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EU-Kommission – im Dauer-Krisenmodus (Gastkommentar Paul Schmidt, KURIER)

Seit ihrem Amtsantritt am 1. November 2014 gibt es auch für die EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker kein Durchatmen. Krisenmanagement ist angesagt. Wirtschaftsstagnation, Grexit- und Brexit-Abenteuer, Terrorattacken, Ukraine-Konflikt, Flüchtlingsströme, TTIP und Luxleaks bestimmen die politische Agenda. Verschärft wird die Lage durch Renationalisierungstendenzen und neue Grenzdebatten. Nationalstaatliche Sichtweisen drängen die EU-Kommission, wesentlich politischer und ergebnisorientierter zu agieren. Schöne Worte reichen hier und heute schon lange nicht mehr.
Zu Beginn stand die Strategie Junckers, auf die Unterstützung des EU-Parlaments zu bauen und politisch erfahrene Kommissare und sieben Vizepräsidenten zur Zusammenarbeit zu verpflichten. Diese Struktur spiegelt die geplante Schwerpunktsetzung – mit dem Ziel Wachstum und Beschäftigung zu schaffen – wider: Errichtung eines digitalen Binnenmarkts, einer Energie- und Kapitalmarktunion, eine neue Handels- und Investitionsstrategie oder auch das EU-Forschungsprogramm “Horizont 2020”. Dazu konkrete Maßnahmen, die Wirtschafts- und Währungsunion krisenresistenter zu machen. Mit verbesserten Transparenzregeln, Zugang zu TTIP-Dokumenten und Kompromissvorschlägen wurde versucht, auf Kritiker zuzugehen. Das angestaute Misstrauen der Zivilgesellschaft konnte dadurch jedoch nicht überwunden werden.
Die Vielzahl an aktuellen, existenziellen Problemen erschwert die fokussierte Themensetzung. Ohne stärkeres Leadership des Präsidenten geht es nicht.
Und entscheidend ist letztlich, ob die Mitgliedstaaten mitspielen. Davon hängt etwa auch der Erfolg der 315 Milliarden schweren Investitionsoffensive, dem Herzstück des Juncker-Wachstumsprogramms, ab. Aktuell haben neun Mitgliedstaaten 40,5 Milliarden Euro für den neu eingerichteten Europäischen Fonds für strategische Investitionen zugesagt. Österreich ist noch nicht darunter.
Auch in der alles überschattenden Flüchtlingsfrage drängt die Kommission zu Recht auf die Solidarität der EU-28 und zeigt mit der Aufstockung von Frontex, Soforthilfen für Mitglied- und Anrainerstaaten, Plänen für Verteilung von Flüchtlingen und Registrierungszentren Initiative. 2,8 Milliarden Euro wurden für Syrien und Afrika-Treuhandfonds und humanitäre Hilfe aufgebracht. Die geplante Verdoppelung dieser Summe durch die Mitgliedstaaten steht aus. Der Aktionsplan mit der Türkei geht ebenfalls auf Handeln der Kommission zurück, wobei Timing und Inhalt ebenso umstritten sind.
Die Rolle der EU-Kommission muss es sein, mit offensiven Vorschlägen gegen nationale Egoismen aufzutreten und noch aktiver als bisher die Mitgliedstaaten zu Kompromissen zu bewegen. Für eine erfolgreiche europäische Politik braucht es letztlich die Bereitschaft aller Seiten, neue Wege zu gehen und Lösungsvorschläge mitzutragen. Das und nicht weniger erwartet sich nämlich die Bevölkerung.