Flüchtlinge bestimmen Zukunft der europäischen Integration (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Die Suche nach funktionierenden, europäischen Antworten ist mühsam, aber alternativlos.
Drei von vier Österreichern betrachten den Umgang mit der Flüchtlingsfrage – gemäß aktueller Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik – als entscheidend für die Zukunft der Europäischen Union. Das ist ein alarmierendes Signal, das jedoch angesichts des komplexen, zögerlichen und unkoordinierten Krisenmanagements auf europäischer wie auf nationaler Ebene nicht überrascht. Wir verzetteln uns derweil in Scheindebatten über Obergrenzen oder Richtwerte und über Grenzzäune mit beziehungsweise ohne Seitenteilen. Europäische Pläne für die Umverteilung von Asylwerbern und Hotspots, die mangels Solidarität nur schleppend vorangehen, sowie ein zunehmend emotionaler Diskurs sind ebenfalls wenig hilfreich, um das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Politik zu verbessern.

Es muss aber gelingen, das unproduktive Spiel mit Begrifflichkeiten zu beenden und die sich immer schneller drehende Angstspirale zu verlassen. Denn letztlich hat sich – bei allen Differenzen – doch ein Grundkonsens herausgebildet. Die Aufnahmekapazitäten in Österreich stoßen – technisch wie mental – an ihre Grenzen, während Asylberechtigte so rasch wie möglich in unsere Gesellschaft integriert werden müssen. Darauf gilt es nun aufzubauen: Die Bundesregierung sollte glaubwürdig eine gemeinsame Linie vorgeben, faktenbasiert argumentieren und damit populistischen Vereinfachern den Wind aus den Segeln nehmen.

Eine nationale Symptombekämpfung mag zwar kurzfristig wichtig sein, aber letztlich ist und bleibt sie nur eine Notlösung. Wesentlich dringlicher wäre es, im Zusammenspiel mit der internationalen Staatengemeinschaft Strategien zur nachhaltigen Bekämpfung der Fluchtursachen und somit der Reduzierung der Zahl der Flüchtlingen zu entwickeln und umzusetzen, will man etwa die – aus psychologischer Sicht verheerende und finanziell kostspielige – Rückkehr von EU-Binnengrenzen verhindern. Bei allem derzeitigen Mangel an EU-weiter Solidarität bevorzugen übrigens auch die befragten Österreicher nach wie vor eine europäische Vorgehensweise, um die aktuelle Lage zu bewältigen. Um zu einer solchen zu gelangen, könnte sich gerade Österreich verstärkt bemühen, die Aussprache mit skeptischen Nachbarstaaten zu suchen, um mögliche Kompromissbereitschaft auszuloten.

EU-weit einheitliche Spielregeln wären die notwendige Basis für eine realistische und faire Verteilung von Asylwerbern. Voraussetzungen dafür sind jedenfalls gemeinschaftliche Regelungen zur Anerkennung von Asyl, die Ermöglichung von legalen Einreisemöglichkeiten sowie harmonisierte staatliche Leistungen und Integrationsangebote für Asylwerber, außerdem die Stärkung des Informationsaustauschs und gemeinsame Kontrollen der EU-Außengrenzen.

Europa bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen der Verpflichtung auf gemeinsame Werte und realpolitischen Zwängen. Solange die Krisengebiete nicht befriedet sind und der Wiederaufbau nicht in die Gänge kommt, wird dieses Spannungsfeld weiterbestehen. Die Suche nach funktionierenden europäischen Antworten mag sich vor diesem Hintergrund mühsam gestalten, aber letztlich bleibt sie alternativlos.

Paul Schmidt – Ge­ne­ral­se­kre­tär der Ös­ter­rei­chi­schen Ge­sell­schaft für Eu­ro­pa­po­li­tik, 17.02.2016