Kein Europatag wie jeder andere (Gastkommentar Wiener Zeitung)

Am 24. Februar ist Europa in einer gänzlich neuen Realität aufgewacht.

Seit 1950 hat der 9. Mai eine ganz besondere Bedeutung für das Nachkriegseuropa. An diesem Tag schlug der französische Außenminister Robert Schuman die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vor, um nach dem furchtbaren Leid des Zweiten Weltkrieges weitere Kriege für alle Zeiten “nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich” zu machen.

Heute jährt sich Schumans Erklärung zum mittlerweile 72. Mal. Heute wird es jedoch keinen Europatag wie in vielen Jahren zuvor geben. Am 24. Februar ist Europa in einer gänzlich neuen Realität aufgewacht. Der russische Angriff der Ukraine hat den Krieg zurück an unsere Grenzen gebracht und damit die europäische Friedensdividende beendet. Er lässt keinen Stein auf dem anderen und hat Europa in nur wenigen Wochen nachhaltig verändert.

Heute geht auch die Konferenz zur Zukunft Europas zu Ende. Ihr Beginn stand unter gänzlich anderen Vorzeichen als ihr Finale. Nach der tragischen Brexit-Abstimmung in Großbritannien wollten die EU und ihre Mitgliedstaaten – auf dem EU-Gipfeltreffen in Bratislava – die Kommunikation zu den Bürgern verbessern, ihre Erwartungen stärker in den Mittelpunkt stellen und die Vision einer attraktiven EU, der sie vertrauen und die sie unterstützen können, aufzeigen. Die großen Herausforderungen lagen damals insbesondere im Asyl- und Migrationsbereich, in der Terrorismusgefahr und im wirtschaftlichen und sozialen Unsicherheit.

Nach den EU-Wahlen 2019 scheiterte darüber hinaus das EU-Spitzenkandidatensystem, als sich die EU-Staats- und Regierungschefs sowie die EU-Abgeordneten weder auf Manfred Weber noch auf Frans Timmermans oder Margrete Vestager als Kommissionspräsidentin oder -präsidenten einigen konnten. In der Folge versprach Ursula von der Leyen – damalige Kompromisskandidatin und designierte EU-Kommissionspräsidentin – dem EU-Parlament im Herbst 2019 ihre Unterstützung bei der Einberufung einer Konferenz zur Zukunft Europas. Sowohl der Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020 als auch der Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 stellten diese Konferenz allerdings auf den Kopf und schafften gänzlich neue Tatsachen. Der Konferenzbeginn musste Corona-bedingt auf den 9. Mai 2021 verschoben werden. In nur zwölf Monaten wurden in ganz Europa Ideen und Anregungen gesammelt, um die krisengebeutelte Union besser zu machen. Das Ergebnis sind letztlich 49 Vorschläge, von denen es einige schon gibt – etwa Mobiltätsprogramme für Lehrlinge -, andere vom europapolitischen Willen abhängen – etwa das Ende der Einstimmigkeit in Bereichen wie Sicherheits- , Außen- oder Steuerpolitik – oder aber Vertragsänderungen bedeuten würden – wie bei Fragen von Kompetenzverschiebungen etwa im Gesundheitsbereich.

Die Konferenz zur Zukunft Europas geht damit heute zu Ende, aber die Zukunftsdebatte, die geht weiter. Um die Umsetzung der Vorschläge wird ordentlich gefeilscht und gerungen werden. Dafür wird es europapolitischen Willen, Solidarität und insbesondere eine große Portion an Vertrauen und Weitblick brauchen. Aber gerade jetzt gilt es das Friedensprojekt Europa wieder stärker denn je zu machen! Denn wie es schon Robert Schuman vor 72 Jahren formulierte: “Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.”