Brexit: Draußen bleibt draußen (Gastkommentar Paul Schmidt, Der Standard)

Brexit bleibt Brexit. Nach dem britischen Referendum am 23. Juni gibt es praktisch kein Zurück mehr, möchte man Großbritannien nicht vollends ins politische Chaos stürzen. Daran wird auch das britische Unterhaus letztlich nichts mehr ändern.
Alles wartet daher gespannt auf den offiziellen Beginn der Austrittsverhandlungen zwischen London und Brüssel. Den Startschuss dafür geben die Briten, indem sie den Austrittswunsch auf europäischer Ebene offiziell deponieren. Hinter den Kulissen haben die ersten informellen Brexit-Gespräche – mit dem Ziel, Animositäten zu kalmieren und zur Sachlichkeit zurückzukehren – jedoch längst begonnen.
Während die Briten gern eine maßgeschneiderte Brexit-Lösung hätten, die Kontrolle über die Einwanderung erlaubt und vollen Zugang zum Binnenmarkt ermöglicht, wäre die EU – ihrer eigenen Existenz wegen – gut beraten, sich nicht auf eine, von einzelnen nationalen Interessenlagen getriebene Sonderlösung einzulassen. Ein Auseinanderdividieren der EU-27 würde die europäische Verhandlungsposition erheblich schwächen. Bei einem allzu kulanten Brexit-Deal könnte das Beispiel auch unter anderen EU-Mitgliedern rasch Schule machen.

Ausgangsposition festlegen
Reisende soll man zwar nicht aufhalten, aber sie sollten fairerweise von Anfang an wissen, wohin die Reise geht. Die Grundlagen für eine solche Scheidung – gerade wenn es die allererste ist – müssen klar sein.
Möchte sich die EU also nicht ins eigene Fleisch schneiden, muss sie eine eindeutige und unmissverständliche Ausgangsposition definieren: Ein uneingeschränkter Zugang zum Binnenmarkt ist nur möglich, wenn auch die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit beibehalten wird. Dieses Modell hat zum Beispiel Norwegen gewählt. Oslo genießt den vollen Zugang zum Binnenmarkt, ohne diesen letztlich mitgestalten zu können, und akzeptiert damit den freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr und damit eben auch die Personenfreizügigkeit, also den Kern des gemeinsamen Marktes. Dies impliziert auch die Übernahme europäischer Regeln und Standards sowie finanzielle Beiträge an das EU-Budget.
Das norwegische Modell dürfte für die britische Regierung jedoch kaum eine gangbare Alternative zur aktuellen EU-Mitgliedschaft sein. Ihr Wunschmodell eines integrierten Binnenmarkts ohne Arbeitnehmerfreizügigkeit kann dagegen nicht funktionieren. London ist nicht in der Position, sich weiterhin die Rosinen aus dem europäischen Integrationskuchen herauszupicken.

Geringeres Übel
Womöglich wäre daher eine Freihandelszone zwischen der EU und Großbritannien das geringere Übel. Dieses Modell bietet die ersehnte Souveränität – zumindest auf dem Papier und in der öffentlichen Wahrnehmung -, bringt aber eben auch eine Vielzahl an Unsicherheiten mit sich. Die Verhandlung einer Freihandelszone dauert Jahre, wenn nicht Jahrzehnte und wäre letztlich keine Garantie dafür, die vier Grundfreiheiten tatsächlich vollends zu entkoppeln. Die Konsequenz wäre ein eingeschränkter europäischer Marktzugang mit begrenzter Mitbestimmung sowie die Tatsache, dass sich Großbritannien mit Staaten wie den USA und China um diesen Zugang matchen müsste.
Auch müsste London neue, bilaterale Handelsabkommen mit Staaten außerhalb der EU ausverhandeln. Dazu kommt, dass in den vergangenen Jahrzehnten die britische Verwaltung kein einziges Freihandelsabkommen verhandelt hat, da die Zuständigkeit für Handelsfragen der EU-Kommission übertragen wurde. Aus europäischer Sicht könnte dieses Modell jedoch mittel- bis langfristig durchaus als Alternativvariante für europäische Länder mit Beitrittsbestrebungen wie etwa die Türkei oder die Ukraine dienen.
Der britische EU-Austritt ist letztlich mit mehr Risiken als Chancen verbunden. Scheidungen sind eben eine komplizierte und manchmal schmerzhafte Angelegenheit. Ob ein Rosenkrieg letztlich vermieden werden kann, wird sich noch zeigen. Für Großbritannien wird jedoch die – scheinbare – Wiedergewinnung nationaler Souveränität jedenfalls mit deutlichen Begleiterscheinungen verbunden sein.