Die Zukunft der Banken (Gastkommentar, Wiener Zeitung)

In der Wirtschaftskrise ab 2008 waren Banken ein wesentlicher Teil des Problems. In der jetzigen, tiefer gehenden, Corona-Krise haben sie durch die Bereitstellung von Liquidität und die Einbindung in eine Vielzahl von Hilfsprogrammen in erheblichem Ausmaß zur Bewältigung der gesamtwirtschaftlichen Probleme beigetragen. Dabei ist aber stets zu unterscheiden zwischen (mehr oder weniger) kurzfristigen Krisenaspekten und langfristigen strukturellen Herausforderungen. Das gilt für die Ebenen der Weltwirtschaft, der EU und spezifisch österreichischer Aspekte.

Im vergangenen Jahrzehnt hat sich – in Widerspiegelung der gesamtwirtschaftlichen Dynamik – eine massive Verschiebung in den weltwirtschaftlichen Größen- und Machtverhältnissen in der Bankwirtschaft ergeben. Von den nach Marktkapitalisierung weltweit zehn größten Banken kamen 2019 je vier aus den USA und aus China. Die nach Marktkapitalisierung größte Bank der Eurozone, BNP Paribas, belegte Platz 19, die Deutsche Bank Platz 56 der größten Geldinstitute.

Erhebliche Unterschiede zeigen sich langfristig auch in den Finanzierungsstrukturen. Für China charakteristisch ist die enge Verknüpfung zwischen der Rolle der Banken und der staatlichen Investitions- und Finanzpolitik. In den USA erfolgt die Außenfinanzierung des Wirtschaftsgeschehens überwiegend über die Kapitalmärkte, in Europa dagegen über den Bankenbereich. Die Börsenkapitalisierung betrug in den USA 104 Prozent des BIP, in der EU 43 Prozent, in Österreich 20 Prozent (Stand 2015). Der Anteil der Kredite an den Privatsektor belief sich in den USA auf 55 Prozent, in der EU auf 136 Prozent, in Österreich auf 120 Prozent des BIP. Die große Bedeutung der Kapitalmarktfinanzierung in den USA bedeutet auch, dass US-Banken über ihre Funktionen als Investmentbanken von einer Politik langfristig niedriger Zinssätze eher profitieren, während eine solche für europäische Banken – jedenfalls bei isolierter Betrachtung – eine erhebliche Herausforderung darstellt. Entsprechend sind im – gesamtwirtschaftlich ja nicht immer unproblematischen – Investmentbanking die europäischen Banken weiter hinter die US-Banken zurückgefallen.

In der Gesamtbetrachtung ergibt sich auch eine deutlich geringere Profitabilität des europäischen Bankensektors , was wieder zu niedrigeren Aktienkursen und deutlich geringeren Preis/Buch-Ratios (Verhältnis Kapitalmarktbewertung zu Bilanzbewertung) führt. Dabei zeigen sich allerdings auch innerhalb Europas erhebliche Unterschiede. Während typischerweise skandinavische Banken Preis/Buch-Ratios über 1 aufweisen (Swedbank 1,33 im November 2020), liegt dieser Wert etwa für die Deutsche Bank bei 0,38 und bei der UniCredit 0,31.

In den USA spielt neben den Banken der Bereich der “Schattenbanken” (Hedgefonds, Geldmarktfonds, aber auch Versicherungen) eine erhebliche und unter Finanzierungsaspekten vergleichsweise weniger kontrollierte Rolle. Auch in der Eurozone kommt ihnen inzwischen erhebliche Bedeutung zu. Gemäß dem jüngsten EZB-Finanzstabilitätsbericht werden bereits rund 20 Prozent der Kredite an Unternehmen vom Bereich der “Schattenbanken” vergeben. Dies bedeutet eine Verdoppelung innerhalb von zehn Jahren.

