Abbildung 1 an der Zeitreihe für Marktfrüchte). Da aber ab 2006 alle Agrarpreise stark angestiegen sind, zerstreuten sich die Befürchtungen. Mittlerweile hat sich in Österreich eine expandierende Industrie etabliert, die günstige Rohstoffe aus den Nachbarländern importiert, und in vielen Bereichen hat sich das Angebot aus Österreich auf Produkte mit höherer Wertschöpfung spezialisiert (siehe Sinabell, et al., 2018 für den Markt von Getreide).
4. Was hat die Gemeinsame Agrarpolitik Österreich gebracht
4.1 Die Verbraucher als Gewinner auf allen Längen
Die größten Gewinner der Gemeinsamen Agrarpolitik waren und sind die Konsumenten von Lebensmitteln und Gütern, die aus agrarischen Rohstoffen entstehen. Mit dem EU-Beitritt wurde eine lange Phase stabiler niedriger Agrarpreise eingeleitet und heute noch sind wichtige Agrargüter nominell billiger als vor dem EU-Beitritt (Abbildung 1). Die massive Senkung der Agrarpreise mit dem EU-Beitritt wurde auch für Verbraucher zumindest leicht spürbar (Streicher und Hofreither, 1996), da der Warenkorb der Lebensmittel besser leistbar wurde.
Da die Verbraucher selten Agrargüter, sondern vor allem (verarbeitete) Lebensmittel kaufen, spiegeln sich die steigenden Lohn-, Miet-, und Kapitalkosten auch in steigenden Lebensmittelpreisen wider.
Die Erinnerung an die Zeiten, in denen es im Regal nur Joghurt einer Molkerei gab, ist längst verblasst.
Eine 1995 kaum vorstellbare Vielfalt an Lebensmitteln höchster Qualität, die durch die hochgradige Differenzierung je nach Zahlungsfähigkeit und -willigkeit alle Konsumentenschichten ansprechen, wurde selbstverständlich. Die Erinnerung an die Zeiten, in denen es im Regal nur Joghurt einer Molkerei gab, ist längst verblasst.
4.2 Ein gemischtes Bild aus dem Blickwinkel der Steuerzahler
Nominell gleichbleibende Agrarförderungen bedeuten, dass die verbleibenden Arbeitskräfte in der Landwirtschaft real unverändert unterstützt werden, da annähernd die gleichen Mittel auf 2% weniger Empfänger pro Jahr aufgeteilt werden müssen.
Wenn man die Geschichte der GAP betrachtet, kann man auch Vorteile für die Steuerzahler erkennen, obwohl diese den größten Teil der Kosten der GAP schultern. Parallel zur MacSharry- Reform wurde der erste siebenjährige Finanzrahmen im Jahr 1993 in Form einer inter-institutionellen Vereinbarung geschlossen (auch „Delors Paket II” genannt), womit die Finanzierung der Agrarausgaben bis 1999 fixiert wurde. Eine wesentliche Neuerung war, dass die Agrarausgaben gedeckelt wurden. Die nächste Vereinbarung, die sich auf den Zeitraum 2000-2006 bezog, wurde im ersten Halbjahr 1999 unterzeichnet. Darin ging es weniger um die Eindämmung von Agrarförderungen, sondern darum, die notwendigen Mittel zur Finanzierung der Erweiterung bereitzustellen. Finanzdisziplin, verbindliche Ausgabenobergrenzen und praktisch nominell gleichbleibende jährliche Ausgaben für die Agrarpolitik bilden seitdem den finanziellen Rahmen der GAP (Sinabell, Pitlik und Schmid, 2008). Die dahinterstehende Logik mag ernüchternd sein, sie ist aber sehr einfach. Die Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft steigt annähernd um 2% pro Jahr und dies entspricht der angepeilten Inflationsrate im Euro-Raum. Jährlich nimmt die Zahl der Arbeitskräfte im Agrarsektor also um etwa 2% ab. Nominell gleichbleibende Agrarförderungen bedeuten, dass die verbleibenden Arbeitskräfte in der Landwirtschaft real unverändert unterstützt werden, da annähernd die gleichen Mittel auf 2% weniger Empfänger pro Jahr aufgeteilt werden müssen. Der Strukturwandel verläuft jedoch nicht homogen, so dass es zu Verschiebungen innerhalb der Landwirtschaft kommt (Sinabell, Schmid, Hofreither, 2013).
4.3 Freier Zugang zum größten Markt von Lebensmitteln
Nach wie vor ist der Zugang zu den Agrarmärkten der EU stark reglementiert.
