Es braucht gemeinsame Lösungen anstelle nationaler Alleingänge.
Der Umgang mit der Flüchtlingskrise zeigt Europa seine Grenzen auf. Mitgliedstaaten übergehen EU-weite Rechtsnormen, definieren europäische Werte neu und provozieren einander gegenseitig mit nationalen Reflexen. Die aktuellen Entwicklungen sind dabei Folge eines mangelnden Problembewusstseins und fehlender Geschlossenheit und Entschlossenheit. Die EU-Länder wären jedoch gut beraten, wieder zu einer gemeinsamen Vorgehensweise zu finden. Zu einer europäischen Politik, die menschliche Katastrophen auch als solche wahrnimmt und rechtzeitig darauf reagiert.
Eine der wichtigsten Errungenschaften, die Abschaffung der Grenzen innerhalb der EU, steht derzeit auf der Kippe. “Offene Grenzen” zählten bisher zu den am positivsten bewerteten europäischen Integrationsschritten – vor allem, wenn es um Reisefreiheit und Personenfreizügigkeit geht. Andererseits wurde das grenzenlose Europa – nicht zuletzt in Österreich – auch mit steigender Kriminalität, Lohndumping und eben mit Zuwanderung verbunden. In den vergangenen Monaten wurde zu wenig unternommen, um auf entsprechende Sorgen der Bevölkerung einzugehen. Dabei wäre es gerade in Krisenzeiten wichtig, mit Worten und Bildern zu deeskalieren und klarzumachen, dass vorübergehende Grenzkontrollen nur in Ausnahmefällen möglich und genau geregelt sind. Dass wir uns zum Schutz der Außengrenzen bekennen und dem Sicherheitsbedürfnis der Europäer wie jenem der Menschen auf der Flucht Rechnung tragen. Aber nicht durch den Ausbau der “Festung Europa”, sondern durch ein echtes Engagement in den Krisen- und Nachbarländern. Durch finanzielle und logistische Hilfe vor Ort sowie durch die Schaffung legaler Wege, in der EU um Asyl anzusuchen. Die faire Aufteilung von Asylsuchenden wäre ein weiterer logischer Teil eines ganzheitlichen Asylsystems.
Die Kritik an europäischem Zögern und politischer Impotenz ist selbstverständlich berechtigt. Die jüngsten Entwicklungen, aber auch bereits der Umgang mit der griechischen Schuldenkrise, haben Europas Grenzen aufgezeigt – vor allem jene in unseren Köpfen. Daraus die richtigen Lehren zu ziehen und eine europäische Außen-, Flüchtlings- und Migrationspolitik realpolitisch auch zuzulassen, wäre dringend notwendig. Es ist an der Zeit, deutliche Antworten zu geben: Europäische Werte wie Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität, Nichtdiskriminierung, Toleranz und Wahrung der Menschenrechte geben gerade jetzt Orientierung und sind unverrückbar. Irrationale Vorstellungen von ethnisch homogenen Nationalstaaten gehören der Vergangenheit an und sind weder mit der europäischen Integration noch mit einer globalisierten Welt vereinbar. Und letztlich kann ein alterndes Europa nur dann wachsen, wettbewerbsfähig bleiben und seine Sozialsysteme garantieren, wenn geregelte Migration dazu beiträgt.
Die Balance zwischen europäischer Solidarität und nationaler Souveränität muss wieder zurechtgerückt und es muss über den weiteren Integrationsweg Europas entschieden werden. Mit nationaler Abschottung und immer höheren Grenzzäunen werden wir die aktuelle Krise nicht in den Griff bekommen.
Weitere interessante Artikel
30. März 2023
Nein sagen ist zu wenig (Gastkommentar Kurier)
Sich die Illusion einer guten, heilen Welt zurückzuwünschen und Neues abzulehnen, wird dabei nicht helfen. Höchste Zeit also sich den Realitäten zu stellen. 2024 stehen Europawahlen und Nationalratswahlen an. Sollen diese in einem Umfeld von Europa-Skeptizismus, Selbstverzwergung und Politrezepten von anno dazumal stattfinden oder einen optimistischen, Chancen und Perspektiven betonenden Ideenwettstreit bieten?
30. März 2023
Climate Change and the Future of Europe : Views from the Capitals
While the ambitious objectives outlined in the EU’s Green Deal aim at making Europe the first climate-neutral continent by 2050, national implementation greatly varies depending on local geographies, history, culture, economics, and politics. This book analyses Member States’ and EU neighbours’ national efforts to combat climate change. It subsequently draws on these factors to highlight local challenges, tensions, and opportunities on the road towards climate neutrality. In the context of inter-country dependencies following Russia’s war against Ukraine, it addresses strategic questions regarding EU integration, the transformation of our economies, the reduction of energy dependencies, and public perception of the above. The book also makes concrete recommendations, in various policy areas, on how individual countries and the EU as a whole should deal with the climate crisis.
28. März 2023
ORFIII Aktuell: EU-Experte zum Gipfel in Brüssel (ORFIII, 24. 3. 2023)
Paul Schmidt, von der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, geht im ORFIII AKTUELL Interview auf die Themen des EU-Gipfels in Brüssel ein.
Neueste Beiträge
Weitere interessante Artikel
30. März 2023
Nein sagen ist zu wenig (Gastkommentar Kurier)
Sich die Illusion einer guten, heilen Welt zurückzuwünschen und Neues abzulehnen, wird dabei nicht helfen. Höchste Zeit also sich den Realitäten zu stellen. 2024 stehen Europawahlen und Nationalratswahlen an. Sollen diese in einem Umfeld von Europa-Skeptizismus, Selbstverzwergung und Politrezepten von anno dazumal stattfinden oder einen optimistischen, Chancen und Perspektiven betonenden Ideenwettstreit bieten?
30. März 2023
Climate Change and the Future of Europe : Views from the Capitals
While the ambitious objectives outlined in the EU’s Green Deal aim at making Europe the first climate-neutral continent by 2050, national implementation greatly varies depending on local geographies, history, culture, economics, and politics. This book analyses Member States’ and EU neighbours’ national efforts to combat climate change. It subsequently draws on these factors to highlight local challenges, tensions, and opportunities on the road towards climate neutrality. In the context of inter-country dependencies following Russia’s war against Ukraine, it addresses strategic questions regarding EU integration, the transformation of our economies, the reduction of energy dependencies, and public perception of the above. The book also makes concrete recommendations, in various policy areas, on how individual countries and the EU as a whole should deal with the climate crisis.
28. März 2023
ORFIII Aktuell: EU-Experte zum Gipfel in Brüssel (ORFIII, 24. 3. 2023)
Paul Schmidt, von der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, geht im ORFIII AKTUELL Interview auf die Themen des EU-Gipfels in Brüssel ein.