Europa Club Spezial: Fake News – Wie groß ist die Gefahr für die europäische Demokratie? (EU-Projekt RADAR)

Europa Club Wien Spezial

FAKE NEWS – Wie groß ist die Gefahr für die europäische Demokratie?

PODIUMSDISKUSSION
im Rahmen des EU-Projektes RADAR (Raising Awareness on Disinformation, Achieving Resilience)

Fake News und Desinformationskampagnen haben nicht erst seit der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine Hochkonjunktur. Schon lange versuchen externe Akteure, wie etwa Russland oder China, Einfluss auf demokratische Prozesse in der EU zu nehmen und das liberale Demokratiemodell zu untergraben. Dasselbe gilt für interne Akteure, z.B. anti-europäische und extremistische Gruppen sowie Medien, die dazu beitragen, Desinformation in der EU zu verbreiten. Der Einsatz von neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz und Social Media Plattformen hat die Verbreitung von Fake News in ihrem Ausmaß, ihrer Art und ihrer Reichweite verstärkt. Deepfakes, Filterblasen und Echokammern werden zunehmend eingesetzt, um zu täuschen und zu manipulieren, was wiederum der sozialen und politischen Polarisierung der Gesellschaft Vorschub leistet.

Auch im Vorfeld der Europawahl im Juni 2024 ist mit einer Zunahme von Desinformationskampagnen und Angriffen auf die Demokratie zu rechnen – Eine nicht zu unterschätzende Gefahr, der rechtzeitig begegnet werden muss.

Fake News – Was ist das eigentlich? Wer sind die Hauptakteure, die Desinformation in der EU verbreiten? Welche Rolle spielt die EU im Kampf gegen Desinformation? Welche Maßnahmen funktionieren gut und wo gibt es noch Nachbesserungsbedarf – gerade im Vorfeld der Europawahlen 2024? Wie stark sind wir alle von Desinformation betroffen und was kann der/die Einzelne tun, um Fake News zu erkennen und von seriösen Informationen zu unterscheiden?

Über diese sowie weitere Fragen diskutierten am 23. Oktober 2023 im Haus der Europäischen Union Lutz Güllner (online zugeschaltet) – Referatsleiter, Strategic Communication, Task Forces and Information Analysis/Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD), Ljudmyla Melnyk, Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Europäische Politik (Berlin), Corinna Milborn – Autorin, Journalistin, Moderatorin. Infochefin bei ProSieben, Sat1, PULS4, Dietmar Pichler – Disinformation Resilience Network und Andreas Schieder – Europaabgeordneter/Mitglied im Sonderausschuss zur Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der Europäischen Union, einschließlich Desinformation, und zur Stärkung der Integrität, Transparenz und Rechenschaftspflicht im Europäischen Parlament (ING2). Das Event wurde von ÖGfE-Generalsekretär Paul Schmidt moderiert.

Begrüßung: Anna Knyazeva, Leiterin Bürgerkontakte, Netzwerke und Outreach, Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich

Die Gefahr, dass die Europawahlen 2024 durch Fake News manipuliert werden, wird von Experten als groß eingeschätzt. Allerdings gebe es auch die “relativ gute Nachricht, dass wir die massive Beeinflussung” wie noch bei der US-Wahl 2016 “in dieser Form zumindest nicht mehr sehen. Das heißt aber nicht, dass die Gefahr gebannt ist”, so Lutz Güllner.  Ziel sei es, Desinformationen umfassend aufzudecken und darauf reagieren zu können. Dafür müsse die EU in diesen Bereich immer weiter investieren. Letztlich sei dies eine gesellschaftliche Aufgabe, die nicht durch Regierungen alleine zu lösen wäre.

Vor einigen Monaten habe sein Team eine neue Taktik aufgedeckt, die insbesondere Russland zur Desinformation benutze, sagte Güllner. Diese bestehe im Klonen von Websites, bei denen Medien wie der “Guardian” oder der “Spiegel” exakt reproduziert, Inhalte verändert und dann massiv geteilt werden. Für Laien seien solche Fälschungen nicht zu unterscheiden. Güllner warnt jedoch: “Desinformation ist nicht nur ein Problem der Sozialen Medien.” Auch Thinktanks und Nicht-Regierungsorganisationen seien Ziel von Desinformationskampagnen, vermeintliche Info-Plattformen würden gegründet, “um so viel Lautstärke wie möglich zu bekommen”.

