Europa ist besser als sein Ruf (Gastkommentar trend.)

Die Digitalisierung und die Technologisierung eröffnen neue Welten und revolutionieren unser Berufsleben ebenso wie unseren Alltag. Das schafft immense Chancen, birgt aber auch Risiken. Es braucht neue Spielregeln.

Vielen Europäerinnen und Europäern käme bei der Frage, wo der weltgrößte Hersteller von Lithographiesystemen für die Halbleiterindustrie seinen Sitz hat, wohl spontan Asien oder USA in den Sinn. Tatsächlich ist das Unternehmen – es handelt sich um ASML – aber in den Niederlanden beheimatet. Dieses ist nur eines von zahlreichen Beispielen, die belegen, dass Europa im Hinblick auf seine technologische Stärke weit besser ist als sein Ruf: Die Leistungen bei der Erforschung und Entwicklung von Halbleitern sind weltweit anerkannt. Einer von zahlreichen europäischen Hot Spots ist Villach, wo Infineon erst kürzlich 1,6 Milliarden Euro in eine neue Chip-Fabrik investiert hat. Das Projekt ist von der Europäischen Kommission zu einem strategischen Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse erklärt und deshalb gezielt gefördert worden. Österreich spielt also eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Europas Anteil an der weltweiten Halbleiterkapazität von 10 % auf 20 % zu steigern und Abhängigkeiten zu reduzieren – so wie es das Europäische Chip-Gesetz vorsieht.

Musterbeispiele für Innovation, Forschung und Digitalisierung finden sich sowohl von Süd nach Nord als auch von West nach Ost in Österreich. In Burgenland läuft seit Freitag eine Weltpremiere: nicht auf der Seebühne Mörbisch, sondern in einem Windpark, wo die erste organische Batterie zur Stromspeicherung getestet wird. Das soll helfen, die Rohstoffabhängigkeit von Drittstaaten zu durchbrechen. Am anderen Ende der Republik, in Vorarlberg, werden bald mehr als 100 emissionsfreie Busse unterwegs sein. Und die EU-geförderte Digital Factory Vorarlberg unterstützt Betriebe bei der Umsetzung und Einführung digitaler Innovationen in der Industrie und Wirtschaft.

Neue Welten brauchen neue Spielregeln

Die Digitalisierung und die Technologisierung eröffnen neue Welten und revolutionieren unser Berufsleben ebenso wie unseren Alltag. Das schafft immense Chancen, birgt aber auch Risiken. Es braucht neue Spielregeln. Die gute Nachricht: Europa nimmt im Hinblick auf die Gesetzgebung eine Vorreiterrolle ein, zum Beispiel mit den Gesetzen über digitale Dienste und digitale Märkte, die einen sicheren Raum „online“ schaffen. Und die Europäische Kommission hat im April 2021 die weltweit erste Verordnung für künstliche Intelligenz vorgeschlagen.

Es tut sich also einiges. Gleichzeitig müssen wir am Ball bleiben, um die digitale Wende zu meistern. Aber Europa ist keineswegs abgehängt und auf dem Weg zum flächendeckenden Freilichtmuseum, so wie es mancherorts gerne behauptet wird. Im Gegenteil: Auf vielen Ebenen leisten europäische Forscher und Unternehmen Pionierarbeit – oftmals mit Unterstützung der öffentlichen Hand. Bei der Umsetzung neuer Ideen müssen wir besser werden. Gemeinsam können wir die Digitalisierung und die Technologisierung gestalten und für uns nützen. Und wir sind auf gutem Wege, dies zu tun.