Im Wahlkampf schimpft es sich gut auf die EU (Gastkommentar Die Presse)

Der Anti-EU-Zug nimmt im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf wieder Fahrt auf und feiert fröhliche Urstände.

Das hatten wir doch schon einmal. Auch die aktuelle Bundespräsidentschaftswahl wird von so manchem Kandidaten dazu genutzt, die EU einer Fundamentalkritik zu unterziehen und einem EU-Austritt das Wort zu reden. Verklausuliert, versteht sich. Denn der Grundstock von 20 Prozent an Austrittswilligen soll angesprochen, aber die 70 Prozent der EU-Befürworter dabei lieber nicht vergrämt werden.

Schon 2016 wollte Norbert Hofer – sollte sich theoretisch die Frage eines EU-Beitritts wieder stellen – nicht für eine Mitgliedschaft stimmen. Die FPÖ brachte damals eine Volksbefragung darüber ins Spiel. Heute nimmt der Anti-EU-Zug wieder an Fahrt auf und feiert fröhliche Urstände. Walter Rosenkranz plädiert für ein Ausscheiden, wenn der angebliche Schaden für Österreich größer als der Nutzen ist. Gerald Grosz tritt gar für eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft ein, Michael Brunner sucht sein Ausstiegsszenario und Tassilo Wallentin äußert schon mal scharfe Kritik, während Heinrich Staudinger ursprünglicheWerte vermisst. Als Einziger der Herausforderer nimmt Dominik Wlazny eine europafreundliche Position ein. Amtsinhaber Alexander Van der Bellen wiederum steht für europäische Solidarität und sieht den Zusammenhalt in Krisenzeiten als große Stärke.

Auch im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf taucht somit eine Frage auf, die das heimische Meinungsbild klar beantwortet. Bei allen Aufs und Abs bleibt die Unterstützung der EU-Mitgliedschaft hierzulande seit 1995 stabil. Mit der EU als Prellbock politisches Kleingeld zu wechseln scheint zwar gelebte Praxis zu sein: vermeintliche Fremdbestimmung, Bürokratie und neuerdings die Sanktionen gegen Russland sind die Zutaten, aus denen sich das Rezept pauschaler EU-Kritik zumeist zusammensetzt, im Streit um ein letztlich überschaubares Wählersegment.

Aber statt sich in radikalen Gemeinplätzen zu überbieten und damit nur Unsicherheit zu schüren, wäre es doch eigentlich einen Versuch wert, die Kritik konstruktiver anzulegen. Würde man meinen. Wenigstens des eigenen Wiedererkennungswerts und der Glaubwürdigkeit wegen. Denn EU-Sanktionen abzulehnen, ohne Alternativen an der Hand zu haben, ist realitätsfern, der Vorwurf europäischer Reformunfähigkeit zu kurz gegriffen. Erstens stimmt es nicht und zweitens kritisieren wir uns damit nur selbst. Übrigens: Gerade wenn es darauf ankommt, gelingt es dieser viel kritisierten EU regelmäßig, ihre Entschlossenheit unter Beweis zu stellen. Die gemeinsame Impfstoffbeschaffung, das Schnüren wirtschaftlicher Hilfspakete, Kurzarbeitsprogramme in der Pandemie und Geschlossenheit angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine sind nur einige Beispiele.

Wer jedoch nicht diskutiert, sondern nur dagegen ist, die EU als undemokratisch bezeichnet und sich in seinen Freiheitsrechten beschränkt sieht, sollte vielleicht einmal einen Blick über unsere Grenzen nach Osten wagen und sein eigenes Auftreten überdenken. Die EU gerade jetzt grundlegend infrage zu stellen heißt sie zu spalten und nützt nicht den Bürgern Europas, sondern nur einem: und der sitzt in Moskau.