Wenn das Wörtchen wenn nicht wär . . . (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Melanie Sully kritisierte am Mittwoch an dieser Stelle vermeintliche Zentralisierungswünsche des EU-Kommissionspräsidenten und schrieb, dass die Briten spätestens nach Jean-Claude Junckers Rede zur Lage der Union ein EU-Referendum verlangt hätten. Die Logik hinter dieser These scheint schwer ersichtlich. Hätten sich die Briten im Juni 2016 mehrheitlich für den Verbleib in der EU entschieden, wäre die Frage der EU-Mitgliedschaft zumindest für lange Zeit vom Tisch gewesen – und Juncker hätte höchstwahrscheinlich eine gänzlich andere Rede gehalten. Die mit Ex-Premier David Cameron geschlossene Vereinbarung wäre – mit Auswirkungen auf alle Mitgliedsländer – in Kraft getreten, Großbritannien hätte sich eine Vielzahl aktueller Probleme erspart und wäre imstande gewesen, die Integrationsrichtung mitzubestimmen, statt diese von der Seiten-Out-Linie zu kommentieren.

Der Brexit war – zu Recht – kein Schwerpunktthema der Rede Junckers. Ziel war es, die EU-Reformdebatte zu beschleunigen. Er sprach auch keine Drohung an die Briten aus, sondern betonte, dass der Brexit für beide Seiten bedauernswert sei, die Entscheidung aber selbstverständlich respektiert werde.

Juncker forderte eigentlich nur das Selbstverständliche und appellierte an die Einheit der Mitglieder, nachdem mit Großbritannien ein jahrzehntelanger EU-interner Bremser ausfällt: Wollen wir die Außengrenzen der gesamten EU schützen, braucht es rasche Reformen in Rumänien, Bulgarien und Kroatien, damit auch diese Teil des Schengenraums werden können. Einen Schengenbeitritt Irlands hat er aber mit keinem Wort erwähnt. Diese Frage ist eine innerirische Angelegenheit und steht auch nicht im Zusammenhang mit den aktuellen Migrationsbewegungen nach Europa. Darüber hinaus ist der Grund für aktuelle Grenzfragen zwischen Irland und Großbritannien doch die akute Brexit-Baustelle und nicht eine Rede Junckers. Die Tatsache, dass die irische Sonderreisefreiheit weit älter ist als die EU, legt den Schluss nahe, dass diese sehr wohl letztlich Vorrang genießen wird.

Auch zur Währungsunion sprechen die EU-Verträge eine klare Sprache: Mit Ausnahme Dänemarks und Großbritanniens haben sich alle EU-Länder selbst dazu verpflichtet, die Konvergenzkriterien zu erfüllen und den Euro einzuführen. Darauf verwies der Kommissionspräsident. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Die laut Sully “langwierigen Verhandlungen” haben, nachdem die Briten fast ein Jahr gebraucht haben, um den vielzitierten Artikel 50 auszulösen, gerade erst begonnen, und der fehlende Konsens ist derzeit eher auf beidseitige Verhandlungstaktik als auf eine “ineffiziente EU” zurückzuführen. Es stimmt: Reformwünsche an die EU gibt es auch in Österreich. Aber es scheint für uns zielführender, für diese innerhalb der EU einzutreten, als auf Nostalgie zu setzen. Die EU-Integration besteht nun einmal aus Kompromissen. Für ein gutes Ergebnis müssen sich alle Seiten aufeinander zu bewegen. Selbiges gilt für die Brexit-
Verhandlungen. Die Gegenwart und Zukunft – im Sinne beider Verhandlungsseiten – halbwegs konstruktiv zu gestalten, scheint schwer genug. “Was wäre wenn . . .” zu fragen, bringt uns hier nicht weiter.