Mit der morgigen Rede von EU-Kommissionspräsident Juncker zur Lage der Europäischen Union sollte auch die Diskussion über die Zukunft der EU wieder an Fahrt aufnehmen. Eine Mehrheit der ÖsterreicherInnen wünscht sich eine effizientere Union, gleichzeitig eine stärkere Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten und eine pro-aktive Rolle unseres Landes. Das zeigt eine aktuelle österreichweite Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE), die Ende Juli/ Anfang August 2018 durchgeführt wurde.
Generell halten es insgesamt sieben von zehn Befragten für eine „sehr gute“ (37 Prozent) bzw. „eher gute“ (33 Prozent) Option, wenn die Mitgliedstaaten der EU ihre Zusammenarbeit in allen Politikbereichen vertiefen. Ein knappes Viertel (24 Prozent) spricht sich „eher“ (18 Prozent) bzw. „sehr“ (6 Prozent) gegen eine solche Intensivierung der Kooperation der (künftigen) EU-27 aus (Rest auf 100 Prozent = „weiß nicht/Keine Angabe“). Gegenüber einer ÖGfE-Vergleichsumfrage vom Juli 2017 hat sich die Einstellung der Befragten in dieser Frage praktisch nicht geändert.
Gleichzeitig wünschen sich acht von zehn Befragten, dass sich die EU auf ausgewählte Politikbereiche konzentrieren und andere Bereiche den Mitgliedstaaten überlassen sollte – 34 Prozent halten dies für eine „sehr gute“ und 46 Prozent für eine „eher gute“ Option. Weniger als ein Fünftel steht dem Szenario „Weniger, aber effizienter“ skeptisch gegenüber und bezeichnet es als „eher schlechte“ (15 Prozent) bzw. „sehr schlechte“ (2 Prozent) Option für die Zukunft der Union. Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl jener, die sich eine „zurückhaltendere“ EU wünschen, um 11 Prozentpunkte angestiegen.
Drei von vier Befragten (76 Prozent) sprechen sich zudem dafür aus, dass jene Mitgliedstaaten, die in bestimmten Bereichen stärker zusammenarbeiten möchten, dies auch tun dürfen – 32 Prozent halten dies für eine „sehr gute“ Option für die Zukunft der EU, 44 Prozent für eine „eher gute“. Ein Fünftel hält das Szenario „Wer mehr will, tut mehr“ hingegen nicht förderlich für die weitere Entwicklung der EU und sieht es zu 18 Prozent als „eher schlechte“ und zu 2 Prozent als „sehr schlechte“ Option. Die Befürwortung eines solchen unterschiedlichen Integrationstempos ist allerdings im Lauf des vergangenen Jahres um 9 Prozentpunkte zurückgegangen.
Stellung Österreichs
Im Fall, dass sich eine Gruppe von Ländern entschließen würde, innerhalb der EU stärker zusammenzuarbeiten, treten 60 Prozent der Befragten dafür ein, dass unser Land Teil einer solchen Gruppe sein sollte. 20 Prozent sprechen sich gegen diese Option aus, ein ebenso hoher Prozentsatz kann oder möchte zu dieser Frage nicht Stellung beziehen.
Die Österreicher treten deutlicher als im vergangenen Jahr für eine schlanke EU ein, die den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielraum lässt. Dies bedeutet aber nicht, dass sie weniger Kooperation auf EU-Ebene wünschen. Im Gegenteil: Angesichts der globalen Herausforderungen ist die Sinnhaftigkeit einer engeren Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten weitgehend unumstritten.
Wer hat das beste Zukunftskonzept für Europa?
Stellt man die ÖsterreicherInnen vor die Wahl, welches Zukunftskonzept europäischer Regierungschefs am ehesten ihren persönlichen Vorstellungen entspricht, so entscheiden sich 35 Prozent der Befragten für jenes der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, 25 Prozent für den Weg Emmanuel Macrons und 9 Prozent für ein Europa im Sinne des ungarischen Premiers Viktor Orbán. Fast ein Drittel der Befragten (31 Prozent) sieht sich jedoch nicht in der Lage, sich für eine/n der drei vorgeschlagenen Namen zu entscheiden.
Wenn es um die Zukunft der Europäischen Union geht, sind die Österreicher im Zweifelsfall mehrheitlich Pragmatiker. Sie wünschen sich engere Kooperation in Europa, wobei die Mitgliedstaaten das Heft des Handelns in der Hand haben. Betreffend ein konkretes Zukunftsmodell für die EU, sind viele Österreicher allerdings in ihrer Entscheidung noch unschlüssig. Das Pendel könnte daher im Zuge einer verstärkten Europa-Diskussion in die eine oder andere Richtung ausschlagen und nicht zuletzt das Ergebnis der Europawahlen im kommenden Mai entscheidend beeinflussen.
Paul Schmidt
Die Umfrage wurde von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft vom 25. Juli bis 8. August 2018 im Auftrag der ÖGfE durchgeführt (Tel SWS 277). Befragt wurden österreichweit 510 Personen per Telefon repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ab 16 Jahre/Gewichtung nach Geschlecht, Alter und Bildung. Maximale Schwankungsbreite ca. +/- 4,34 Prozent. Rest auf 100 Prozent = „weiß nicht/Keine Angabe“.