Europa ist wie ein Fahrrad – steht es still, fällt es um (Gastkommentar, Wiener Zeitung)

Eindrücke einer EU-Zukunftstour quer durch Österreich.

Seit 9. Mai läuft in der gesamten Europäischen Union die Debatte über die Zukunft Europas. Sie ist gerade nach der Pandemie auch dringend notwendig geworden, benötigt aber noch eine gehörige Portion Schwung, um ordentlich in die Gänge zu kommen. Deswegen haben wir uns entschlossen, die kommenden Wochen und Monate per Rad, per Bahn und zu Fuß klimafreundlich in den österreichischen Bundesländern unterwegs zu sein und das Gespräch über Europa zu suchen.

Nach dem gesellschaftlichen Stillstand der vergangenen Monate braucht es jetzt umso mehr Bewegung und insbesondere direkte Kontakte. Unser Ziel ist es zuzuhören, Ideen zu sammeln, gemeinsam die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen und die EU schlussendlich zu stärken. Als Teil unserer EU-Zukunftstour organisieren wir überdies in allen Bundesländern Meinungsumfragen, um die jeweilige EU-Stimmung und die Hauptanliegen der Bevölkerung auch demoskopisch noch besser einordnen zu können.

Nach Radtouren um den Neusiedler See und Abstechern unter anderem nach Tulln, Krems, Bischofstetten und Wiener Neustadt stand Ende Juni die erste Langstrecke nach Tirol und in die Steiermark an. In beiden Bundesländern waren die Aufbruchstimmung, die Themenvielfalt, die Kritik aber auch das große Interesse an Europa zu spüren. Bemerkenswert waren zudem die Kreativität regionaler Projekte und das persönliche wie politische Engagement.

Egal ob auf dem Marktplatz, in Gasthöfen, an Schulen oder in Dialogen mit zukünftigen Krankenpflegern, hoch motivierten Lehrern und Kunstschaffenden in Graz, an der Universität Innsbruck, auf den Tiroler Almen und Bergen oder am Grenztisch zwischen steirischen Weinreben, in Buschenschanken oder im Brenner-Basistunnel – die Themenpalette war so bunt wie die Almwiesen: Sie reichte vom Transitverkehr über den Klimaschutz bis zur Rechtsstaatlichkeit, von Fragen der herausfordernden, aber zugleich lohnenden grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bis zur Impfstrategie, von der Asyl- und Migrationsthematik bis zu Regionalisierungs-, Nachhaltigkeits- und landwirtschaftlichen Förderfragen oder dem regional unterschiedlichem Umgang mit dem Wolf.

Letztlich sind wir alle Europa

An Diskussionsstoff mangelt es jedenfalls nirgendwo und an engagierten Bürgermeistern und Gemeinderäten schon gar nicht. Aber auch das muss gesagt werden: Wenn es in Krisenzeiten für viele keinen Unterschied macht, ob Österreich in der EU ist oder nicht, dann zeigt dies die besondere Verantwortung auch aller regionalen und lokalen Entscheidungsträger, im Alltag gelegentlich darauf hinzuweisen, dass ein Forschungsprojekt, eine Almwirtschaft, ein Nationalpark, eine Markthalle, eine Solaranlage oder ein Schüleraustausch ganz wesentlich mit EU-Mitteln zustande gekommen sind. Denn letztlich sind wir alle Europa.

Wir setzen unsere EU-Zukunftstour durch dieses beeindruckend schöne und ideenreiche Land erst einmal fort. Und am Ende fahren wir per Nachtzug von Wien nach Brüssel – mit einem Rucksack voller Eindrücke und gesammelter Erkenntnisse im Gepäck, den wir den Spitzen der EU-Institutionen übergeben werden. Europa ist wie ein Fahrrad – steht es still, fällt es um. Also, und ganz im Sinne des ehemaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors, halten wir es in Bewegung und gestalten gemeinsam unsere Zukunft.

Gute Ideen? Bitte hier entlang: https://futureu.europa.eu.

Martin Selmayr und Paul Schmidt