Die Stunde der Diplomatie

Im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland werden schwere Geschütze aufgefahren. Unerfüllbare Forderungen führen zu Reaktion und Gegenreaktion und drohen die Situation weiter eskalieren zu lassen. Unterschiedliche Konfliktszenarien werden durchgespielt, Soldaten und Waffen wie auf dem Schachbrett verschoben. Gleichzeitig wird das Drohpotenzial wirtschaftlicher Sanktionen stetig erhöht und an Alternativen für eine Unterbrechung der Gaslieferungen aus Russland gearbeitet, um die Energieversorgung Europas auch für den Ernstfall einer militärischen Auseinandersetzung sicherzustellen.

Kann die Zukunft der Ukraine und auch eine neue europäische Sicherheitsarchitektur aber wirklich zwischen Moskau und Washington D.C. alleine entschieden werden? Auch wenn das manche Seite womöglich intendiert, so wird das heute nicht mehr funktionieren. Die enge Abstimmung zwischen den USA und Europa sowie der Ukraine ist Beleg dafür. Europa, das ganz besonders von den Folgen eines direkten Konflikts betroffen wäre, will und wird sich aktiv einbringen.

Die verhärteten Fronten zwischen der Ukraine und Russland brauchen eine europäische Mittlerrolle. Eine Rolle, die die USA nicht einnehmen werden können. Egal, ob die Vermittlung nun das deutsch-französische Tandem in die Hand nimmt und man sich untereinander koordiniert. Egal, ob im Normandie-Format auf technischer Ebene oder auf Ebene der Außenminister in Form reger Reisediplomatie. Der Weg zur Lösung des Ukraine-Konflikts führt nur über den Dialog. Und das besser vor als nach einem Konflikt mit enormen Kosten für alle Seiten. Stille Diplomatie am Verhandlungstisch ist vielleicht nicht so spektakulär wie eine Propagandaschlacht oder ein Truppenaufmarsch. Aber darum geht es nicht. Schließlich muss alles versucht werden, um menschliches Leid zu verhindern.

Österreich muss sich solidarisch zeigen

Ohne militärischen Druck und wirtschaftliche Sanktionsdrohungen wären solche Dialoginitiativen allerdings zahnlos. OSZE-Beobachter und diplomatische Bemühungen alleine können einer Welt, die wieder in Einflusssphären aufgeteilt zu werden droht, nicht genug entgegenstellen. Europa muss daher Geschlossenheit zeigen und tut dies bisher erstaunlich gut. Es unterstützt eine freie und souveräne Ukraine und stimmt sich intern ab – sowohl im Hinblick auf politische Verhandlungen als auch auf die Vorbereitung und Umsetzung allfälliger Wirtschaftssanktionen gegen Russland, inklusive einem Ende der Pipeline Nord Stream 2.

Und Österreich? Es muss sich solidarisch zeigen, wenn Freiheit, Demokratie und Menschenrechte bedroht werden. Hier gilt kein Abseitshalten, gibt es keinen Widerspruch zur österreichischen Neutralität. Die europäische Zusammenarbeit und ein klares Bekenntnis zum Multilateralismus sind heute Garanten für ihr Bestehen und die Grundlage für ihre Weiterentwicklung.

Österreich sieht sich traditionell selbst gerne als Vermittler zwischen den Fronten. Ohne Neutralität wäre die Ansiedlung internationaler Organisationen wie der OSZE, der UNO, der IAEA und auch der OPEC im Land nicht möglich gewesen. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um vom Reden ins Handeln zu kommen. Warum nicht Wien als Ort für weitere Russland-Ukraine-Verhandlungen positionieren? Die Atomgespräche mit dem Iran zeigen das Potenzial, das Österreich als neutrales EU-Mitglied einbringen kann.

Paul Schmidt

Foto: (C) European Union, 2017