EU-Parlament unter Generalverdacht (Gastkommentar Die Presse)

Der Ruf des EU-Parlaments ist durch den Korruptionsskandal geschädigt. Es gibt jetzt viel zu tun, das wieder zu ändern.

Denn die einen sind im Dunkeln, und die anderen sind im Licht. Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Noch nicht, möchte man Bertolt Brecht heute zurufen! Nach der aufgedeckten Schmiergeldzahlung an ehemalige und aktuelle EU-Abgeordnete und ihre Mitarbeiter durch Drittstaaten, vermeintlich Katar und Marokko, stellen sich etliche Fragen: Ist das nur die Spitze des Eisbergs oder zieht dieser Korruptionsskandal zur vermeintlichen Imageverbesserung und gezielten Beeinflussung der Gesetzgebung weitere Kreise? Und auf welche Weise nehmen externe Akteure tatsächlich Einfluss auf europäischer, aber auch auf anderen politischen Ebenen? Noch scheinen längst nicht alle Machenschaften ans Tageslicht gekommen zu sein. So ehrlich muss man sein.

Der Ruf des EU-Parlaments ist durch diese Geschehnisse jedenfalls geschädigt, seine Glaubwürdigkeit schon jetzt geschwächt – und das eineinhalb Jahre vor der nächsten Europawahl. Als einzige direkt gewählte Bürgerkammer Europas, die anderen Akteuren ganz besonders auf die Finger sieht, wiegen die Vorwürfe besonders schwer. Umso strengere Maßstäbe müssen seinen Abgeordneten nun angelegt werden, denn ein Skandal dieses Ausmaßes wirkt weit über das EU-Parlament hinaus und schädigt das Ansehen der gesamten europäischen Politik, womit wichtige inhaltliche Arbeit in Krisenzeiten zu Unrecht in den Hintergrund gerät.

Es braucht nun rasch vollständige Aufklärung und Kooperation mit den zuständigen Behörden sowie verbesserte, strenge Regeln. Denn wie kommen die anderen der insgesamt 705 EU-Abgeordneten dazu, dass das Vertrauen in das EU-Parlament von einer Handvoll schwarzer Schafe unter ihnen in Mitleidenschaft gezogen wird? Umso wichtiger, dass Parlamentspräsidentin Roberta Metsola mit einem 14-Punkte-Plan in die Offensive gegangen ist. Abgeordnete sollen künftig noch stärker verpflichtet werden offenzulegen, welche Nebentätigkeiten sie verfolgen, mit wem sie sich treffen und wo sich etwaige Interessenkonflikte offenbaren könnten. Nach ihrem Ausscheiden soll es für ehemalige Mandatare ein zweijähriges Lobbyingverbot geben, sie sollen auch nicht mehr über unbeschränkten Zutritt zu Parlamentssitzen verfügen. Auch der Zugang von Lobbyisten soll beschränkt und stärker dokumentiert, parlamentarische Freundschaftsgruppen mit Nicht-EU-Ländern sollen aufgelöst werden.

Dies wären erste Schritte in die richtige Richtung. Allerdings sollten neue Regeln auch auf Parlamentsmitarbeiter ausgedehnt werden. Ebenso sollte Lobbying von Regierungen aus Drittstaaten im Transparenzregister des Parlaments angegeben, ein externes, unabhängiges Ethikkomitee mit Sanktionsmöglichkeit eingesetzt und nicht zuletzt die Immunität von Beschuldigten rascher aufgehoben werden.

Keine Zeit für Nabelschau

Zeit für eine langwierige institutionelle Nabelschau gibt es dabei nicht, zu groß sind die Herausforderungen, die es anzugehen gilt. Werden aber die richtigen Lehren gezogen, dann wird auch der größte Korruptionsskandal in der Geschichte des EU-Parlaments à la longue lediglich als eine weitere historische Anekdote wahrgenommen werden. Bei aller notwendigen Aufklärung werden jedoch auch die besten Regeln der etwaigen kriminellen Energie Einzelner keinen Riegel vorschieben können. Insbesondere die politischen Parteien in den Mitgliedstaaten wären daher gut beraten, genauer als bisher zu prüfen, welche Persönlichkeiten in ihren Reihen für die wichtige Arbeit im EU-Parlament infrage kommen.