Das “Basel”-Modell muss nicht immer von Vorteil sein

Welche Schlussfolgerungen lassen sich ableiten? Zunächst ist auch für Europa von einer wachsenden Bedeutung der Kapitalmarkt-Finanzierung auszugehen. Dies wird noch verstärkt durch die längerfristigen Auswirkungen der internationalen “Basel”-Bankregulierungen, die ja wesentlich vom angelsächsischen Modell der Kapitalmarkt-basierten Finanzierung beeinflusst sind. Unter gesamtwirtschaftlichen Risikoaspekten bedeutet das eine günstigere Risikostreuung – in Hinblick auf europäische Wirtschaftsstrukturen muss das “Basel”-Modell dagegen nicht durchgehend von Vorteil sein. Das traditionelle Hausbank-Modell einer langfristigen gegenseitigen Vertrauensbeziehung zwischen Bank und Kreditnehmer kann gerade für Volkswirtschaften mit einem erheblichen Anteil von Klein- und Mittelbetrieben von großer und positiver Bedeutung sein. Daher sollte sich Europas Wirtschaftspolitik bemühen, im Rahmen der weiteren Entwicklung der internationalen Finanzregulierung diesen Aspekten der KMU-Finanzierung spezielle Beachtung zu sichern.

Zweifellos wird es auch in Europa darum gehen, die Rolle der Kapitalmärkte zu stärken, was im Rahmen der vielfältigen Maßnahmen einer europäischen Kapitalmarktunion angestrebt wird. Hinsichtlich der Bankenunion wurden ja durch die weit fortgeschrittene einheitliche EU-Bankenregulierung und die Schaffung einer einheitlichen EU-Bankaufsicht im Rahmen der EZB deutliche Erfolge erzielt. Offen ist das Projekt einer einheitlichen Einlagensicherung für die Euro-Banken, das grenzüberschreitende Bankfusionen wesentlich erleichtern würde. Immerhin zeichnen sich hier aber realisierbare Zwischenschritte ab.

Weiters ist Europas Bankensektor stark zersplittert. Mit mehr als 5.000 Finanzinstituten gibt es derzeit in der EU zweifellos Überkapazitäten und damit verbundene niedrige Profitabilität. Gerade auch die Herausforderungen der Digitalisierung werden gewaltige Investitionen erzwingen, die vielfach mit Fusionierungen verbunden sein werden. Solche Prozesse laufen in Europa auf nationaler Ebene schon vielfach, sie stellen freilich oft eine durchaus herausfordernde Managementaufgabe dar. Übernationale Zusammenschlüsse konnten sich dagegen trotz europäischer Bankenunion bisher noch kaum durchsetzen.

Herausforderungen durch
die Corona-Pandemie

Sämtliche globale und europäische Entwicklungen sind selbstverständlich auch von Bedeutung für Österreichs Bankensystem. Das gilt auch für die Herausforderungen, die sich angesichts der Corona-Pandemie stellen. Die heimischen Banken waren und sind ein wesentlicher Teil der Stabilisierungsmaßnahmen, die dazu beitragen, dass sich die Einbrüche sowohl auf der Angebots- wie der Nachfrageseite nicht zu einer eskalierenden Wirtschaftskrise entwickeln. Dies insbesondere durch Bereitstellung erforderlicher Liquidität (speziell für den KMU-Bereich), Abwicklung staatlicher Garantien und Kreditstundungen im Ausmaß von insgesamt 22 Milliarden Euro. Dabei hilft, dass Österreichs Banken mit einer Kernkapitalquote von rund 15,5 Prozent gut gerüstet sind.

Allerdings erfordern erwartbare künftige Belastungen bereits jetzt eine massive Erhöhung der Risikovorsorgen. Dies führte im ersten Halbjahr 2020 für den Bankenbereich gegenüber dem Vorjahr zu einem Gewinnrückgang um 75 Prozent auf 900 Millionen Euro – dieser Betrag entspricht etwa dem Gewinnbeitrag der österreichischen Tochterbanken in Zentral-, Ost- und Südosteuropa. Pauschal betrachtet war demnach das Österreich-Geschäft insgesamt ertraglos. Die Aufwandsertragsquote, die im Vorjahr für den Gesamtbereich noch bei etwa 65 Prozent lag, stieg im zweiten Quartal 2020 auf 72,3 Prozent. Freilich zeigten sich erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Banken.

Hinsichtlich der künftigen Entwicklung der notleidenden Kredite beziehungsweise der Insolvenzen gibt es unterschiedliche Schätzungen. Mit Auslaufen der unterschiedlichen Hilfsmaßnahmen und speziell der Stundungsmaßnahmen ist aber selbst bei genereller wirtschaftlicher Erholung ein Anstieg der notleidenden Kredite und der Insolvenzen zu erwarten. Die Banken müssen dem durch eine entsprechende Dotierung der Risikovorsorgen Rechnung tragen, was ja auch in den überwiegenden Fällen geschieht.

