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Je suis européen! (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Kurzfristige Ankündigungspolitik ist populär, aber Sicherheit lässt sich nur bedingt kaufen. Ohne aktivere Nahostpolitik und einen Integrationsplan für urbane Ghettos werden die Probleme nicht gelöst.

Nach dem mörderischen Angriff auf die Redaktion der Satirezeitschrift “Charlie Hebdo” und den gezielten Morden an Juden in Paris sind Unsicherheit und Ängste in weiten Teilen der Bevölkerung rasant gewachsen. Ebenso aber auch die Gefahr eines Generalverdachts gegenüber europäischen Muslimen. Europäische Werte wie Demokratie und Toleranz, Meinungs- und Pressefreiheit stehen auf dem Prüfstand. Sie müssen gerade jetzt besonders betont und der gesellschaftliche Dialog darüber ausgebaut werden.

Europaweit wird derzeit fieberhaft nach den richtigen Antworten auf die dramatischen Ereignisse in Frankreich gesucht. Unbestritten braucht es besser ausgestattete Auslandsgeheimdienste und Terrorabwehr sowie eine effizientere Grenzüberwachung. Aber braucht es auch einen neuen Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung, die sofortige Schließung vermeintlicher Dialogzentren oder eine Militarisierung der Polizei und neue Hubschrauber? Und reicht die Geheimdienstarbeit letztlich aus, um der Bedrohung durch tausende EU-Bürger, die in Syrien und im Irak gekämpft haben, nachhaltig zu begegnen?

Kurzfristige Ankündigungspolitik ist populär, aber Sicherheit lässt sich eben nur bedingt kaufen. Die akute Symptombekämpfung und manche Schnellschüsse werden die Problemlage nicht nachhaltig verbessern. Die aktuelle Krise führt immerhin dazu, dass Europa noch enger zusammenrückt. Die unmittelbare Terrorbedrohung sollte auch zu einem Integrationssprung in Richtung einer gemeinsamen europäischen Nahostpolitik führen, die diesen Namen verdient. Europa muss das aktuelle Drohpotenzial nutzen, um einen wirtschafts- und außenpolitischen Aktionsplan für den Nahen Osten umzusetzen und die Zusammenarbeit mit den konstruktiven politischen Kräften vor Ort zu intensivieren. Ziel muss es sein, zur nachhaltigen Befriedung der Auseinandersetzungen beizutragen, Terrornetzwerke zurückzudrängen und politische Reformen aktiver als bisher zu fördern.

Europa braucht ebenso dringend einen Integrationsplan für die urbanen Ghettos zu Hause. Die politische Notwendigkeit einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik sollte jetzt endlich erkannt werden, es braucht europaweite Programme zur Integration und Förderung der Einwanderer und ihrer Kinder. Dies schließt insbesondere auch den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit mit ein, denn es sind gerade die Kinder von Migranten, die in Krisenzeiten noch stärker als sonst von Perspektivenlosigkeit und Diskriminierung betroffen sind.

Schließlich braucht das kulturell und religiös so vielfältige Europa jetzt vor allem Vernunft, Solidarität und Zivilcourage, um einem zunehmenden Alltagsrassismus entschiedener entgegenzutreten. Die Herausforderungen, die aus den Terroranschlägen in Paris folgen, sind für alle EU-Länder die gleichen. Daher können auch die Antworten darauf letztlich nur gemeinsam wirksam formuliert werden.