Nach langer Durststrecke gibt es endlich wieder eine positivere Stimmung in Europa und damit ein Zeitfenster für dringend notwendige Reformen. Mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron ist auch spürbar mehr Wind in die Europadebatte gekommen. Macrons Vorschläge zur EU-Zukunft liegen – ebenso wie jene von Kommissionspräsident Juncker – auf dem Tisch und warten darauf, ernst genommen und diskutiert zu werden.
Die anderen EU-Partner, allen voran Deutschland, lassen jedoch auf sich warten. Dabei täten sie gut daran, sich in die von Paris aufgegriffene Debatte einzuklinken und den aktuellen Reformelan zu nutzen. Das gilt auch für Österreich.
Zukunftsorientiert
Mehr Subsidiarität sowie schlankere europäische Strukturen zu fordern, kann durchaus sinnvoll sein. Aber eine Zukunftsdebatte sollte sich nicht in einer dogmatischen Rückübertragung von Kompetenzen auf die nationale Ebene erschöpfen. Eine besser funktionierende Union könnte durchaus auch entschiedene Schritte für mehr gemeinsames Handeln vertragen. Und das betrifft nicht ausschließlich die weniger umstrittene Stärkung der EU in den Bereichen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik etwa durch Mehrheitsentscheidungen, einer europäischen Grenzpolizei oder eine verstärkte Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und gemeinsamer Beschaffung. Es bedarf zudem auch Entscheidungen zur weiteren Vertiefung der Eurozone – etwa hinsichtlich der Ausgestaltung eines gemeinsamen Euro-Budgets und –Finanzministers sowie Maßnahmen, um den teils beträchtlichen sozialen und wirtschaftlichen Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten effizienter zu begegnen. Faire Wettbewerbs- und Arbeitsbedingungen, sozialer Schutz, Arbeitsmarktzugang und Chancengleichheit sind grenzüberschreitende Fragen, die auf absehbarer Zeit auf der Tagesordnung bleiben werden. Ob diese zu einem europäischen Mindestlohn und einer europäische Arbeitslosenversicherung führen könnten, wie es etwa Macron vorschlägt, sollte bald geklärt und nicht verschoben werden.
Auch die Wahl eines EU-Präsidenten oder transnationale Listen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament gehören diskutiert. Ein verstärkter europäischer Schüleraustausch sowie EU-Universitäten, ebenfalls von Frankreich forciert, wären spannende nachhaltige Initiativen, die jedenfalls Unterstützung verdient hätten.
Der neugewählte französische Präsident galt vielen EU-Regierungschefs als Vorbild eines visionären Politikers. Jeder wollte gerne wie „Macron sein“. Diesem Wunsch sollten aber auch Taten folgen, und zwar in Form einer Zukunftsdebatte, die diesen Namen verdient. Die französischen Vorschläge brauchen Rückenwind, um sie – so es Mehrheiten gibt – letztlich umzusetzen. Wenn nicht, wird das Momentum für Reformen vergehen und der Ideenbringer Macron vielleicht bald wieder Geschichte sein.
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