Ein fruchtbarer Nährboden junger Politik (Gastkommentar Wiener Zeitung)

Was die Europäische und die Afrikanische Union gemeinsam für die Demokratie tun können.

Gerade in solch ungewissen Zeiten, wie wir sie heute erleben, ist es für junge Menschen schwierig, politisch gehört zu werden – auch in der äußerst demokratisch gestalteten Europäischen Union. Noch schwieriger aber ist dies in institutionell schwachen Ländern mit großer Chancenungleichheit. Die Europäische Union sollte hier aktiver werden und jungen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern gerade auch in solchen Ländern im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe tatkräftig unter die Arme greifen.

Das “Young Elected Politicians”-Programm (YEP) ist ein gutes Beispiel dafür, wie etwa der Ausschuss der Regionen (AdR), eine beratende EU-Einrichtung, in der lokale und regionale Gebietskörperschaften vertreten sind, jungen Politikerinnen und Politikern beziehungsweise Mandatarinnen und Mandataren auf regionaler Ebene die Möglichkeit bietet, an einem europäischen Netzwerk teilzunehmen. In der Regionalpolitik involvierten Menschen bis 40 Jahre werden Weiterbildungen zu europäischen Fragestellungen sowie die Teil- nahme an Konferenzen und Seminaren des AdR offeriert.

Im Jahr 2020 veröffentlichte das Joint Research Centre der EU-Kommission eine Studie zur Einstellung junger Afrikanerinnen und Afrikaner in Bezug auf ihre politische Partizipation basierend auf einer repräsentativen Befragung des “Afrobarometers” in 34 Ländern Afrikas. Mehr als die Hälfte der zwischen 18 und 35 Jahre alten Befragten gaben dabei an, eine prodemokratische Änderung der politischen Systeme sowie eine Verringerung der Korruption in ihrem Land durch politische Partizipation herbeiführen zu können. Ebenso wurde deutlich, dass junge Menschen sehr wohl den Wunsch haben, auch etwas am Ausmaß ihrer politischen Partizipation zu ändern.

Weniger Teilhabe am politischen Leben

Nun also, warum die weite Reise nicht mit einem ersten Schritt beginnen? Die politische Partizipation junger Menschen ist in Afrika sehr unterschiedlich stark ausgeprägt. Generell lässt sich aber sagen, dass junge Menschen zwar Interesse an der Mitgestaltung der Politik auf Regionalebene haben, aber die Partizipation im Vergleich zur EU tendenziell sehr gering ist. Bei genauer Betrachtung des “Afrobarometers” wird erkennbar, dass in Ländern auf den hinteren Plätzen des “Corruption Perceptions Index” (CPI) von Transparency Inter- national junge Menschen weniger am politischen Leben teilhaben, da Korruption stets mit großem Vertrauensverlust in die politischen Systeme einhergeht.

Statt in politische Institutionen zu vertrauen, schenken junge Menschen ihren Glauben dem Militär oder religiösen und traditionellen Oberhäuptern. Dies ist zum Beispiel im Senegal, in Tansania und in Gabun der Fall. Dieses fehlende Vertrauen birgt Risiken für Sicherheit und Stabilität. So kam es etwa in Gabun bei den Wahlen 2009 und 2016 zu Ausschreitungen, im Senegal verursachte die Verhaftung eines Oppositionspolitikers im Jahr 2021 gewalttätige Proteste. Unter anderem durch Geschehnisse dieser Art befinden sich viele afrikanische Länder nicht nur im “Corruption Perceptions Index”, sondern auch im “Fragile State Index” des Fund of Peace und im “Democracy Index” des Magazins “The Economist” auf den jeweils letzten Plätzen.

Auch wenn man den jeweiligen soziokulturellen Hintergrund nicht vergessen darf und gesellschaftliche Veränderungen wie die Verringerung der Korruption eher lang- als mittelfristig zu erwarten sind, gäbe es Ansatzpunkte, um diesen Ländern Möglichkeiten zu bieten und Weichen für eine weiter voranschreitende Demokratisierung zu stellen. Bekanntlich sind die besten Investitionen die in die nachfolgenden Generationen – zum Beispiel mithilfe des “Young Elected Politicians”-Programms.

Zur Aufrechterhaltung der Grundprinzipien einer Demokratie, wie Volkssouveränität, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Grundrechte, verlangen diese eine starke, diverse, gut ausgebildete und dynamische Gesellschaft. Dadurch, dass es unumgänglich ist, junge Menschen in politische Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen, ist diese Notwendigkeit eine ausgezeichnete Gelegenheit, jungen Menschen einen Rahmen des persönlichen Wachstums und einer wertebasierten Weiterentwicklung zu schaffen.