Die Agrarindustrie und Lebensmittelwirtschaft zählen ebenfalls zu den Gewinnern, wenngleich auch sie starken strukturellen Anpassungen unterworfen waren und nicht alle Unternehmen die Phase der Anpassung nach dem EU-Beitritt überlebten. Mittlerweile ist die österreichische Lebensmittelwirtschaft und -industrie im Bereich der Sachgüterindustrie einer der wenigen Bereiche, in dem Beschäftigung geschaffen wird und in dem die Wertschöpfung zunimmt. Neben der wachsenden Nachfrage im Inland liegt die Ursache dafür darin, am größten Markt der Welt ohne weitere Barrieren Abnehmer zu finden. Zudem bieten die zahlreichen von der EU abgeschlossenen Freihandelsabkommen einen weltweiten privilegierten Zugang zu Verbrauchern, die qualitativ hochwertige Produkte zu schätzen wissen und in der Lage sind, sich diese zu leisten (z. B. Korea und Kanada). Die Freihandelsabkommen der EU mit zahlreichen Ländern führen – anders als der Name vermuten ließe – nicht dazu, dass Agrargüter frei gehandelt werden. Nach wie vor ist der Zugang zu den Agrarmärkten der EU stark reglementiert. Die Erleichterungen des Markzugangs der Länder mit denen Abkommen geschlossen werden, gehen in erster Linie auf Kosten der übrigen Marktteilnehmer. Sehr gebräuchlich ist auch, dass wechselseitige Konzessionen abgetauscht werden.
4.4 Vor- und Nachteile für landwirtschaftliche Produzenten
Die spezifisch österreichische Umsetzung der GAP hat den Agrarsektor zwar nicht zu dem produktivsten in der EU transformiert, aber den Spagat geschafft, ihn in ein hoch kompetitives Umfeld zu integrieren und gleichzeitig Rückhalt in der Bevölkerung für eine aktive Agrarpolitik zu erhalten.
Ob der Agrarsektor ebenfalls zu den Gewinnern der GAP zählt oder nicht, ist nicht so eindeutig zu beantworten. Wichtige Erfolgskennzahlen, wie Umfang der Beschäftigung und Wertschöpfungsanteil an der Volkswirtschaft, deuten eher auf eine Verschlechterung hin.
Andere Faktoren wie Wertschätzung, Vertrauen in die vom Sektor bereitgestellten Produkte und eine Präferenz für lokal bereitgestellte Güter haben ein hohes Gewicht in der Bevölkerung. Daraus lässt sich nicht unmittelbar ein hohes Einkommen erzielen, aber diese Faktoren zeigen, dass die Bevölkerung eine Präferenz für vor Ort erzeugte Nahrungsmittel hat. Dies ist bemerkenswert, da dies in vergleichbaren Ländern, etwa in den Niederlanden, nicht der Fall ist (efsa und EC, 2019). Dort wird Landwirtschaft vor allem mit Umweltbelastungen und zweifelhaften Produktionsverfahren in Verbindung gebracht. Die spezifisch österreichische Umsetzung der GAP hat den Agrarsektor zwar nicht zu dem produktivsten in der EU transformiert, aber den Spagat geschafft, ihn in ein hoch kompetitives Umfeld zu integrieren und gleichzeitig Rückhalt in der Bevölkerung für eine aktive Agrarpolitik zu erhalten.
Dieses günstige Resümee darf nicht von jenen Fakten ablenken, die aus dem Blickwinkel der Landwirtschaft auch die Schattenseiten der Übernahme der GAP zeigen. Am deutlichsten wird dies sichtbar, wenn man die Entwicklung der nominellen Preise über eine Periode von drei Jahrzehnten betrachtet (Abbildung 1). Die drei unteren Linien zeigen, dass der nominelle Preisindex der Agrargüter nach 30 Jahren auf dem gleichen Niveau ist. Marktfrüchte, also Kulturen wie Getreide und Zuckerrüben, sind nominell günstiger als 1990. Die Preise für Lebensmittel, also jene für die Verbraucher, sind im gleichen Zeitraum um 80 Indexpunkte gestiegen. Selbst in Phasen stark sinkender Agrarpreise profitieren die Verbraucher nur in Ausnahmefällen.
Abbildung 1: Langfristige Index-Entwicklung von nominellen Agrargüterpreisen und Verbraucherpreisen in Österreich
Q: Statistik Austria, LGR, eigene Berechnungen.