Desinformationsanalyst Dietmar Pichler sieht die Europawahl als “große Herausforderung, angefeuert durch den Krieg in der Ukraine”. So seien die Sanktionen gegen Russland ein europäisches Thema, und Russland versuche über die rechten Parteien Einfluss zu nehmen. “Es wird noch schlimmer”, so Pichler. In den USA sei die Ukraine-Hilfe mittlerweile ein großes Streitthema, man sehe bereits Desinformation von Influencern in den Vereinigten Staaten. Gerade die EU-Wahl und der russische Angriffskrieg in der Ukraine seien komplexe Themen, wo “ein Übermaß an Desinformation mit einem Informationsmangel kollidiert”.

“Das Problem ist viel größer, als uns bewusst ist”, warnte MEP Andreas Schieder. Dies habe sich im Europaparlament im Rahmen der Arbeiten des Sonderausschusses zu Einflussnahme aus dem Ausland (INGE) gezeigt. Durch den brutalen Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel und den Gaza-Krieg habe das Thema “eine weitere Dimension bekommen”. “Es braucht eine Offenlegung der Algorithmen”, forderte Schieder eine strengere Regulierung der Sozialen Medien. Mit dem Ende August in Kraft getretenen Digital Service Act (DSA) habe die EU zwar erstmals eine Handhabe zum Löschen von Fake News, dies sei aber “nicht genug”.

Es gebe einen strukturellen Grund, warum sich Lügen besser verbreiten würden als die Wahrheit, und dies sei der Algorithmus, betonte auch die Journalistin und Autorin Corinna Milborn. Auch sie hält die Gefahr von Desinformation bei der Europawahl für “sehr groß, sie wächst exponentiell”. Die technischen Möglichkeiten würden zunehmen, Plattformen wie TikTok seien nicht reguliert, und geopolitische Krisen in der Ukraine und Nahost würden mit dem Aufschwung der neuen Rechten in den USA zusammenfallen, die Soziale Medien einsetzten, um Vertrauen in die Demokratie zu zerstören. “Wir stehen vor einer großen Desinformationsmaschine und haben keine Instrumente in der Hand”, so Milborn.

Die am Berliner Institut für Europäische Politik forschende Ukrainerin Ljudmyla Melnyk sagte, Russland versuche über Desinformationskampagnen staatlicher Medien eine neue Realität zu schaffen. Letztlich wolle Moskau der Ukraine “die Subjekthaftigkeit rauben”, also jede Eigenstaatlichkeit vernichten. Dass die NATO dabei als Bedrohung für Russland dargestellt werde, sei nur “eine Kulisse”. Für die Ukraine habe “der Desinformationskrieg 2014 begonnen”, dem Jahr der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion durch Russland. Als hinderlich bezeichnete Melnyk, dass in der westlichen Öffentlichkeit nur wenig Wissen über die Geschichte der Ukraine vorhanden sei. Sie kritisierte auch die langen Diskussionen in Deutschland über Waffenlieferungen an Kiew.

Sogenanntes “Debunking”, also direktes Entlarven von Fake News, müsse gemacht werden, sagte Güllner. “Aber der Faktencheck hat ein Problem”, so der Experte. “Er ist immer in der Defensive.”

RADAR – Raising Awareness on Disinformation: Achieving Resilience

RADAR (www.tepsa.eu/projects/radar/) aims at raising citizens’ awareness on disinformation and providing an accessible public platform for debate on the issue.

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RADAR: Raisind Awareness on Disinformation Achieveing Resilience
Funded by th European Union

This activity is a joint action between the Trans European Policy Studies Association (TEPSA) and the Austrian Society for European Politics / Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) (www.oegfe.at) undertaken in the context of the European Union funded project “RADAR – Raising Awareness on Disinformation: Achieving Resilience”.

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