In den vergangenen vier Jahrzehnten gab es 57 nationale EU-Referenden – sowohl inhaltlicher als auch grundsätzlicher Natur. Auf 19 Beitrittsreferenden folgten 15 EU-Beitritte. Norwegen und die Schweiz entschieden sich gleich zwei Mal mehrheitlich gegen eine EU-Mitgliedschaft. Grönland und – unlängst – Großbritannien stimmten für einen Austritt aus der EG bzw. EU.
Die gesamte EU wird von Richtungsentscheidungen in einzelnen Mitgliedsstaaten beeinflusst:
Irland stimmte 2001 dem Vertrag von Nizza im zweiten Anlauf zu, nach Zugeständnissen bei der gemeinsamen Verteidigungspolitik.
In Frankreich machte Präsident Chirac 2005 das EU-Verfassungsreferendum zu einer Auseinandersetzung um seine Politik und trat nach verlorener Abstimmung zurück.
Danach lehnten auch die Niederländer die europäische Verfassung ab. Letztlich wurde der abgespeckte Vertrag von Lissabon von den jeweiligen nationalen Parlamenten ratifiziert. Erst heuer stimmten 2,5 Millionen Niederländer gegen ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine und entschieden damit über die Zusammenarbeit der gesamten EU mit Kiew.
Die letzten vier nationalen EU-Referenden wurden von Integrationskritikern gewonnen, so auch das britische. Die Art und Weise dieser Auseinandersetzung hinterlässt einen Nachgeschmack: nicht Pro- bzw. Contra-Argumente dominierten die Debatte, sondern innenpolitische Themen und parteipolitische Machtkämpfe. Reihenweise Rücktritte der EU-Gegner und -Befürworter trugen wenig zur Klärung der Situation bei. Weiters könnte ein britischer EU-Austritt zu weiteren Unabhängigkeitsreferenden und letztlich einem Auseinanderbrechen Großbritanniens führen.
Mehr Abstimmungen?
Der Ruf nach mehr Volksabstimmungen in den EU-Mitgliedstaaten geht einher mit der Kritik an der repräsentativen Demokratie und dem gefühlten Demokratiedefizit in Europa.
Das britische Beispiel zeigt aber deutlich, dass Referenden allein keine Probleme lösen. Nationale Ja/Nein-Entscheidungen sind legitim, greifen jedoch bei komplexen Themen oft zu kurz. Auch das von Premierminister Orbán angestrebte Referendum in Ungarn über die Akzeptanz von Flüchtlingsquoten wird sich diesem Trend nicht entziehen.
Bei grundsätzlichen Fragen nationaler Kompetenz, wie etwa einer EU-Mitgliedschaft, können nationalstaatliche Referenden der richtige Weg sein.
Bei Herausforderungen, die das Funktionieren der EU insgesamt betreffen, wären dagegen europaweite Referenden ein Beitrag, einzelne Blockaden zu vermeiden und eine gesamteuropäische Debatte in Gang zu setzen.
Letztlich gilt: Die direkte Demokratie kann die repräsentative Demokratie – auf der jeweiligen Ebene – zwar ergänzen, ersetzen kann sie diese aber nicht.
Mag. Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.