Die Herausforderungen für das Vereinigte Königreich sind zutiefst europäische Fragen. Sie können also auch nur in der Union der Europäer angegangen werden. Europafeindliche Töne bringen niemanden weiter – weder in Bildungsfragen noch bei der Migration.
Wenn Großbritannien am 7. Mai wählt, geht es letztlich auch um seinen Platz in Europa. Die Frage eines “In/Out”-Referendums in den nächsten zwei Jahren ist das Damoklesschwert Londons. Premierminister Cameron hat sich mit seinem Referendumsversprechen und europakritischer Rhetorik weit aus dem Fenster gelehnt. Er hat damit die Commonwealth-Nostalgiker und EU-Austrittsbefürworter rund um den Ukip-Vorsitzenden Nigel Farage salonfähig gemacht. Die Hoffnung auf Popularitätszugewinne durch Sündenbockdeklarationen in Richtung Europa führte jedoch auch zu massiven Einbußen an europäischem Einfluss. Bei seinen Amtskollegen auf europäischer Bühne sorgen der Wunsch nach Neuverhandlung der britischen EU-Mitgliedschaft und die geplante Abstimmung für Kopfschütteln. Zudem könnte ein britischer EU-Austritt auch regionalen Unabhängigkeitsbestrebungen neuen Auftrieb verleihen.
EU-Bashing soll auch hier helfen, zumindest kurzfristig, von den immer geringeren geopolitischen Spielräumen des Landes abzulenken. Dabei sind viele der britischen Herausforderungen zutiefst europäische Fragen. Strategien für Wachstum und Beschäftigung sind im Wahlkampf auf der Insel die zentralen Themen. Die Debatte um den Umgang mit Einwanderung und die Finanzierung bzw. den Zugang zum britischen Bildungs- und Sozialsystem ist voll entbrannt. Die Versuchung ist groß, viele sozial- und wirtschaftspolitische Schwierigkeiten mit Immigrationsfragen zu verknüpfen. Die Fakten sprechen jedoch auch in Großbritannien eine ganz andere Sprache.
Zwar stiegen laut OECD insbesondere in den Jahren nach der EU-Osterweiterung die Einwanderungszahlen rasant, und das Land verzeichnet weiterhin, nach Deutschland, die zweitmeisten Zuzüge, von einer Ausnutzung des Sozialsystems seitens der Zuwanderer kann jedoch keine Rede sein. Im Gegenteil: Im Jahr 2013 machten die 4,9 Millionen ausländischen Staatsbürger, also 7,9 Prozent der Bevölkerung, neun Prozent der Arbeitskräfte aus. Mehr als ein Drittel von ihnen war hochqualifiziert. Die Einwanderer zahlen auch im Vereinigten Königreich weit mehr in das Sozialsystem ein, als sie von diesem an Leistung erhalten, während die Nettosteuerleistung der britisch geborenen Einwohner negativ ist.
Die Personenfreizügigkeit in Europa abändern zu wollen ist eine politische Nebelgranate. Brüssel als abzuwickelnden Konkursfall darzustellen, bringt nicht weiter. Großbritannien sollte vielmehr konstruktive Kritik üben und die europäische Integration positiv beeinflussen, indem es seine Erfahrung in europäischen Gremien aktiv einbringt. Wahlkampfzeiten haben ihre eigene Logik. Würden jedoch alle EU-Mitglieder ausschließlich die Rosinen im Integrationskuchen suchen, wäre die Union schnell am Ende. Die EU ist ein Kompromiss; auch zum Vorteil Londons. Splendid Isolation ist im globalisierten 21. Jahrhundert wohl nicht viel mehr als ein illusorischer Traum.