Was wollen wir Österreicher eigentlich von Europa? (Gastkommentar, Wiener Zeitung)

Es ist hoch an der Zeit, wieder vermehrt über Europa ins Gespräch zu kommen.

In den kommenden zwölf Monaten soll EU-weit unter breiter Bürgerbeteiligung über die Weiterentwicklung der Europäischen Union diskutiert werden. Ein guter Zeitpunkt, um abzufragen, was die Österreicher sich eigentlich von dieser nun beginnenden Konferenz zur Zukunft Europas erwarten.

Auch wenn diese Konferenz die europäische Welt nicht aus den Angeln heben wird können, ist es hoch an der Zeit, wieder vermehrt über Europa ins Gespräch zu kommen. Und, Corona-Pandemie hin oder her, die Ausgangslage dafür ist gar nicht schlecht. Immerhin halten in einer aktuellen Umfrage der Gesellschaft für Europapolitik mehr als vier von fünf Befragten die EU-Zukunftsdebatte für durchaus sinnvoll.

Und vor allem eines ist für die Österreicher klar: Die EU sollte nur aus Mitgliedern bestehen, die das Rechtsstaatlichkeitsprinzip vollends einhalten. Drei Viertel sprechen sich dafür aus und erteilen damit so manch gegenteiligen Entwicklungen eine Absage. Gerade in einer Zeit, in der sich die weltpolitischen Kräfteverhältnisse neu ordnen, soll die Europäische Union auch selbstbewusster und vor allem eigenständiger auf der Weltbühne auftreten, sagt eine große Mehrheit. Ebenso soll sie zum globalen Vorreiter für Nachhaltigkeit und Klimaschutz werden. Hierfür sind die gesetzlichen Weichen schon gestellt, und mit ihrem Binnenmarkt verfügt die EU über das nötige Gewicht.

Aber es gilt nun auch, die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu schließen. Die ambitionierten Zielsetzungen müssen umgesetzt werden – nicht weniger wird von der EU erwartet. Fortschritte werden schließlich auch bei der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik eingemahnt. Zu lange dreht man sich hier schon im europapolitischen Kreis.

Das aktuelle EU-Meinungsbild ist stark pandemiegeprägt. Das europäische Krisenmanagement erhält – ähnlich dem nationalen – keine sonderlich guten Noten. Dabei können beide Ebenen nur eng abgestimmt und gemeinsam erfolgreich sein. Inmitten einer besonders schwierigen Phase, in der Covid-Impfstoffe lange zugesagt, aber doch verzögert eingetroffen sind und die Kakophonie der unterschiedlichsten Stimmen überwiegt, wird die EU mehrheitlich als schwach und unsicher wahrgenommen – ein Stimmungsbild, das dynamisch ist und sich sehr wohl wieder ändern kann. So wird etwa die gemeinsame Beschaffung von Impfstoffen heute positiver beurteilt als noch im heurigen Februar.

Letztlich wird die EU nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten gemessen. So gesehen sollten die Zukunftsdebatte so ergebnisorientiert wie möglich organisiert und ihre Ergebnisse nicht verwässert werden. Es gibt also viel zu tun und jedenfalls einiges zu besprechen.

 

Paul Schmidt