Gemeinsam für Europa einstehen (Gastkommentar Wiener Zeitung)

Eine positive Bewertung der Europäischen Union trifft auf zunehmende Verunsicherung.

Krisenzeiten sind Zeiten, in denen man zusammenrückt. Auch das öffentliche Meinungsbild in Sachen Europa spiegelt diesen – bis dato viele überraschenden – europäischen Zusammenhalt wider. Obwohl einander gerade verschiedene Krisen die Hand geben, hat sich das Meinungsbild im Jahresvergleich deutlich verbessert. Heute sieht fast die Hälfte der Befragten die Europäische Union als stark an, während etwa im Frühjahr 2021 nur etwa ein Fünftel so empfunden hat.

Aktuell wird die EU als sozialer wahrgenommen, und eine deutliche Mehrheit der in Österreich lebenden Menschen wünscht sich, dass sich die EU global stärker positionieren soll. Die europäische Reaktion auf die russische Aggression gegenüber der Ukraine und letztlich entschiedene Corona-Maßnahmen – von der gemeinsamen Impfstoffbeschaffung bis zu Konjunkturprogrammen und speziellen Hilfsschienen für besonders von der Krise Betroffene – zeigen hier Wirkung. Ein unabhängigeres Europa, das weltweit Standards setzt, gemeinsam Energieträger einkauft und seine Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten verbessert, könnte diese Effekte weiter untermauern.

Krisenzeiten sind aber auch Zeiten, in denen alte Gewissheiten zu bröckeln beginnen und neuen Entwicklungen Platz machen. Die Zahl jener, die sich angesichts des angespannten geopolitischen Umfelds verunsichert fühlen, steigt stetig. War bereits die Corona-Pandemie eine enorme gesellschaftliche Belastung, so ist der russische Krieg um die Ukraine mit noch weiteren Verwerfungen verbunden, die letztlich an niemandem spurlos vorübergehen werden. Menschliches Leid und Wiederaufbau, exorbitante Preissteigerungen, Energie(un)sicherheit und akute Sicherheitsfragen sind Herausforderungen, die – wohl auf Jahre hinaus – die Nachrichten dominieren werden.

Mit Kriegsbeginn ist auch das neutrale Österreich in einer neuen Welt aufgewacht. Anders als bei den blockfreien Staaten Finnland und Schweden, in denen sich die Meinung der Bevölkerung in den vergangenen Wochen deutlich hin zu einem Beitritt zur Nato gewendet hat, scheint die heimische Neutralität jedoch weiterhin, und sogar noch stärker als zuvor, als Teil der nationalen Identität wahrgenommen zu werden. Trotzdem – oder genau deshalb – ist die Politik gefordert, deutlich Stellung zu beziehen, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten und eine sicherheits- und außenpolitische Neuausrichtung mit einer aktiveren Neutralitätspolitik in die Wege zu leiten. Für etliche ein Paradigmenwechsel, der allerdings ein zwingendes Gebot der Stunde ist.

Nichteinmischen ist in der aktuellen Situation keine Option. Dies sollte auch von der österreichischen Politik, die manchmal den Eindruck erweckt, wir stünden nur an der Seite der EU, wären aber kein essenzieller Teil davon, noch klarer kommuniziert werden. Wenn keiner weiß, was das Morgen bringen wird, ist es mehr als verständlich, dass die Verunsicherung groß ist. Umso wichtiger ist es jedoch gerade jetzt zu zeigen, dass das europäische Lebensmodell nur bestehen kann, wenn wir – solidarisch mit unseren Nachbarn – gemeinsam dafür einstehen.