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David Cameron irrt! (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Der britische Premierminister hat “für Demokratie und die Interessen Europas” plädiert. Die EU-Wahlen und der neue Bestellungsmodus des EU-Kommissionspräsidenten leisten gerade dafür einen großen Beitrag.

Der britische Premier David Cameron möchte zurück zum Status quo ante. Zu einer EU, in der einzelne Regierungschefs unter Ausschluss der Öffentlichkeit die besten Kandidaten für den Job des Kommissionspräsidenten verhindern, um nationale Einflussmöglichkeiten zu wahren. Das Rad der Geschichte ist aber nicht mehr zurückzudrehen.

Dem Vertrag von Lissabon hat auch Großbritannien zugestimmt. Dieser besagt: “Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor und berücksichtigt dabei das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament wählt diesen Kandidaten dann mit der Mehrheit seiner Mitglieder.” Vor diesem Hintergrund haben 24 von 28 Regierungschefs in ihren Parteienfamilien beschlossen, europäische Spitzenkandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten zu nominieren. Die britischen Tories haben sich daran nicht beteiligt. Mehrheitsentscheidungen und demokratische Verfahren sind trotzdem zu respektieren.

Der europäische Wahlkampf war eine Premiere. Viele Bürger in der EU wussten, dass sie zum ersten Mal auch mitbestimmen können, wer Kommissionspräsident wird. Aus der geringen Wahlbeteiligung eine fehlende Legitimation für den Wahlgewinner abzuleiten, ist aber weit gefehlt.

Es geht um die Initiierung eines weiteren Demokratisierungsprozesses in der EU. Nicht nur Eliten, sondern die Bevölkerung soll darüber mitentscheiden, in welche Richtung sich die EU entwickelt. Darum wurde die Nominierung des Kommissionspräsidenten erstmals an das Ergebnis der EU-Wahlen gekoppelt. Die Ernennung von Spitzenkandidaten sollte die rechtlichen Bestimmungen nun in der Praxis ausgestalten.

Gemäß Cameron hätten die Bürger die EU bei den Wahlen deshalb abgestraft, weil sie sich zu wenig auf die Themen Wachstum und Arbeitsplätze konzentriere. Aber ist wirklich die EU alleine schuld daran, dass Wachstum und Beschäftigung in Europa eingebrochen sind? Sind für diese Bereiche nicht nach wie vor die Nationalstaaten zuständig? Und was hat der britische Premierminister selbst getan, um das Wirtschaftswachstum in Europa anzukurbeln? Viel eher wurden einigen Regierungen bei den EU-Wahlen doch nationale Denkzettel verpasst.

Wer sich Demokratie auf die Fahnen heftet, muss auch Mehrheitsentscheidungen respektieren. Die reflexartige Androhung des EU-Austritts und das Pokern um nationalen Einfluss sind kontraproduktiv. Der Europäische Rat wäre gut beraten, nationale Eigeninteressen hinter sich zu lassen und rasch Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsidenten zu nominieren. Letztlich torpediert die Blockade Camerons nämlich die eigene Forderung nach einem gemeinsamen Europa, das sich endlich verstärkt um Wachstum und Beschäftigung kümmern soll.