Neue Quellen für EU-Eigenmittel (Gastkommentar Wiener Zeitung)

Ein europäischer Haushalt für europäische Ziele.

Die jahrzehntealte Debatte über die Reform des Eigenmittelsystems der EU hat jüngst neue Impulse bekommen. So haben sich einige neue genuine potenzielle Eigenmittelquellen der EU herausgebildet, wie etwa Einnahmen aus dem Emissionshandel oder einem künftigen CO2-Grenzausgleich. Zudem wird nach Möglichkeiten gesucht, wie alle europäischen Politikbereiche – und damit auch das Finanzierungssystem der EU – stärker zu den steigenden Herausforderungen auf EU-Ebene beitragen können. Und neue Eigenmittel stellen sich auch gegenüber der Erhöhung von nationalen Beiträgen oder der Kürzung von Ausgaben im EU-Budget als gute Alternative zur gemeinsamen Finanzierung des Ende 2020 beschlossenen europäischen Aufbaupakets “NextGenerationEU”, das die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abfedern und die ökologische und digitale Transformation unterstützen soll, dar.

Den Großteil der EU-Einnahmen machen derzeit auf dem Bruttonationaleinkommen (BNE) basierende Eigenmittel aus, hinzu kommen mehrwertsteuerbasierte sowie traditionelle Eigenmittel, etwa Zölle und Agrarabgaben. Dieses Finanzierungssystem stellt stabile und verlässliche Einnahmen sicher, resultiert grundsätzlich in einer fairen Lastenverteilung und überlässt es den Mitgliedstaaten im Sinne des Subsidiaritätsprinzips, aus welchen Quellen sie ihre nationalen EU-Beiträge finanzieren.

Allerdings ist es auch mit schwerwiegenden Nachteilen verbunden. Aufgrund des langfristigen Bedeutungsverlustes der traditionellen Eigenmittel finanziert sich die EU inzwischen primär aus nationalen Beiträgen der Mitgliedsländer, also aus den BNE- und den mehrwertsteuerbasierten Eigenmitteln. Dies geht mit einer stetig abnehmenden und inzwischen sehr geringen finanziellen Autonomie der EU einher. Zudem wird mit der Dominanz der nationalen Beiträge eine Fokussierung der Mitgliedsländer auf ihre Nettopositionen – also den Unterschied zwischen Einzahlungen ins EU-Budget und Transfers daraus – und damit auf ihre vermeintlichen nationalen Interessen gefördert, was Ausgaben mit echtem europäischen Mehrwert in den Hintergrund treten lässt. Vor allem aber leistet das Eigenmittelsystem keinerlei Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung sowie zur Resilienz der EU.

Reduktion der nationalen Beiträge

Dies ist der Hintergrund langjähriger Vorschläge von EU-Kommission und EU-Parlament, einen Teil der nationalen Beiträge durch innovativere Eigenmittel zu ersetzen. Die Reduktion der nationalen Beiträge wiederum würde es den Mitgliedstaaten ermöglichen, im Rahmen einer supranationalen Abgabenstrukturreform weniger nachhaltigkeitsorientierte Steuern, vor allem die hohen Abgaben auf den Faktor Arbeit, zu senken. Neue Eigenmittelquellen könnten auch zusätzliche Ausgaben – etwa den gemeinsamen Schuldendienst – der EU finanzieren, zur Überwindung des Nettopositionsdenkens beitragen und die Unabhängigkeit des EU-Budgets erhöhen.

Besonders geeignete Kandidaten dafür sind Einnahmen, die eng mit der EU-Politik zusammenhängen, oder Abgaben, die auf nationaler Ebene durch Steuerwettbewerb und -vermeidung sowie grenzüberschreitende negative externe Effekten – etwa klimaschädliche Wirkungen von CO2-Emissionen – nicht effektiv umgesetzt werden können und zu europäischen Strategien beitragen: Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft oder faire Besteuerung international tätiger Unternehmen.

