Welche Zukunft haben neutrale und bündnisfreie Staaten in Europa? (Gastkommentar Oberösterreichische Nachrichten)

Der russische Angriff auf die Ukraine stellt die Europäische Union und ihre Nachbarn vor neue Tatsachen und ihre Sicherheitsarchitektur auf den Kopf.

Während die bündnisfreien Staaten Finnland und Schweden so schnell wie möglich den Zug Richtung NATO-Beitritt besteigen möchten, ringen andere Länder – wie Österreich, Irland, Zypern, Malta und auch die Schweiz – um eine Neuausrichtung. Auch die öffentliche Meinung in diesen Ländern unterscheidet sich diametral: In Finnland befürworten mittlerweile drei Viertel der Bevölkerung einen raschen NATO-Beitritt. Beim schwedischen Nachbarn spricht sich aktuell jede/r Zweite für eine Mitgliedschaft aus – Tendenz steigend. Im militärisch neutralen Irland ist die Ausgangslage weniger klar. 48 Prozent treten für einen Beitritt zum westlichen Verteidigungsbündnis ein, während 39 Prozent dagegenhalten. In Zypern sind wiederum 42 Prozent dafür und 45 Prozent dagegen. Und im neutralen Österreich kann, ebenso wie bei den Schweizer Eidgenossen und auch in Malta, eine klare Zweidrittelmehrheit einer NATO-Mitgliedschaft gar nichts abgewinnen.

Neutralität bedeutend

Fragt man nach der Bedeutung des jeweiligen sicherheitspolitischen Status, wird das Meinungsbild noch deutlicher. Neun von zehn Österreichern ist die Neutralität wichtig. Ähnlich ist das Bild in Malta, während auf der grünen Insel zwei von drei Befragten das nationale Neutralitätsmodell unterstützen. In der Schweiz meinen 65 Prozent, dass die immerwährende Neutralität sinnvoll ist, aber jeweils der aktuellen Situation angepasst bzw. aktiver gestaltet werden könnte. Lediglich zehn Prozent sehen sie als überholt an. Gleichzeitig liegt die Unterstützung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in diesen Ländern zwischen 75 Prozent in Zypern und 66 Prozent in Österreich. Teil dieser sicherheitspolitischen Zusammenarbeit ist übrigens auch eine EU-Beistandsklausel, die festhält, dass man sich im Falle eines Angriffs, im Einklang mit der UNO-Charta und unter Berücksichtigung des besonderen sicherheitspolitischen Charakters der Mitgliedstaaten, gegenseitig unterstützt. Ein Schutzschirm auch für Neutrale, die bei einem Bündnisfall verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen. Durch die aktuellen Ereignisse gewinnen diese Vereinbarungen akute Relevanz. Daher wäre für die neutralen Länder in Europa eigentlich jetzt der Zeitpunkt, ihre Rolle und ihren Beitrag zur europäischen Sicherheitsarchitektur neu zu definieren.