Zurück ins nationale Schneckenhaus? (Gastkommentar Paul Schmidt, Wiener Zeitung)

Mit dem Brexit-Votum steckt Großbritannien in der Sackgasse. Der Traum von alter Größe ist schon jetzt ein Albtraum. Die monatelangen Verhandlungen sind mühsam, weil kompliziert. Herzeigbare Ergebnisse gibt es nach wie vor keine. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – ist die Zustimmung zur EU in Österreich, ebenso wie in anderen EU-Ländern, nach dem Brexit-Referendum gestiegen. Das verbesserte EU-Meinungsbild liegt allerdings weniger an der besonders erfolgreichen europäischen Performance, sondern eher an der unsicheren internationalen Lage und eben am Brexit-Schlamassel.
Dennoch haben sich die britischen Debattenbeiträge rasch auf andere EU-Länder übertragen – auch auf Österreich. Die Forderung nach verstärktem Bürokratieabbau auf EU-Ebene und nach einem Zurückfahren des Regelwerks, das Zurückweisen des Konzepts einer “immer engeren Union” und das Begehren, Sozialleistungen für EU-Ausländer zu kürzen, wären nur einige wenige Beispiele. Vorwürfe überbordender Bürokratie und Regulierungswahn sind inhärenter Teil der österreichischen EU-Debatte. Österreich will ein schlankeres, subsidiäres Europa. Vorschläge für eine neue Kompetenzaufteilung bleibt man jedoch schuldig. Man wartet lieber die Ergebnisse der zuständigen Taskforce der EU-Kommission ab. Von der gekrümmten Gurke bis zur Allergenverordnung wird hierzulande jedoch kein Thema ausgelassen. Dass die EU-Kommission bereits seit Jahren an einer massiven Reduktion neuer Regulierungen arbeitet, wird ebenso bewusst ignoriert wie die Tatsache, dass die Gurkenkrümmung in Österreich schon lange vor dem EU-Beitritt geregelt war und die Allergenverordnung wesentlich aufwendiger umgesetzt wurde als in den meisten anderen EU-Ländern.

Die Forderung nach einer Kürzung der Sozialleistungen für EU-Bürger und die Anpassung der Familienbeihilfe an die Lebensstandards in den jeweiligen EU-Staaten zeigen Parallelen zur britischen Debatte und sind ständig wiederkehrende Themen. Die Migrationsthematik ist in der heimischen Debatte ebenso omnipräsent. Wobei im politischen Diskurs Begriffe verzerrt und nicht selten EU-Migranten mit Flüchtlingen aus Drittländern vermischt werden. Beide werden dabei als Belastung des Sozialsystems und als Sicherheitsrisiko dargestellt.
Durch den Wegfall britischer Budgetbeiträge wird es bei den Verhandlungen um den nächsten EU-Finanzrahmen massive Kürzungen und Verschiebungen geben müssen. Dabei wird Österreich, wenn es mehr zu zahlen ablehnt, nach dem Brexit aus einem reduzierten Budget letztlich auch weniger Förderungen erhalten. Die Verwunderung über einen nicht ausreichend funktionierenden Außengrenzschutz, einen unfertigen Wirtschafts- und Währungsraum und eine geschwächte Kooperation bei der internationalen Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung sollte dann aber nicht zu groß sein. Denn dafür werden auf EU-Ebene womöglich die Budgetmittel fehlen.

Im Gegensatz zu den Briten wird sich Österreich nicht aus der europäischen Familie verabschieden. Gerade deshalb sollten wir uns auch einmal überlegen, inwieweit wir die EU besser machen können, ohne sie ständig kleiner machen zu wollen.