Die Entwicklungen auf den unterschiedlichen Märkten von Agrargütern lösen Anpassungen aus, die im veränderten Produktionsportfolio sichtbar werden. In der Gegenüberstellung der Anteile am Produktionswert zu Beginn des EU-Beitritts und im Durchschnitt der letzten drei Jahre sind diese Veränderungen augenfällig: Die Bedeutung der Getreide- und Schweineproduktion hat deutlich abgenommen; der Weinbau, der Gemüse- und Gartenbau haben stark zugenommen (Abbildung 2).
Abbildung 2: Langfristiger Vergleich zur landwirtschaftlichen Produktion in Österreich
Q: Statistik Austria, LGR, 2020, eigene Berechnungen.
5. Welchen Herausforderungen muss sich die GAP stellen und was bedeutet dies für Österreich?
In der Agrarpolitik werden wie in einem Brennglas zentrale Problemfelder der Union sichtbar. Dazu zählen die heterogenen finanziellen Interessen der Mitgliedsländer, das Ringen um die Macht und Vorherrschaft zwischen Rat, Kommission und Parlament und die Zwickmühlen, die sich aus den Wechselwirkungen verschiedener Politikfelder ergeben. In der Abstimmung mit der Umwelt-, Klima- und Handelspolitik gibt es zahlreiche Bruchstellen. Der Streit um die Höhe der Finanzmittel im Haushalt ist verglichen damit, selbst aus der Sicht der nicht-agrarischen Öffentlichkeit, nahezu ein Nebenschauplatz.
Die im Jahr 2018 von der Europäischen Kommission vorgestellten Schritte zur Reform der GAP tragen vielen dieser Problembereiche Rechnung. Durch die angepeilte Verlagerung von wichtigen Entscheidungskompetenzen auf die Ebene der Mitgliedsländer sollen die heterogenen Bedingungen zwischen den Ländern besser berücksichtigt werden. Dies ist nötig, weil etwa die Klimapolitik vorrangig in der nationalen Kompetenz liegt. Der Agrarsektor wird im Bereich der Lastenteilung (nationale Handlungsebene) reguliert und nicht im Emissionshandelssystem (EU-Handlungsebene) wie die Industrie.
Aus dynamischer Sicht ist absehbar, dass sowohl bei den Vorleistungen als auch in den nachgelagerten Sektoren und vor allem im Einzelhandel Marktkonzentrationen zunehmen werden. Die Digitalisierung, die in immer mehr Produktions- und Distributionsschritten eine zentrale Rolle einnimmt, beschleunigt diese Entwicklung. Die damit verbundenen Netzwerkeffekte verstärken die Vormachtstellung einzelner Unternehmen zusätzlich und bieten ihnen ein breites Spektrum an Möglichkeiten, der Landwirtschaft Kosten aufzubürden. Diese Entwicklungen sind der Aufmerksamkeit der Kommission nicht entgangen, aber auch hier werden die Mitgliedsländer als primäre Akteure in die Pflicht genommen.
Die über Jahrzehnte strikt zurückgewiesene Verlagerung wichtiger Befugnisse der GAP auf die Ebene der Mitgliedsländer mag als ein Rückzug der gemeinsamen Institutionen und als Verlagerung von Macht auf die Mitgliedsländer gedeutet werden. Gleichzeitig wird sichtbar, dass zunehmend Befugnisse im Bereich der Lebensmittel auf die europäische Ebene verlagert werden. Es gibt zwar keine Gemeinsame Europäische Ernährungspolitik, über Normen, Standards, Kodifizierung in Handelsverträgen, Zertifizierungen und andere Arten der Regulierung auf EU-Ebene zeichnet sich dieses Politikfeld jedoch ab. Ein weiterer Impuls wird von der Klimapolitik induziert werden, da immer deutlicher wird, dass Ziele der Emissionsminderung in der Landwirtschaft nur möglich sind, wenn diese mit substantiellen Änderungen im Ernährungsverhalten einhergehen.
[1] Die Uruguay-Runde war die achte im Rahmen des GATT durchgeführte Welthandelsrunde.
[2] BSE: Bovine spongiforme Enzephalopathie (Rinderwahn)
[3] Dabei erhalten die Produzenten einem höheren Preis als am Weltmarkt. Die Verarbeitungsindustrie kann die Waren aber zum günstigeren Preis beziehen. Endverbraucher werden dadurch weniger belastet.
ISSN 2305-2635
Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kommen, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder jenen der Organisation, für die der Autor arbeitet, überein.
Schlüsselwörter
EU, Österreich, EU-Mitgliedschaft, Landwirtschaft, Gemeinsame Agrarpolitik, GATT
Zitation
Sinabell, F. (2020). 25 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs – der Agrarsektor und die Lebensmittelwirtschaft im Gemeinsamen Markt. Wien. ÖGfE Policy Brief, 08’2020