Krisenresistenz durch hohe Eigenkapitalquoten sichern

Generell geht es darum, die Krisenresistenz der Banken durch entsprechend hohe Eigenkapitalquoten zu sichern. Hier kann sich freilich mittelfristig ein gewisses Dilemma ergeben: Unmittelbar werden Europas Aufsichtsinstanzen im Sinn der Krisenresistenz für möglichst geringe Gewinnausschüttungen eintreten – mittelfristig wird freilich für die Bereitstellung von neuem Kapital über die Aktienmärkte in Kombination mit Kursperspektiven auch die Dividendenpolitik der Unternehmen eine Rolle spielen. Die ungünstigen Wert/Buch-Relationen der europäischen Banken spiegeln die schwierigen Voraussetzungen für eine substanzielle Außenfinanzierung. Auf die Aufsichtsbehörden kommen daher mit Blick auf die langfristige Bankenstabilität sehr sensible Abwägungsfragen zu.

Von der realwirtschaftlichen Seite her ist es von großer Bedeutung, im Normalisierungsprozess nach der Krise den zu erwartenden Anstieg der Konkurse in Grenzen zu halten und zu vermeiden, dass gesunde Unternehmen mitgerissen werden. Der vom großen österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter geprägte und in der aktuellen Krise oft zitierte Begriff der “schöpferischen Zerstörung” bezieht sich auf strukturelle Entwicklungen und nicht auf den Effekt tiefgreifender Wirtschaftseinbrüche. August Friedrich Hayeks Konzept der “Reinigungskrise” und die daraus folgende Empfehlung der Nicht-Intervention hat sich dagegen stets als Krisen verschärfend und verlängernd erwiesen.

Beim – später zweifellos erforderlichen – Übergang vom Krisenmodus zum Normalbetrieb gilt es sehr vorsichtig und schrittweise vorzugehen. Darüber hinaus muss man sich bewusst sein, dass sich bei einer langfristigen Wirtschaftsschwäche für Firmen ja nicht nur Liquiditäts-, sondern vor allem auch Eigenkapitalprobleme ergeben können. Hier wird es notwendig sein, innovative Formen der Eigenkapitalzuführung zu entwickeln. Für den KMU-Bereich könnte dies etwa in Form öffentlich-privater Beteiligungsgesellschaften erfolgen.

Ausdünnung des Filialnetzes und Technologiekosten

Neben den Risikoaspekten sind auch langfristige Änderungen im Bankkundenverhalten und entsprechende Kostenwirkungen von Bedeutung. Der durch die Pandemie verstärkte Anteil elektronischer Geschäftsfelder wird die Ausdünnung des Filialnetzes beschleunigen und weitere massive Kosten der technologischen Aufrüstung mit sich bringen. Im internationalen Vergleich weist Österreich noch immer ein sehr dichtes Filialnetz auf – andererseits mehren sich bereits Probleme der regionalen Versorgung mit Bankdienstleistungen. Laut einer Studie der Nationalbank gab es Ende 2019 in 555 österreichischen Gemeinden (27 Prozent aller Gemeinden) keine Bankfiliale mehr; im Jahr 2000 waren es 271.

Die Zweigstellenproblematik ist freilich nur ein Teilbereich des grundlegenden Problems hoher Aufwands-/Ertragsraten. Zur Lösung oder zumindest Entschärfung sind zahlreiche Maßnahmen nötig. Ein wesentlicher Aspekt wäre zweifellos eine beschleunigte Konsolidierung im österreichischen Bankenbereich. Eine Lösung der traditionellen Branchenkonstellation von “Verdrängungswettbewerb ohne Verdrängung” ist wohl nur durch Konsolidierungsschritte möglich. Diese sind in Zukunft wohl nicht mehr nur sektorintern, sondern auch sektorübergreifend zu erwarten.

Die Geld- und Kreditwirtschaft ist stets ein zentraler und spannender Bereich einer Volkswirtschaft. Die Verbindung von internationalen Entwicklungen und nationalen Erfordernissen sowie ökonomische, technologische und auch gesellschaftspolitische Einflussfaktoren sorgen kontinuierlich für Dynamik und neue Herausforderungen. Dies müssen alle Akteure im betriebswirtschaftlichen wie im volkswirtschaftlichen Bereich möglichst frühzeitig erfassen und nicht nur reagieren, sondern nach Möglichkeit mitgestalten. In den Führungspositionen vieler Banken in Europa, teils auch in Österreich, findet derzeit ein Generationenwechsel statt – hier wird eine große Verantwortung weitergegeben.