Von Martin Selmayr und Paul Schmidt
Europa als wirtschaftlicher Riese, aber als außenpolitischer Zwerg? Lange musste sich die EU mit dieser wenig schmeichelhaften Zuschreibung arrangieren. Diese Zeiten sind jedoch vorbei. Der russische Angriff gegen die Ukraine ist ein Weckruf für Europa. In einer Art Intensivkurs erlernt es die Sprache der Macht. Infolge von Putins Krieg werden die geopolitischen Karten neu gemischt. Das zeigt aktuell der Gipfel der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). Will Europa verhindern, dass autoritäre Mächte die globale Bühne dominieren und das Recht des Stärkeren regiert, muss es die Samthandschuhe ablegen und sein Modell, das auf das der Stärke des Rechts basiert, verteidigen. Dabei gilt es keine Zeit zu verlieren.
Klar ist: Nur ein geeintes Europa kann auf der globalen Bühne eine signifikante Rolle spielen. Auf sich alleine gestellt, bleibt den meisten EU-Staaten nur die Statistenrolle. Im Vorfeld der Europawahl im Juni 2024 ist es verlockend, aus jeder sich bietenden Gelegenheit politisches Kleingeld zu schlagen. Aber der Zeitpunkt dafür könnte nicht schlechter sein. Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der zunehmenden Unsicherheit in vielen Teilen der Welt – die Entwicklungen in der Sahelzone sind das jüngste Beispiel – muss Europa jetzt zusammenstehen, eine kluge Außenpolitik betreiben und gemeinsame Antworten auf die globalen Herausforderungen geben. Sonst hat es in ein paar Monaten schlechte Karten.