Netzwerk mit Austausch- und Weiterbildungsmöglichkeiten

Die außereuropäische Fortführung des “YEP”-Programms, eines “YEPplus”, ermöglicht genau dies, indem es auf junge Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger mit dem Drang, das bestehende politische System zu verbessern, abzielt. Durch die internationale Reichweite des “YEPplus”-Projekts bekommen junge Politikerinnen und Politiker auch wieder das Vertrauen in politische Institutionen zurück, da sie im internationalen Umfeld voneinander lernen, aktiv mitzugestalten. In Anlehnung an das europäische Pendant wird afrikanischen Jungpolitikerinnen und Jungpolitikern auf freiwilliger Basis ein Netzwerk mit Austausch- und Weiterbildungsmöglichkeiten innerhalb der Afrikanischen Union (AU) geboten.

Genauso werden abwechselnd Regionen sowie deren kulturelle Eigenschaften hervorgehoben und den anderen internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Seminaren und Workshops vor Ort vorgestellt, damit die jungen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern ihren Kontinent kennen und verstehen lernen. Das afrikanische Netzwerk kann in weiterer Folge auch sehr gut mit jenem der EU vereint werden. Es bietet sich das Potenzial eines regen Personen- und Kulturaustauschs, beispielsweise bei gemeinsamen “YEPplus”- und “YEP”-Gipfeln und diversen spezifischen Weiterbildungen oder Projekten in Bereichen wie Politikgestaltung und ihren kulturellen Ausprägungen oder der Demokratisierung. Auch zu tagesaktuellen Themen wie etwa zu Klimawandel und Landwirtschaft könnte gemeinsam diskutiert werden. Zur finanziellen Erleichterung könnte es AU-Stipendien für europäische Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Afrika und EU-Stipendien für afrikanische Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Europa geben.

Um künftigen Generationen die Grundlagen einer besseren Zusammenarbeit der Unionen zu vermitteln, werden gegenseitige Kenntnisse der europäischen und afrikanischen Kulturen und Gesellschaften benötigt. Das erweiterte Wissen lässt das Selbstvertrauen und den Weitblick junger Politikerinnen und Politiker steigen. So kann der Glaube, politische Systeme positiv verändern zu können, in die Tat umgesetzt werden. Erst bei einem starken institutionellen Rückhalt und ideologiefreier Bildungsarbeit ist es möglich, Rechtsstaatlichkeit sowie friedlichen Pluralismus zu fördern und Menschenrechte zu garantieren. Erst dann kann der Nährboden für Menschenrechtsverletzungen, für Korruption und für stabilitätsgefährdende Einflüsse neutralisiert werden.

Afrikas Jugend unterstützen und stabilisieren

Es kann nur in unser aller Interesse sein, Afrikas Jugend zu unterstützen und zu stabilisieren, da in naher Zukunft mehr als zwei Milliarden Menschen in Afrika leben werden. Prognosen zufolge werden in wenigen Jahrzehnten Städte wie Kinshasa, Lagos oder Dar es Salaam zu den größten Metropolen der Welt zählen. Weiters verfügt der afrikanische Kontinent mengenmäßig über die größten natürlichen Bodenressourcen, die vielfach noch unerforscht sind. Zudem bietet Afrika weitläufige und brachliegende landwirtschaftliche Nutzflächen. Was spricht dagegen, im Einklang der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen Afrikas unentdeckte Potenziale zu fördern?

Durch ein “YEPplus”-Programm in der Afrikanischen Union würde ein Netzwerk zum Austausch kultureller, technologischer und wissensbasierter Themen der jeweiligen jungen Regionalpolitikerinnen und Regionalpolitiker untereinander, aber auch mit der europäischen “YEP”-Community, geschaffen werden. Also warum nicht der wissbegierigen Generation, die die Auswirkungen politischer Entscheidungen am stärksten zu spüren bekommt, die Tools der Zukunftsgestaltung näherbringen? Die intrinsische Motivation, den Status quo zu verändern, ist schließlich vorhanden. Nutzen wir das.

Zur Autorin: Sophie Leopold studiert Chemie und Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. In ihren Studien fokussiert sie sich auf internationale und multilaterale Thematiken. Sie ist außerdem Geschäftsführerin für Tirol und Vorarlberg des Akademischen Forums für Außenpolitik – Hochschulliga für die Vereinten Nationen. Im Verein Österreichischer Auslandsdienst leitet sie den Bereich der Bildungsarbeit und ist Mitarbeiterin im EU-/UN-Referat. Sie vertrat außerdem die Landjugend Österreich mehrmals auf europäischer Ebene.