Das Aufatmen in den meisten europäischen Hauptstädten war deutlich zu spüren. Die Zustimmung zur EU ist seit der Brexit-Abstimmung und der Trump-Wahl stark gestiegen, weitere EU-Austritte sind kein Thema. Dennoch: eine nachhaltige Trendumkehr der EU-Stimmung ist das noch nicht. Proeuropäer konnten zwar nationale Wahlen gewinnen, aber auch nationalistische Parteien haben ihre Wahlergebnisse verbessert.
Die Beweggründe dafür haben sich nur teilweise geändert: Die Herausforderungen von Migration und Integration, Terroranschläge, eine sich erst langsam abzeichnende wirtschaftliche Erholung bzw. die sich zuspitzende Verteilungsfrage wirken nach. Nachhaltiges Vertrauen in die Handlungsfähigkeit europäischer und nationaler Politik muss sich wieder verdient werden. Identitäts- und Abstiegsängste sind nicht einfach wegzureden und das Ringen des EU-Kommissionspräsidenten Juncker um Zusammenhalt bringt zumindest Bewegung in die Debatte. Europäische Werte und Demokratieverständnis werden in Warschau oder Budapest allerdings anders ausgelegt als in Paris oder Berlin. So wird auch die Frage nach der Weiterentwicklung der EU je nach Standort unterschiedlich beantwortet.
Der Mangel an gegenseitigem Verständnis ist mit ein Grund für die Hochkonjunktur nationalistischer Parteien. In Ungarn und Polen sind sie an der Regierungsspitze, in Finnland, Lettland, Griechenland, der Slowakei und Bulgarien fungieren sie als Juniorpartner, in Dänemark wird eine Minderheitsregierung unterstützt. Ihr Einfluss ist zudem ungemein stärker, als die tatsächlichen Regierungskonstellationen vermuten lassen. Die Stimmengewinne rechtspopulistischer Kandidaten etwa in Österreich, Frankreich und den Niederlanden zeigen die Polarisierung zwischen pro- und anti-europäischen Parteien und auch in Opposition gelingt die Beeinflussung nationaler und damit auch gesamteuropäischer Richtungsdebatten. Die EU-Positionen etlicher Regierungsparteien wurden angepasst, EU-skeptische Haltungen und national-konservative Ansichten zunehmend übernommen. Renationalisierungswünsche, fehlende Solidarität und 27 unterschiedliche Migrations- und Integrationsdebatten geben Zeugnis davon.
Konstruktive Agenda
Zwar bleibt der Sprung ganz nach oben den EU-Skeptikern bislang verwehrt, aber ihre Forderungen fallen gerade in unsicheren Zeiten – auch hierzulande – auf fruchtbaren Boden. Im aktuellen Wahlkampf stehen Grenz- und Sicherheitsthemen im Vordergrund, die Verlagerung von Kompetenzen auf die nationale Ebene gilt als Allheilmittel und im Migrationsbereich wird gerne viel gefordert, aber wenig beigetragen. Was dabei allerdings fehlt, ist die eigene konstruktive Agenda. Der Anspruch, Europa auch mitzugestalten und verbessern zu wollen, bedingt klar definierte europäische Prioritäten. Dafür braucht es jedoch auch hierzulande eine tiefergehende Debatte mit konkreten Lösungsvorschlägen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung, die – derzeit zumindest – zu kurz kommt.
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