Die Einigung auf den europäischen Aufbauplan bedeutet einen großen Schritt vorwärts, da sie mit einem rechtlich verbindlichen Fahrplan für die schrittweise Einführung neuer Eigenmittel einhergeht. Demnach ergänzt zunächst ein plastikbasiertes Eigenmittel, dessen Einnahmen auf Basis nicht recycelter Kunststoffverpackungsabfälle der EU-Staaten ermittelt werden, die bestehenden Eigenmittel zur Finanzierung des EU-Budgets. Zudem sollen zur Rückzahlung der für “NextGenerationEU” aufgenommenen EU-Schulden während des aktuellen mehrjährigen Finanzrahmens weitere neue Eigenmittel eingeführt werden.

Über konkrete Vorschläge der EU-Kommission für Eigenmittel, die auf einem CO2-Grenzausgleich sowie einem überarbeiteten und eventuell auf Schiff- und Luftfahrt erweiterten EU-Emissionshandelssystem beruhen, sowie für eine Digitalsteuer, auf deren Einführung auch die OECD hinarbeitet, soll der Europäische Rat bis Mitte des Jahres in Hinblick auf ihre Einführung ab 2023 beraten. Bis Juni 2024 soll die EU-Kommission einen Vorschlag für weitere neue Eigenmittel erarbeiten, die sich auf Finanztransaktionen, den Unternehmenssektor oder eine neue harmonisierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage beziehen könnten. Über ihre Implementierung soll bis Mitte 2025 beraten werden, ihre Einführung wird ab 2026 angestrebt.

Dieses Bekenntnis der EU-Staaten zur Einführung innovativer Eigenmittel, die auch zu wichtigen Zielen der EU, etwa im Klimaschutz, beitragen können, ist nach Jahrzehnten erfolgloser Bemühungen ein bedeutender Fortschritt. Ebenso, dass ein Korb an mehreren neuen Eigenmitteln mit unterschiedlichen Lenkungseffekten, die mehrere Aspekte einer nachhaltigen und resilienten EU unterstützen können, implementiert werden soll.

Dauerhafte Finanzierung des EU-Budgets

Weitere Schritte sollten allerdings folgen. Erstens ist die Finanzierung des regulären EU-Budgets derzeit nur wenig betroffen: Das neue plastikbasierte Eigenmittel wird dazu nur 4 Prozent beitragen. Die in den nächsten Jahren schrittweise einzuführenden neuen Eigenmittel sind primär für den “NextGenerationEU”-Schuldendienst vorgesehen. Es wäre sinnvoll, darüber hinausgehende Einnahmen dauerhaft zur Finanzierung des EU-Budgets zu nutzen und damit nationale Beiträge zu substituieren. Zweitens wäre mehr Ehrgeiz bei der zeitlichen Umsetzung des Fahrplans angebracht. Und drittens sollten im Sinne der verschärften EU-Klimaziele weitere, vor allem “grüne” Eigenmitteloptionen ausgeschöpft werden, etwa Flugverkehrssteuern oder ein Zuschlag auf nationale Treibstoffsteuern. Die EU-Kommission sollte als Grundlage für die Verhandlungen über die nächste mehrjährige Finanzperiode ab 2027 einen konkreten Vorschlag erarbeiten, wie ein substanzieller Teil der BNE-basierten Eigenmittel dauerhaft durch solche nachhaltigkeitsorientierten innovativen Finanzierungsquellen ersetzt werden kann.

Margit Schratzenstaller (WIFO)

Die “Konferenz zur Zukunft Europas” soll die Weichen für die weitere Entwicklung der EU stellen und einen nachhaltigen Reformprozess einleiten. Die Herausforderungen sind groß: Nach dem Brexit muss die EU die Corona-Pandemie samt gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen bewältigen, sich der Klimaherausforderung stellen und ihre Stellung in der Welt behaupten. In Zeiten globaler Umbrüche und Angriffe auf das liberale Demokratiemodell muss sie zu ihren Werten und Grundsätzen stehen und die Demokratie auf europäischer Ebene weiterentwickeln. In einer Sonderserie zur EU-Zukunftsdebatte veröffentlicht die “Wiener Zeitung” in unregelmäßiger Folge Beiträge namhafter Fachleute und Meinungsbildner. Die einzelnen Texte sind dem Buch “30 Ideen für Europa” entnommen, das die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) im Herbst 2021 im Czernin-Verlag herausgegeben hat.