EU-Klimapolitik – gemeinsam die Gratwanderung meistern (Gastkommentar Wiener Zeitung)

Das Erreichen der Klimaziele ist kein Spaziergang, es wird eher eine Höhenwanderung.

Unser Planet braucht Luft zum Atmen – und das dringend. 1,5 Grad Celsius: Um so viel darf die Erwärmung der Erde maximal fortschreiten, damit der Klimawandel für uns bewältigbar bleibt. Der kürzlich erschienene Weltklimabericht drängt darauf, Tempo und Umfang der bisherigen Maßnahmen zum Schutz des Klimas zu erhöhen und die aktuellen Strategien entsprechend anzupassen, um dem vielzitierten Klima-Kipppunkt zu entgehen.

Mit dem Grünen Deal haben wir bereits eine ausgeklügelte Strategie, um Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen und den Übergang zu einer grünen, ressourcenschonenden und treibhausgasfreien Wirtschaft zu bewerkstelligen. Der Grüne Deal wurde von allen EU-Mitgliedstaaten auf Chefebene beschlossen – selbstverständlich auch vom österreichischen Bundeskanzler. Es handelt sich also nicht um einen Vorstoß einer Handvoll übermotivierter Bürokraten, sondern um eine gemeinsame Initiative aller EU-Mitglieder. Wir sind daher auch alle für die Umsetzung des Grünen Deals verantwortlich.

Unser Klimaplan ist ein Mammut-Vorhaben, das nur gelingen kann, wenn alle ihren Beitrag leisten. Es weckt mancherorts aber auch Zweifel und Skepsis: Können wir andere Regionen auf der Welt wirklich dazu bewegen, den Klimawandel ebenso engagiert zu bekämpfen wie die Europäische Union? Wird unsere Wirtschaft im weltweiten Vergleich konkurrenzfähig bleiben? Begriffe wie Verzicht, Einschränkung und Zumutung machen in der öffentlichen Diskussion die Runde, wenn es um das Erreichen der Klimaziele geht – denken wir nur an die Debatte über das Aus für Verbrennermotoren. Dass mit einer Klimawende enorme Chancen verbunden sind, kommt dabei noch viel zu kurz.

Das Erreichen der gemeinsamen Klimaziele ist kein Spaziergang, das ist klar. Vielmehr müssen wir uns auf eine lange Höhenwanderung einstellen. Dabei sollten uns folgende prognostizierte Trends als Motivation dienen: Allein der Weltmarkt für saubere Energietechnologien soll sich bis zum Jahr 2030 verdreifachen – auf rund 600 Milliarden Euro jährlich. Bis 2050 werden weltweit 15 Mal mehr Elektrofahrzeuge gefertigt werden, als dies heute der Fall ist.

Transformation unserer Wirtschaft als Motor

Es zahlt sich aus, mehr als nur einen Gedanken in eine Transformation unserer Wirtschaft zu investieren und sie als Motor für mehr Jobs, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit – und nicht zuletzt natürlich auch für mehr Lebensqualität zu betrachten. Um die grüne Wende erfolgreich anzugehen, unterstützt die EU die Mitgliedstaaten umfassend: 800 Milliarden Euro werden durch das Aufbauinstrument “NextGenerationEU” zur Verfügung gestellt, dazu kommen spezifische Förderungen für die Regionen und der Fonds für einen gerechten Übergang, der besonders jenen Branchen zugutekommen soll, die mit der Umstellung von fossiler auf grüne Energie am meisten zu kämpfen haben werden. Gerade Letzteres ist auch von entscheidender Bedeutung, weil insbesondere soziale Aspekte im Zentrum des grünen Wandels stehen müssen.

Zu 90 Prozent sind die Beschlüsse des Grünen Deals bereits abgearbeitet. Die EU-Staaten und das EU-Parlament haben sich auf das Europäische Klimagesetz geeinigt, das unsere ehrgeizigen Ziele auch rechtlich verankert. Ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus, der die europäische Industrie vor Wettbewerbsnachteilen schützt, und die Reform des Emissionshandelssystems, durch welche die Schiff- und Luftfahrt verstärkt in die Pflicht genommen werden, sind ebenso auf Schiene.

Mit der “Netto-Null-Industrie-Verordnung”, die die EU-Kommission im März vorgeschlagen hat, soll ein einfacher und besser berechenbarer Rechtsrahmen für klimaneutrale Branchen in der EU geschaffen werden, wovon gerade Schlüsselsektoren, wie Batterien, Solarzellen, Wasserstoff und Windturbinen, sowie die damit zusammenhängenden Wertschöpfungsketten, profitieren.

Übrigens: Im Bereich der Batterien wurde durch eine europäische Initiative bereits viel bewirkt. Im Jahr 2016 machte die Produktion in der EU nur 3 Prozent des Weltmarkts aus. Dank der europäischen Batterieallianz werden wir nun bis 2030 in der Lage sein, 90 Prozent unseres Bedarfs zu decken. Ein praktisches Beispiel dafür, wie europäische Zusammenarbeit die Wettbewerbsfähigkeit fördert.

Umweltschutz und Entwicklungspotenzial

Der Grüne Deal dient also nicht nur dem Umweltschutz, sondern birgt gleichzeitig enormes Entwicklungspotenzial für die Wirtschaft. Er ist ein wichtiger Baustein, um Europa widerstandsfähiger zu machen. Auch um einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren – etwa im Energie- und Hochtechnologiesektor – ist es von entscheidender Bedeutung, dass Europa ein Hauptstandort für saubere Technologien wird und seine Produktionskapazitäten weiter erhöht.

Vieles, was die grüne Transformation betrifft, scheint uns heute noch abstrakt und wirklichkeitsfremd. Es ist alles andere als leicht, sich von Gewohntem zu verabschieden, und nicht selten braucht es einen – letztlich entscheidenden – Anstoß: Ein kleines, aber erhellendes Beispiel ist die Abschaffung der Glühbirne, die weit mehr Wärme als Licht abgegeben hat. Heute gibt es LED-Lampen in allen Varianten und allen Farben – und niemand trauert mehr der Glühbirne nach. Manchmal muss der Gesetzgeber eben den Schalter umlegen und dem Markt eine Richtung vorgeben, um Veränderungen zum Wohle der Umwelt und letztlich der Gesellschaft auszulösen.

Wir alle können trefflich über europäische Entscheidungen streiten und diskutieren. Dabei sollten wir aber nicht auf der Stelle treten oder uns nur im Kreis drehen. Das Geheimnis des Vorwärtskommens besteht darin, entschlossen einen Schritt nach dem anderen zu setzen. Und am besten tun wir das gemeinsam.

Martin Selmayr und Paul Schmidt absolvieren eine EU-Gipfeltour in allen Bundesländern, um über Europa ins Gespräch zu kommen (https://europa.eu/!xDbC3T). Am 25. April diskutieren sie gemeinsam mit Experten bei einer Wanderung zu den Krimmler Wasserfällen das Thema “EU-Klimapolitik: Eine Gratwanderung zwischen Klimaschutz und Wirtschaft?” (https://europa.eu/!7wnmR3). Bürgerinnen und Bürger sind dazu herzlich eingeladen. Treffpunkt ist um 9.45 Uhr beim ÖAV Warnsdorf/Krimml.