Während sich in Österreich alles um Neuwahlen dreht, gewinnt nach den Wahlen in Frankreich die Diskussion über die Zukunft der EuropäischenUnion weiter an Fahrt. Ungeachtet innenpolitischer Weichenstellungen: Die EU-Reformdebatte sollte – schon im eigenen Interesse – in den kommenden Wochen und Monaten auch hierzulande intensiv geführt und nicht zu einem Nebenschauplatz degradiert werden.
Selten war der Weg, den Europa einschlagen wird, so offen wie heute. Umso wichtiger, dass auch wir uns positionieren und die unterschiedlichen Konzepte aus den Schubladen hervorholen. Diese sollten breit diskutiert und auf europäischer Ebene präsentiert werden. Aktivismus wäre jetzt gefragt.Denn als passiver Passagier werden wir das Ziel der europäischen Integrationsreise kaum beeinflussen können.
Reformszenarien
Auf der Suche nach einem gangbaren Zukunftsweg hat Kommissionspräsident Juncker fünf Reformszenarien zur Diskussion gestellt. Laut einer aktuellen Umfrage der Gesellschaft für Europapolitik wünschen sich die ÖsterreicherInnen vor allem eine flexible und effiziente Union. Vier von fünf Befragten unterstützen die Idee, dass jene EU-Mitgliedstaaten, die in bestimmten Bereichen stärker zusammenarbeiten möchten, dies auch tun dürfen. Zwei von drei ÖsterreicherInnen wollen, dass die EU sich nur auf große Fragen konzentriert und zwei Drittel sprechen sich dafür aus, dass die EU-Länder ihre Zusammenarbeit in allen Politikbereichen intensivieren. Eine Fortführung des Status quo ist für die große Mehrheit explizit keine Option, ebensowenig eine EU als reine Wirtschaftsgemeinschaft.
Blockaden
In den vergangenen Jahren sind unterschiedliche Sichtweisen über Ausmaß und Ausrichtung der Integration unter den Mitgliedsländern noch sichtbarer
geworden. Gemeinsame Entscheidungen wurden dadurch verzögert, die europäische Handlungsfähigkeit stark beeinträchtigt. Dass alle EU-Mitglieder ihre Zusammenarbeit künftig zeitgleich vertiefen, scheint bei den derzeitigen Divergenzen daher wenig realistisch. Um Blockaden zu überwinden, ist der weitere Ausbau eines Europas mit verschiedenen Geschwindigkeiten hingegen ein durchaus vorstellbarer Weg. Er wäre auch kein Widerspruch zu dem Anspruch, sich vor allem den großen Themen widmen zu wollen.
Die Frage, wie es mit der Union weitergehen soll, ist eine Richtungsentscheidung, die nicht für uns, sondern nur mit uns in Europa getroffen werden sollte. Inmitten der Brexit-Verhandlungen, eines erstarkenden Nationalismus und eines zusehends unvorhersehbaren geopolitischen Umfelds ist eine
gründliche Neuaufstellung der EU mit sinnvoller Aufteilung der Zuständigkeiten unumgänglich. Wahlen hin oder her. Österreich braucht klare europäische Positionen und Zukunftsideen. Wird diese Debatte hierzulande vertagt, dürfen wir uns später nicht wundern, wenn sich unsere Vorstellungen schlussendlich am Abstellgleis wieder finden.