20 Jahre Euro – Erfolg in unruhigen Zeiten

Zwanzig Jahre sind in der politischen und in der wirtschaftlichen Betrachtung sowohl eine lange wie eine kurze Zeit. Für den Euro gilt in der langfristigen Perspektive, dass inzwischen eine Generation mit dem Euro aufgewachsen und dass die Menschen im Euro-Raum inzwischen bei Preisen nicht mehr in ihre alte nationale Währung umrechnen. Vor allem aber wird – von einigen problematischen Randgruppen abgesehen – allgemein nicht an der Dauerhaftigkeit des Euro gezweifelt. Unterteilt man freilich die lange Frist, so lassen sich vier Phasen erkennen: eine glückliche und drei heroische.

Die Europäische Währungsunion (EWU) trat als System einer einheitlichen Geldpolitik mit 1. Jänner 1999 und mit der Ausgabe einheitlicher Euro-Banknoten mit 1. Jänner 2002 in Kraft. Die ersten, “glücklichen”, Jahre der EWU waren gekennzeichnet durch eine Kombination von vergleichsweise hohen Wachstumsraten und niedriger Inflation. Dies vor dem Hintergrund einer entsprechenden weltweiten Entwicklung, verbunden mit einem Glauben an die rationale Steuerungsfunktion von Märkten und entsprechender De-Regulierung. Für die Notenbanken war dies eine Phase zunehmender Unabhängigkeit und einer Betonung der langfristigen Steuerung der “Inflationserwartungen”. Die Europäische Zentralbank (EZB) als junge Notenbank konnte sich in diesem internationalen Umfeld gut behaupten und war bestrebt, den Nimbus einer konservativen Notenbank – nach dem Modell der Deutschen Bundesbank – zu erreichen.

Lehman leitete “heroische Phase” der Notenbankpolitik ein

Im Nachhinein stellte sich freilich heraus, dass die “glückliche Zeit” von starkem Wachstum und niedriger Inflation nicht so sehr auf der Politik der Notenbanken beruhte, sondern auf der rasanten Zunahme der wirtschaftlichen Globalisierung, insbesondere der Öffnung Chinas. Gleichzeitig kam es auf den unzureichend geregelten Finanzmärkten zu immer waghalsigeren “Finanzinnovationen”. Letztlich entluden sich die wachsenden Ungleichgewichte, speziell in den USA, nach einigen vorausgehenden Wetterleuchten schließlich in der großen Finanzkrise, eingeleitet mit dem Zusammenbruch des Bankhauses Lehman im September 2008. Damit begann die “heroische Phase” der Notenbankpolitik.

Der Zusammenbruch des Vertrauens innerhalb des Finanzsystems führte zu einem zeitweiligen Zusammenbruch der internationalen Geldmärkte und damit zur Gefahr des Zusammenbruchs der Liquiditätsversorgung der Wirtschaft. In dieser Phase zeigte sich, dass die Wirtschaftspolitik doch in der Lage war, aus der Geschichte zu lernen. Das einhellige Bemühen der Notenbanken war, die Fehler der 1930er Jahre, die wesentlich zur Weltwirtschaftskrise mit all ihren Folgen beigetragen hatten, nicht zu wiederholen. Die Notenbanken entwickelten daher eine ausgeprägt expansive Geldpolitik mit de facto unbegrenzter Liquiditätsversorgung.

Gleichzeitig bekam innerhalb der Finanz- und der Notenbankpolitik der Aspekt der Finanzmarktstabilität zentrale Bedeutung. Dies bedeutete zunächst eine umfassende Re-Regulierung im Bereich der Finanzwirtschaft. Kernpunkte sind dabei die international erstellten “Basel-Regelungen” für die erforderliche Kapitalausstattung von Banken und die entsprechende Übernahme dieser Regelungen im europäischen Rahmen. Um eine gleichmäßige Anwendung dieser Regelungen im Euro-Raum zu gewährleisten, wurde dann 2014 der EZB auch die Aufgabe der Bankaufsicht speziell hinsichtlich der großen Banken übertragen. Der ersten, “zurückhaltend heroischen” Phase folgte umgehend ein zweites – diesmal europaspezifisches – Krisengeschehen.

Stabilisierender Großeinsatz der EZB in der”Euro-Krise”

Nach Einführung des Euro waren die internationalen Kapitalmärkte, speziell Banken aus Deutschland und Frankreich, bereit, auch den wirtschaftlich schwächeren Staaten des Euro-Bereiches massiv Kredite zu wesentlich günstigeren Konditionen als früher zu geben. Dies führte in diesen Staaten zu einem gewaltigen Zuwachs von öffentlicher und privater Verschuldung und vielfach auch zu entsprechenden Immobilienblasen.

