Die erste Halbzeit der einjährigen Konferenz zur Zukunft der EU ist um. Bisher bleibt das Interesse daran gering.
Seit dem 9. Mai dieses Jahres läuft sie schon, die zwölfmonatige Konferenz zur Zukunft Europas. Sie soll die Weichen der Europäischen Integration neu stellen. Das ist nach dem Brexit-Schock, der noch nicht überstandenen Coronapandemie, der notwendigen Bekämpfung des Klimawandels und zunehmenden internen Streitigkeiten in der EU auch dringend notwendig geworden.
Die erste Halbzeit ist mittlerweile vorbei. Noch kennzeichnet die Konferenz ein zögerliches Abtasten mit ziemlichem Kompetenzwirrwarr. Es ist ein komplexes Konstrukt geworden, das hohe Ansprüche an sich stellt, aber bislang zu wenig Interesse und Aufmerksamkeit generiert. Dabei ist es gut, wenn Bürgerdialoge und Plenarsitzungen in Straßburg und Brüssel stattfinden. Noch besser wäre es aber, würden diese auch in 270 europäische Regionen getragen, um vor Ort die Menschen einzubinden und Schwellenängste zu nehmen. Keine leichte Übung, wenn ein Großteil der EU-Mitgliedstaaten diese Konferenz – so scheint es wenigstens bisher – nur mäßig schätzt, ja sträflich vernachlässigt.
Österreich ist in diesem Fall übrigens durchaus Vorreiter und Treiber der Debatte. Über 1000 EU-Gemeinderäte, zig engagierte Schulen und aktive Nichtregierungsorganisationen zeigen das Potenzial der Zukunftsdebatte auf. Es müsste nur gehoben werden. Die Zivilgesellschaft mobilisiert und versucht den vielen Ideen öffentlichen Raum zu geben. Diese sollten letztlich aber nicht nur in abstrakte Websites ohne direkte Rückmeldung und Interaktionsmöglichkeit eingespielt, sondern von der österreichischen Europapolitik vor allem ernst genommen werden und in ihre eigene Positionierung einfließen.
Auch das Europäische Parlament könnte sich überlegen, seine Warteposition zu verlassen und dem eigenen Anspruch als Bürgerkammer noch besser gerecht werden. Was hindert die 705 EU-Abgeordneten denn daran, selbst je zehn Bürgerdialoge zu organisieren, konkrete Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung der EU daraus abzuleiten und damit den Druck auf die Mitgliedstaaten zu erhöhen?
Und wäre es schließlich nicht auch angebracht, dass die EU-Kommissionspräsidentin selbst in den Ring steigt, beispielsweise in jedem der 27 EU-Mitgliedsländer mit dem Regierungschef, der Regierungschefin zumindest einen öffentlichen EU-Zukunftsdialog abhält und so der besonderen Bedeutung dieser Debatte sichtbaren Ausdruck verleiht?
Konkrete Antworten
Die Bevölkerung fordert zu Recht konkrete Antworten auf die aktuellen Herausforderungen, die EU-weit auch mitgetragen und gemeinsam umgesetzt werden. Dabei ist es den meisten wohl ziemlich egal, wer wofür zuständig ist. Um zu liefern, muss die Konferenz zur Zukunft Europas zu einer breit angelegten Bürgerdebatte über die Zukunft Europas transformiert werden, die hohen Wert auf demokratische Teilhabe und europäische Bewusstseinsbildung legt und dann rasche und spürbare Resultate bringt. Um erfolgreich zu sein, sollte endlich auch entschieden werden, wie die Union mit den Bremsern in den eigenen Reihen umzugehen gedenkt, deren Fouls an europäischen Werten und Rechtstaatlichkeit nicht ab-, sondern sukzessive zunehmen.
Nach den ersten Monaten ist die EU-Zukunftsdebatte noch nicht dort, wo sie sein sollte. Aber ähnlich einem Finale in der Champions League ist auch hier die zweite Halbzeit spielentscheidend. Mit mehr Zug zum Tor und europäischem Teamplay kommen wir auch hier letztlich zu einem klaren Ergebnis. Ein Unentschieden ist keine Option.
Paul Schmidt (geboren 1975) ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik. Zuvor war er für die Oesterreichische Nationalbank in Brüssel tätig.