Europa ist weder gratis noch umsonst (Gastkommentar Paul Schmidt, Der Standard)

Durch den britischen EU-Ausstieg geht der Union die zweitgrößte Volkswirtschaft und dem EU-Budget ein – trotz “Britenrabatts” – wichtiger Nettozahler verloren. Dem mehrjährigen EU-Haushalt, der in Kürze zur Verhandlung ansteht, könnten dann rund 5,6 Milliarden Euro an Nettobeiträgen fehlen. Allerdings wissen wir bis heute nicht, wie die zukünftige Beziehung zwischen der EU und Großbritannien letztlich aussehen wird. Je nach Verhandlungsergebnis wird sich aber auch das Vereinigte Königreich – Norwegen und Schweiz geben Zeugnis davon – seinen “Sonderstatus” im wahrsten Sinne des Wortes erkaufen müssen.
Davon abgesehen: Wird die Diskussion um den Brexit und die Neugestaltung der Europäischen Union zusehends auf eine Nettozahlerdebatte reduziert, zäumt man nicht nur das Pferd von hinten auf, sondern bewegt sich auch abseits jeder politischen und ökonomischen Vernunft. Denn eine Kosten-Nutzen-Analyse der europäischen Integration geht weit über nackte Budgetzahlen hinaus. Und gerade wenn man möchte, dass die Union ihre Aufgaben effektiver als bisher wahrnimmt, braucht es eben auch entsprechende finanzielle Ressourcen.
An gemeinsamen Herausforderungen mangelt es nicht: vom Klima- bis zum Außengrenzschutz, von der Hilfe für die Herkunftsländer der Migrationsbewegungen bis zur Terrorbekämpfung, von der Außen- und Verteidigungspolitik bis zur Steuer-, Investitions- und Kohäsionspolitik, vom digitalen Binnenmarkt über die Energiepolitik bis hin zu neuen Anforderungen für den Arbeitsmarkt. Um diese Aufgaben realistisch bewältigen zu können, haben Deutschland und Frankreich sich schon jetzt bereiterklärt, ihre Beiträge zu erhöhen. Nicht etwa, um mutwillig Steuergeld zu verprassen, sondern in der Annahme, dass diese Probleme am ehesten durch eine starke Union gelöst werden können.

Effiziente EU

Dem europäischen Integrationsprojekt steht bisher rund ein Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung zur Verfügung. Wobei 94 Prozent des EU-Haushalts wieder an die Mitgliedstaaten zurückfließen, vor allem in die Bereiche Agrar- und Regionalpolitik. Österreich kostet die EU-Mitgliedschaft derzeit knapp 800 Millionen Euro netto pro Jahr, also rund 25 Cent pro Person und Tag. Das ist wahrlich nicht die Welt.
Trotzdem kann und soll auch die EU effizienter werden. Ansatzpunkt könnte die Struktur des nächsten EU-Budgets selbst sein. Förderungen könnten fokussierter an weniger entwickelte Regionen sowie an Projekte mit deutlich erkennbarem europäischem Mehrwert vergeben werden. Sollten die britischen Budgetausfälle nicht kompensiert werden, könnten allem voran reichere – und damit auch österreichische – Regionen sowie größere Betriebe mit Kürzungen zu rechnen haben.
Im Sinn eines tragfähigen Konsenses sollten die EU-Regierungen die künftigen Aufgaben der Union den konkreten Herausforderungen anpassen und festlegen, wie und in welchem Ausmaß die EU die an sie gestellten Anforderungen mit den zur Verfügung gestellten Mitteln auch erfüllen kann. Vorher hat es wenig Sinn, budgetäre Obergrenzen zu ziehen. Der nächste mehrjährige EU-Finanzrahmen ist keine Bürde, sondern eine Chance, den aktuellen Entwicklungen und hohen Erwartungen auch gerecht werden zu können. Denn enttäuscht hat die EU in der jüngsten Vergangenheit – aufgrund genau dieses ungelösten Knotens – schon zu oft.