In etwas mehr als einem Jahr finden die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Auch die kommende EU-Kommission wird danach neu bestimmt. Schon jetzt wird auf EU-Ebene über die Modalitäten der Wahl des neuen Kommissionspräsidenten bzw. mögliche institutionelle Neuerungen diskutiert. Für die Österreicherinnen und Österreicher sind diese Debatten jedoch nach wie vor abstrakt. Es braucht daher rasch eine inhaltliche Auseinandersetzung über die unterschiedlichen Zukunftskonzepte der europäischen Parteifamilien und ihrer Spitzenkandidaten. Dies wäre auch eine Grundvoraussetzung, um die Wahlbeteiligung bei den nächsten Europawahlen zu steigern.
Vor den letzten Europawahlen im Jahr 2014 nominierten die großen europäischen Parteienfamilien erstmals europaweite Spitzenkandidat/innen, die sich für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten bewarben. Ziel war es, die demokratische Legitimität und die Wahlbeteiligung zu erhöhen.
45 Prozent der Befragten geben in der Anfang März durchgeführten Umfrage an, dass sie diesem Spitzenkandidaten-Modell „positiv“ gegenüberstehen. 32 Prozent beurteilen es dagegen „negativ“. Fast ein Viertel der Befragten (23 Prozent) kann sich zu dieser Frage – noch – keine Meinung bilden.
48 Prozent sagen, dass europäische Spitzenkandidat/innen für das Amt des künftigen EU-Kommissionspräsidenten ihre Motivation, an den Europawahlen teilzunehmen, nicht erhöhen würden. Für 40 Prozent wäre dies hingegen sehr wohl ein zusätzlicher Ansporn, ihre Stimme abzugeben. Ein Zehntel (12 Prozent) gibt in dieser Frage keine Stellungnahme ab („weiß nicht/Keine Angabe“).
Die Debatte um europaweite Spitzenkandidaten, ist – trotz des erstmaligen Testlaufs vor fünf Jahren – noch kein Thema, das eine breite Öffentlichkeit bewegt. Um dies zu ändern, sollten die Kandidaten für den Kommissions-Topjob diesmal jedenfalls frühzeitig gekürt werden und in allen Mitgliedstaaten präsent sein, um für ihr Programm zu werben.
Eine weitere Zukunftsentscheidung betrifft die künftige Größe der Europäischen Kommission. Die Staats- und Regierungschefs müssen beschließen, ob weiterhin jedes Mitgliedsland eine/n eigene/n Kommissar/in stellt oder ob die Kommission verkleinert wird.
Auch in dieser Frage zeigt sich ein geteiltes Meinungsbild: 50 Prozent plädieren dafür, dass die Größe der EU-Kommission gleich bleibt, 43 Prozent würden jedoch eine kleinere Kommission bevorzugen, auch wenn das bedeutet, dass nicht jedes Land immer über eine/n Kommissar/in verfügt (7 Prozent „weiß nicht/Keine Angabe“).
Eine kleinere EU-Kommission wäre ein Signal an jene Kritiker, die eine effizientere Union einfordern. Auch Frankreichs Staatspräsident Macron plädiert etwa dafür. Ob allerdings die Mitgliedstaaten so weit sind, den zeitweiligen „Verlust“ des prestigeträchtigen Kommissionsamtes hinzunehmen, ist ebenso offen wie die Frage, ob sich die Schlagkraft der EU-Exekutive durch einen symbolischen Schritt tatsächlich erhöhen lässt.
Sollen die Ämter des Kommissionspräsidenten und des Ratspräsidenten zu einem neuen „EU-Präsidenten“ zusammengelegt werden, um die Struktur der Union effizienter zu machen? 46 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher wären dafür, 41 Prozent würden es vorziehen, dass sie weiter getrennt voneinander existieren. (13 Prozent „weiß nicht/Keine Angabe“).
Die Idee einer Verschmelzung von Kommissions- und Ratspräsidenten wird auch von den EU-Staats- und Regierungschefs skeptisch gesehen. Generell sollte sich die europäische Debatte sich nicht in institutionellen Fragen verheddern, sondern sich vielmehr mit den – auch von der Öffentlichkeit als solche wahrgenommenen – großen Herausforderungen wie etwa Migration, Sicherheit sowie Wachstum und Beschäftigung befassen. Gerade vor dem warnenden Hintergrund des Brexit wäre es gut, bis Mai 2019 die unterschiedlichen europapolitischen Angebote breit zu diskutieren und ergebnisorientiert zumindest einige der geplanten Reformen in Angriff zu nehmen.
Paul Schmidt
Hintergrund:
Die Umfrage wurde von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft vom 1. bis 8. März 2018 im Auftrag der ÖGfE durchgeführt (Tel SWS 272). Befragt wurden österreichweit 538 Personen per Telefon (repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ab 18 Jahre/Gewichtung nach Geschlecht, Alter und Bildung). Maximale Schwankungsbreite ca. +/- 4,2 Prozent.
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