Und täglich grüßt das Murmeltier (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Am Sonntag ist es wieder so weit. Kataloniens Regionalregierung will die nächste – aus ihrer Sicht legitime, aber vom spanischen Verfassungsgerichtshof wiederholt für illegal erklärte – Abstimmung über die Unabhängigkeit abhalten. Die Regierungskoalition in Barcelona ist dabei entschlossener denn je, die Eskalationsspirale dreht sich. Die explosive Mischung aus moderaten und radikalen Kräften, aus Pro- und Anti-Europäern sowie Anarchisten eint ausschließlich der Wunsch nach Selbstbestimmung.

Nicht allen geht es ausschließlich um das Wohl der Katalanen. Der Konflikt mit Madrid ist schon lange zur politischen Daseinsberechtigung geworden. Meinungsfreiheit und rechtsstaatliche Prinzipien werden in dieser aufgeheizten Stimmung beiseite geschoben, die Konsequenzen des eigenen Handelns wenig bis gar nicht hinterfragt.

Die Illusion und der Wunsch nach Unabhängigkeit überschatten alle anderen Probleme und Konfliktlinien. Dass neben Spanien etliche EU-Länder – schon aus purem Eigeninteresse – eine Abspaltung Kataloniens nie akzeptieren würden, wird wissentlich ignoriert. Ein international nicht anerkanntes Katalonien stünde auf lange Zeit außerhalb der internationalen Staatengemeinschaft und auch der EU. Ein EU-Beitrittsantrag würde nicht beantwortet werden. Kapitalflucht und ein massiver Wirtschaftseinbruch wären die Folge.

Und auch unter der sehr hypothetischen Annahme, dass ein unabhängiges Katalonien irgendwann EU-Mitglied werden sollte, würden sich seine Einflussmöglichkeiten letztlich eher verringern denn vergrößern. Sollte Katalonien einen Dominoeffekt auslösen und die EU irgendwann aus einer Vielzahl gleichberechtigter Kleinstaaten bestehen, müsste – schon um die europäische Handlungsfähigkeit zu gewährleisten – die Zentralisierung der EU-Integration weiter voranschreiten. Ein solches Europa der Regionen kann man wollen. Es entspricht allerdings nicht der geforderten katalanischen Selbstbestimmung – die doch eher dem nationalstaatlichen Model des 20. Jahrhunderts gleicht. Und ein Ende der in Katalonien kritisierten Transferleistungen für ärmere – derzeit spanische – Regionen würde damit ebenso wenig realisiert.

Aber auch die spanische Zentralregierung hat ihren Anteil an der Zuspitzung der Situation. Sie hat es nicht verstanden, die gemäßigte politische Mitte in Katalonien stärker zu unterstützen und damit die Lage zu beruhigen. Statt Brücken zu bauen, wurde der Begriff der katalanischen Nation aus dem Vorwort des Autonomiestatuts wieder gestrichen und die katalanische Sprache zurückgedrängt.

Dabei sollte gerade auf emotional besetzte Symbolik wie Sprache, Sport und Begrifflichkeiten besonders Rücksicht genommen werden. Die Schweiz oder Kanada wären dafür gute Best-Practice-Beispiele. Zu deeskalieren, die Möglichkeit zu geben die regionalen Zuständigkeiten neu zu ordnen beziehungsweise die Vielfalt Spaniens in den Vordergrund zu stellen, wäre dringend notwendig. Denn letztlich wird auch diese Verfassungskrise Spaniens – wahrscheinlich die größte seit dem gescheiterten Staatsstreich 1981 – nur mit Dialog- und Kompromissbereitschaft gelöst werden können.