Mit 31. Jänner tritt Großbritannien aus der Europäischen Union aus. Noch bleibt fast alles beim Alten. Zumindest in der Übergangsphase bis Ende des Jahres ist das Land Teil der Zollunion und des Binnenmarktes, nimmt aber nicht mehr an EU-Treffen teil. In diesen elf Monaten soll eine umfassende Handelsvereinbarung die neue Zusammenarbeit in Bereichen wie Dienstleistungen, Fischerei, Klimaschutz, Energiepolitik, Verkehr, Weltraum sowie Sicherheit und Verteidigung regeln.
Die Ambition ist verständlich, in so kurzer Zeit jedoch schwer realisierbar. Die Übergangsphase könnte somit letztlich länger dauern als geplant. Denn bis zum Sommer ist eine Neuregelung der Zukunftsbeziehungen nicht fertig verhandelbar, auch wenn dies der britische Premierminister Boris Johnson so darzustellen versucht, und auch die Ratifizierung – denken wir nur an das Ceta-Abkommen der EU mit Kanada – wird voraussichtlich etliche Monate, wenn nicht Jahre in Anspruch nehmen. Wird einer weiteren Verlängerung jedoch die Zustimmung verweigert, ist auch ein ungeregelter britischer EU-Austritt noch immer nicht vom Tisch. Zumindest aber sind der ausständige Finanzbeitrag aus London, die Regelung des Status von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich beziehungsweise Briten in der EU und die irische Grenzfrage im Austrittsabkommen vorsorglich festgeschrieben.
Viel wahrscheinlicher scheint es folglich, dass in einer ersten Runde ein Grundsatzabkommen abgeschlossen wird, das womöglich die außenpolitische Zusammenarbeit regelt, die Kooperation bei sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen festhält und zumindest die Bereitschaft bekundet, Wettbewerbsverzerrungen bei Sozial- und Umweltstandards, bei staatlichen Beihilfen und im Steuerbereich vermeiden zu wollen.
Eine Zusammenarbeit auf Niveau einer EU-Mitgliedschaft bleibt auf diesem Weg jedenfalls unerreichbar, und ein Freundschaftsbeweis für alle Ewigkeit werden die nächsten Verhandlungen auch nicht sein können. Zu ungleich verteilt die Realität die Rollen der beiden Verhandlungspartner. Geht man alleine von der Bevölkerungsgröße aus, so stehen 60 Millionen Briten rund 440 Millionen Europäer gegenüber. Alleine der ungestörte Marktzugang ist für Großbritannien wesentlich bedeutender als für die EU-27. Denn 9 Prozent des EU-Handels werden dem Vereinigten Königreich betrieben, während ganze 43 Prozent der britischen Exporte in die EU-27 verkauft und 50 Prozent der Importe aus den EU-27 bezogen werden. Die britische Regierung wird sich schwertun, etwa kontinentaleuropäischen Fischerflotten den Fischfang in ihren Gewässern gänzlich zu verbieten, wenn ein Großteil des britischen Fanges weiterhin in die EU-27 geliefert werden soll.
Rosinenpicken wird ein Riegel vorgeschoben, Verhältnismäßigkeit, Reziprozität und die Unteilbarkeit der vier Grundfreiheiten werden in den Verhandlungen der EU als Grundprinzipien zugrunde liegen. Gelingt es den EU-27 auch weiterhin, mit einer Stimme zu sprechen, wird es der britischen Regierung gar nicht leichtfallen, die Quadratur des Kreises tatsächlich zu schließen. Ein Lackmustest für die Versprechungen aller Freunde des Brexits. Ernüchterung ist programmiert.