Von “Sozialtourismus” ist nach der Öffnung der EU für bulgarische und rumänische Arbeitskräfte vielfach die Rede. Dabei gibt es Regeln, die dies verbieten
Vor rund 20 Jahren wurde das Recht auf Freizügigkeit, die Möglichkeit, an einem beliebigen Ort in der Europäischen Union zu leben, zu arbeiten oder zu studieren, allen EU-Bürgerinnen und Bürgern zuerkannt. Für 56 Prozent ist, gemäß Eurobarometer-Meinungsumfragen, genau diese Bewegungsfreiheit die größte Errungenschaft der EU-Integration überhaupt.
Und trotzdem wird mit der Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgarien und Rumänien und der Schweizer Abstimmung gegen “massive Zuwanderung” die politische Debatte um die Beschränkung der Personenfreizügigkeit neu entfacht. Befürchtet werden Lohndumping, Arbeitsplatzverknappung sowie der Missbrauch von Sozialleistungen. Begriffe wie “Sozialtourismus” und “Armutszuwanderung” polarisieren. Menschen, die eine neue Lebens- und Beschäftigungsperspektive suchen, werden gleich vorweg unter Generalverdacht gestellt – und die Tatsache, dass der heimische Arbeitsmarkt auf sie angewiesen ist, rasch unter den Tisch gekehrt.
Dabei ist etwaiger Missbrauch kaum möglich. Jeder EU-Bürger kann sich zwar für drei Monate regulär in einem anderen EU-Land aufhalten. Danach unterliegt der Aufenthalt jedoch bestimmten Bedingungen. Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige aus der EU sind inländischen gleichgestellt. Arbeitssuchende können sechs Monate lang vor Ort Job suchen. Eine etwaige Arbeitslosenunterstützung erhalten sie jedoch von ihrem Heimatland.
Studierende, Arbeitslose oder Pensionisten können nur dann länger in einem anderen EU-Land leben, wenn sie über genügend finanzielle Mittel verfügen, das Sozialsystem nicht belasten und krankenversichert sind. Erst nach fünf Jahren erwerben sie das Recht auf dauerhaften Aufenthalt. Bei “unverhältnismäßiger Belastung” des Sozialsystems beziehungsweise bei Betrug werden Aufenthaltsgenehmigungen auch aufgehoben.
Gleichlautende Prinzipien
Ein genereller Missbrauchsvorwurf ist daher weit gefehlt. Gelten sollte vielmehr das Prinzip “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort”, damit auch grenzüberschreitend entsandte Beschäftigte fair behandelt werden. In Österreich stellt zumindest die Lohn- und Sozialdumpinggesetzgebung sicher, dass alle hierzulande beschäftigten Arbeitnehmer auch kollektivvertraglich entlohnt werden.
Gerne übersehen wird aber auch, dass gerade Österreicherinnen und Österreicher die Vorteile der Freizügigkeit in Europa nutzen. So lebten nach Daten des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten 2012 etwa 243.000 Österreicher in Deutschland, 22.000 in Großbritannien und 15.000 in Spanien, während im selben Zeitraum 157.000 Deutsche, 8900 Briten und 4300 Spanier in Österreich zu Hause waren.
In Österreich lebende EU-Bürger weisen darüber hinaus eine höhere Beschäftigungsquote als Inländer aus. Wir profitieren also von EU-Bürgern, die mit ihren Steuern und Sozialabgaben ihren Beitrag für unser Sozialsystem leisten.
Die Forderung nach nationaler Auslegung der Freizügigkeit läuft der europäischen Integration zuwider. Ohne einen sachlichen Diskurs sowie ausreichende Informationen können weder Herausforderungen wie Lohndumping gelöst noch kann das volle Potenzial eines europäischen Arbeitsmarktes gänzlich ausgeschöpft werden. Von fairer Mobilität würden wir hingegen alle profitieren.