Die internationale Finanzkrise brachte dann ein abruptes Ende der Kreditbereitschaft, sodass sich für Staaten wie Griechenland, abgeschwächt auch für Spanien, Irland und Portugal massive Liquiditätsprobleme, bis hin zur Gefahr eines “Staatskonkurses”, stellten. In dieser Situation zeigte sich, dass das einzelwirtschaftliche Modell des Konkurses als wirtschaftliches Disziplinierungsmittel in gesamtwirtschaftlichen Konstellationen vielfach nicht anwendbar ist, da der Konkurs eines Einzelstaates massive negative Auswirkungen auf die Finanzierungsfähigkeit anderer Staaten der Währungsunion haben kann. Es entwickelte sich eine negative Dynamik bis hin zur Gefahr eines Zusammenbruchs der EWU insgesamt.

In dieser Situation kam es dann nach etlichen Verzögerungen letztlich zu massiven Stützungsmaßnahmen vonseiten der EU (mit entsprechender Kontrolle in Form der “Troika”). Vor allem aber kam es auch im Rahmen ihres Mandats auch zu einem umfassenden stabilisierenden Einsatz der EZB. Mario Draghis berühmte “What ever it takes”-Rede vom Juli 2012, die von den Finanzmärkten als Bereitschaft zur EZB-Finanzierung interpretiert wurde, kann als Höhepunkt einer “heroischen Entscheidungsbereitschaft” gesehen werden. Freilich war eine Vielzahl weiterer Schritte erforderlich, aber letztlich gelang es, die “Euro-Krise” zu überwinden.

Pandemie ist neue Herausforderung für Euro

Die jüngste herausfordernde Periode für den Euro ist die weltumfassende und hartnäckige Corona-Pandemie, die das Potenzial hatte und hat, die Weltwirtschaft in eine tiefe und nachhaltige Krise zu führen. Die Notenbanken haben wiederum durch massive Liquiditätszufuhr Schadensbekämpfung betrieben, die EZB im Speziellen mit ihrem auf 1.800 Milliarden Euro ausgelegten “Pandemic Emergency Purchase Programme” (Pepp). Dies hat zu einer relativ raschen Erholung der Wirtschaft nach dem tiefen Abschwung geführt.

Mit Fortsetzung des Aufschwungs zeigte sich aber auch ein durch vielfache Sonderfaktoren verstärkter Inflationsanstieg von unerwarteter Dynamik. Für unabhängige Notenbanken ist es dabei wichtig, eine langfristige Perspektive zu verfolgen und nicht auf kurzfristige Inflationserhöhungen sofort mit restriktiver Geldpolitik zu reagieren. Dies gilt insbesondere, wenn die Inflationserhöhung überwiegend von der Angebotsseite, speziell über die Energiepreise, bestimmt wird. Hier haben Notenbanken keine unmittelbare Einflussmöglichkeit. Eine Bekämpfung einer angebotsseitigen Inflation durch die nachfrageseitig wirkende Geldpolitik würde zur Gefahr einer Stagflation – eine Kombination von hoher Arbeitslosigkeit und hoher Inflation – führen. Im Sinn einer mittelfristigen Orientierung ist es freilich auch erforderlich, auf eine nachhaltige Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage mit einem gut vorbereiteten Rückzug aus dem Krisenmodus zu reagieren.

CO2-Bepreisung kann inflationssteigernd wirken

In langfristiger Betrachtung stellt sich die Frage, ob die Corona-Krise nicht zu grundlegenden wirtschaftlichen Strukturverschiebungen geführt bzw. diese beschleunigt hat. Viele Faktoren sprechen für eine Verlangsamung, wenn nicht Umkehr der bisherigen Globalisierungsdynamik. Die globalisierungsbedingt niedrigen Inflationsraten der letzten Jahrzehnte könnten sich daher in längerfristiger Betrachtung als historischer Sonderfall erweisen. Ein weiterer tendenziell inflationssteigernder Faktor kann sich aus einer Intensivierung der Klimapolitik, insbesondere einer massiven Zunahme der CO2-Bepreisung, ergeben. Jedenfalls für die wohl lange Dauer von Anpassungsprozessen können sich zusätzliche kostenseitige Inflationsprozesse ergeben.

Falls Notenbanken darauf restriktiv reagieren führt das zur Gefahr von Stagflation. In vielen Bereichen wird es insgesamt auch in Zukunft für Notenbanken notwendig sein, ausgehend von ihrer primären Verpflichtung zu Preisstabilität umfassenden Abwägungen und langfristigen Perspektiven zu folgen. Die – historisch gesehen kurze – 20-Jahr-Geschichte des Euro zeigt jedenfalls, dass Wirtschaft sich in den seltensten Fällen im Rahmen eines glücklichen wirtschaftlichen Gleichgewichts bewegt, sondern vielmehr als eine Abfolge von Ungleichgewichten zu sehen ist. Die EZB hat den Euro und die europäische Wirtschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten erfolgreich durch eine Fülle dieser Ungleichgewichte geführt. Es ist zu hoffen und zu erwarten, dass dies auch in der Zukunft gelingen wird.

Ewald Nowotny