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Hohe Wahlbeteiligung, starkes EU-Parlament (Gastkommentar Paul Schmidt und Helmut Kramer, DER STANDARD)

Die hiesige EU-Politik agiert äußerst zurückhaltend. Ihr geht es um Schadensbegrenzung und nicht um ein forsches Eintreten für Europa. In dieser Antistimmung wollen nicht einmal europafreundliche Bürger wählen gehen. Die Legitimität des EU-Parlaments leidet.

Der Europawahlkampf in Österreich wird von infantilen Reimereien und nichtssagenden Slogans dominiert und geht laut einer Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik an den Interessen der Wähler vorbei: Nur fünf Prozent meinen, dass ihnen wichtige Themen (insbesondere Energie, Umwelt, Konsumentenschutz, Sozialpolitik und Migration) behandelt werden.
Das Fehlen einer ernsthaften und politisch mobilisierenden Debatte über die Europäische Union dürfte auch ein wichtiger Grund dafür sein, dass bei den an sich stärker “europäisch” eingestellten und EU-freundlicheren Jüngeren weniger Neigung besteht, am 25. Mai wählen zu gehen. Die weitgehend inhaltsleere und mit innenpolitischen Argumenten überfrachtete Wahlkampagne spiegelt die allgemeine politische Ratlosigkeit und den defensiven Charakter der österreichischen EU-Politik wider. In welcher Weise und in welche Richtung könnte und müsste nun europapolitisch argumentiert und gehandelt werden, damit mehr Menschen an diesen Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen?

Aufwandsneutral
Die heimische EU-Politik agiert zurückhaltend, aufwandsneutral und schadensbegrenzend. Das Ergebnis: ein über die letzten zwei Jahrzehnte ambivalentes EU-Meinungsbild, das von einer emotionalen Abwehrhaltung gegenüber europäischen Beschlüssen, einer nicht selten verzerrten Wahrnehmung und dem – oft indifferenten – Blick durch die nationale Brille geprägt ist. Wir brauchen daher eine proaktivere und selbstbewusstere Auseinandersetzung mit europäischen Entwicklungen hierzulande.
Die positiven Seiten der konstant von mehr als zwei Dritteln der Bevölkerung akzeptierten österreichischen EU-Mitgliedschaft müssten wesentlich konkreter und weniger einseitig oder übertrieben kommuniziert werden. Der hoch emotionalen Kritik der EU-Skeptiker sollte nicht mit abstrakten und technokratischen Argumenten begegnet werden, sondern mit dem Nachweis konkreter Vorteile der EU für die individuellen Lebensbedingungen, beispielsweise in den Bereichen Reisen, berufliche Mobilität oder Studienmöglichkeiten im Ausland. Daneben sollten die Grundwerte der EU inklusive ihres Friedensauftrags betont werden, zumal sich diese mit der positiven Haltung der Österreicher zu einer aktiven Friedenspolitik decken.
Eine verbesserte Kommunikations- und Informationspolitik allein hat jedoch EU-weit angesichts der derzeitigen tiefen Krise der politischen Legitimität der EU wenig Chancen, die Akzeptanz von Brüssel und der EU-Politik der nationalen Regierungen effektiv zu steigern. Nur mehr 31 Prozent sehen die EU insgesamt positiv (2007 waren es noch 52 Prozent), lediglich 39 Prozent vertrauen dem Europäischen Parlament (2009 noch 48 Prozent).
Folglich müssten auch die europäischen Institutionen ihre politischen Prioritäten stärker am Willen der Bevölkerung orientieren. Als zu fern und abstrakt werden EU-Entscheidungen empfunden. Eine verbesserte Kommunikationspolitik versetzt – angesichts der derzeitigen EU-weiten Krise der politischen Legitimität – noch keine Berge. Aber sie kann helfen, Lösungsansätze breiter zu diskutieren. Oft werden Argumente von EU-Kritikern, die sich auf konkrete Probleme auf EU-Ebene beziehen – wie etwa die Tendenz zur Überregulierung oder Demokratiedefizite -, pauschal abgelehnt. Dabei ist es wichtig, Verunsicherungen nicht auszublenden, sondern diese offensiv anzusprechen.
Vor allem aber muss die EU ihr positives soziales und wirtschaftliches Profil schärfen und verbessern. Rechtspopulistische und fundamental euroskeptische Parteien profitieren von der durch die zunehmende Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage und die Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich sowie zwischen dem europäischen Norden und Süden verursachten tiefen Verunsicherung breiter Teile der europäischen Gesellschaften.

Zu wenig effektiv
Vielen erscheint die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik der EU zu wenig effektiv und zu wenig auf Arbeitsplatzsicherung und Verteilungsgerechtigkeit ausgerichtet, um den negativen Auswirkungen der Globalisierung zu begegnen. Die für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügung gestellten Beträge sind nicht viel mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein. Die Maßnahmen zur Regulierung des “Kasino-Kapitalismus” werden hartnäckig von Lobbyisten torpediert und minimalisiert.
Daher ist es wichtig, diese Verunsicherungen nicht auszublenden und den Emotionen schürenden Anti-EU-Kräften zu überlassen, sondern sie offensiv anzusprechen und darzulegen:

  • Diese Krise kann nicht einzelstaatlich, im nationalen Biotop, sondern nur im Verbund mit anderen, also in der EU, bewältigt werden. Eine entschiedene Politik in Richtung einer sozialen und politischen Demokratie in der EU ist hier vordringlich.
  • Die EU ist kein fernes Direktorat, dem wir hilflos ausgeliefert sind, wir haben ein Mitspracherecht, das wir wahrnehmen sollten, indem wir jenen unsere Stimme geben, die die uns am besten erscheinende Politik verfolgen.
  • Je geringer die Wahlbeteiligung, desto stärker die Position jener, die zwar zum Teil die richtigen Fragen stellen, aber falsche nationalistische und xenophobe Antworten geben.
  • Je höher die Wahlbeteiligung, desto stärker ist letztlich auch die Stimme der einzig direkt-demokratisch legitimierten EU-Institution – des Europäischen Parlaments – gegenüber den anderen Organen der EU, die von Regierungsvertretern, Experten und Interessensvertretern dominiert werden.