Die Ukraine ist Teil der europäischen Familie (Gastkommentar Oberösterreichische Nachrichten)

Der Ukraine und anderen Nachbarländern, wie auch Georgien oder Moldau, eine stärkere europäische Anbindung, in welcher Form auch immer, anzubieten, ist ein Gebot der Stunde.

Die EU-Verträge sind klar formuliert. Jedes europäische Land, das die europäischen Werte achtet, kann eine EU-Mitgliedschaft beantragen. Die Ukraine hat ihr Beitrittsansuchen an die EU nun dieser Tage gestellt. In einer dramatischen Situation, in der die Bevölkerung versucht, sich mit allen Kräften gegen die russische Militärinvasion zu stemmen, ringt das Land um jede Art der Unterstützung. Der Beitrittsantrag ist dabei ein weiterer Hilferuf. Ein weiterer Beleg dafür, dass sie sich als Teil Europas fühlt und im Kampf um ihre Existenz die europäischen, und damit unsere, Werte verteidigt. Die Ukraine ist unser Nachbar. Sie ist ein Mitglied der europäischen Familie und jede Annäherung an die EU, über das bestehende Assoziierungsabkommen, die EU-Nachbarschaftspolitik und die östliche Partnerschaft hinaus, ist zu begrüßen.

Ein potenzieller Kandidatenstatus wäre folglich vor allem eine politische Geste. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Abkürzung zur etwaigen EU-Mitgliedschaft oder ein politisches Versprechen in diese Richtung wäre es jedenfalls nicht. Denn schon vor diesem furchtbaren Krieg war der Reformstau in der Ukraine enorm. Auch EU-Erweiterungsverhandlungen sind übrigens nicht immer von Erfolg gekrönt. Davon kann etwa die Türkei ein Lied singen. Sie hat vor 35 Jahren ihren Beitrittsantrag gestellt, vor 17 Jahren zu verhandeln begonnen und die Gespräche liegen seit Jahren auf Eis. Darüber hinaus sind auch die Länder des Westbalkans in der EU-Warteschleife. Deren Reformfortschritte sind zwar von Land zu Land verschieden, aber trotzdem eher bescheiden. Auch deswegen sind allfällige weitere EU-Beitritte alles andere als in Stein gemeißelt und liegen in weiter Ferne – wobei der Westbalkan wohlgemerkt weniger als halb so viele Einwohner hat wie die Ukraine. Eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine ist aktuell, so ehrlich muss man sein, demnach schwer vorstellbar. Sie würde vollkommen überfordern und steht nicht zur Debatte. Was die Ukraine allerdings gerade erleidet, wird auch Europa für immer verändern. Selbst wenn es nie zu einem EU-Beitritt kommen sollte – und wer weiß schon, was die Zukunft bringt – eine europäische Perspektive hat das Land jedenfalls.

Der Ukraine und anderen Nachbarländern, wie auch Georgien oder Moldau, eine stärkere europäische Anbindung, in welcher Form auch immer, anzubieten, ist ein Gebot der Stunde. Genau darum geht es. Um einen weiteren symbolischen Schritt in einer dramatischen Zeit voller Unsicherheit.

 

Paul Schmidt