Die Welt wartet nicht auf Europa (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Die neue EU-Kommission sollte die wirklichen Probleme Europas rasch angehen können.

Mittlerweile ist es mehr als vier Monate her, dass das neue EU-Parlament gewählt wurde. Vor bereits drei Monaten wurde Jean-Claude Juncker auf Basis des Wahlergebnisses der EU-Wahl zum künftigen Präsidenten der EU-Kommission bestimmt. Ihre Arbeit – und Arbeit gibt es genug – kann die neue EU-Kommission gemäß institutionellem Zeitplan aber erst mit 1. November aufnehmen.

Bis dahin leitet und lenkt die abtretende EU-Kommission unter José Manuel Barroso die Geschicke Europas. Jedoch mit beschränktem Aktionsradius. Neue Initiativen werden keine mehr gestartet. Zudem haben alleine sechs Kommissare aufgrund der EU-Wahl ihre Posten frühzeitig verlassen und mussten ersetzt werden. In dieser Übergangszeit, in der sich die Aufmerksamkeit insbesondere auf Personalfragen der gerade entstehenden neuen EU-Kommission konzentriert, bleibt aber die Welt nicht stehen. Das ewige Hin und Her um Posten blockiert vor allem die Gemeinschaftsmethode, wodurch die EU-Institutionen – und damit die gesamte EU – an politischer Schlagkraft einbüßen.

Ein Beispiel: Gerade, als sich die EU-Staats- und -Regierungschefs im Rahmen des Europäischen Ratstreffens am 16. Juli eben nicht auf eine neue EU-Außenbeauftragte einigen konnten, stand die Ukraine am Rande eines Krieges. Weder weltweite Krisen noch dringend zu lösende innereuropäische Fragen warten auf verzögerte, europäische Beschlüsse. Die EU kann aber nur dann mit voller Kraft agieren, wenn sie sich auf eine gemeinsame Position einigt und mit einer Stimme spricht. Daher müssen die europäischen Strukturen einfacher und die Entscheidungsfindung schneller werden.

Die aktuelle Themenpalette verlangt danach. Sie reicht von außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen wie dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, dem IS-Terror im Nahen Osten und den Bomben zwischen Israel und Palästina über die Bewältigung von Flüchtlingsströmen und gemeinsame Initiativen gegen Ebola bis hin zu Antworten auf die aktuelle Wirtschaftslage, Fragen der Energiesicherheit und blockierte Freihandelsabkommen.

Handlungsbedarf ist gegeben, doch der Übergang von der alten zur neuen EU-Kommission dauert entschieden zu lang und zeigt Widersprüche auf. So kann es nicht sein, dass die neue Kommission die notwendige Energiewende beschwört, während die abtretende Kommission mit der Genehmigung britischer Beilhilfen für den Bau eines AKW gerade energiepolitische Tatsachen schafft.

Demokratie braucht Zeit. Aber die Anhörungen der Kommissionskandidaten hätten nach der Konstituierung des EU-Parlaments schon im Juli stattfinden können. Das hätte der neuen Kommission ermöglicht, viel früher durchzustarten. Die institutionellen Zyklen sollten daher im Hinblick auf 2019 neu durchdacht werden, um dem engeren Zusammenspiel zwischen EU-Parlament und EU-Kommission Rechnung zu tragen. Jean Claude Juncker hat sich viel vorgenommen. Die neue Kommission hat wahrlich keine Zeit zu verlieren, um die unterschiedlichen europäischen Interessen zusammenzuführen und die tatsächlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu meistern.